Wie bereits häufiger interpretiert die Bundesregierung das Völkerrecht nach eigenen Maßstäben um. Wir haben bereits darüber berichtet, die Bundeskanzlerin unterstützt die Luftangriffe in Syrien.
Wir haben damals bereits auf die zweifelhafte völkerrechtliche Grundlage der Angriffe hingewiesen, nun widersprechen auch die wissenschaftlichen Dienste der Einschätzung der Bundesregierung zu den Militäraktionen der USA, Großbritanniens und Frankreichs.
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Entsprechend unserer Darlegung hier waren die Luftangriffe der USA, Großbritanniens und Frankreichs völkerrechtswidrig.
Die Argumentation der Erforderlichkeit und Angemessenheit seitens der Bundesregierung werden im Gutachten berücksichtigt, jedoch sind diese argumente für einen Militärschlag nicht mit dem Völkerrecht in Einklang zu bringen. Es wird in dem Papier bereits zu beginn festgestellt das in der politisch und moralisch aufgeladenen Debatte ein Spannungsfeld erzeugt wird, „bei dem die Frage nach der völkerrechtlichen Legalität der Militäroperation zugunsten der politisch-moralischen Legitimität des Handelns argumentativ in den Hintergrund tritt“. Sachlich wird die Kritik am Vorgehen am Völkerrecht ausgerichtet, und auf die geltenden Ausnahmen des Gewaltverbotes hingewiesen.
Für die Luftangriffe wird ins Felde geführt, dass es um Vergeltung für den Einsatz von Chemiewaffen durch die syrischen Regierung gehe. Dazu äußert sich das Gutachten wie folgt:
Völkerrechtliche Repressalien (Gegenmaßnahmen in Form von militärischen Vergeltungsschlägen) gegen einen Staat sind grundsätzlich unzulässig. Dies gilt auch dann, wenn eine Regierung eine zentrale Norm des Völkerrechts verletzt hat, die einen Staat gegenüber allen anderen Mitgliedern der Staatengemeinschaft verpflichtet und an dessen Einhaltung alle Staaten ein rechtliches Interesse haben (sog. erga-omnes Normen).
Das grundsätzliche Repressalienverbot gilt auch dann, wenn ein Staat einen internationalen Vertrag wie die Chemiewaffenkonvention und entsprechende VN-Resolutionen (wie die Sicherheitsratsresolution 2118 (2013)) verletzt und mit dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen ein Kriegsverbrechen begangen hat. Die Verletzung einer Völkerrechtsnorm durch einen Staat begründet keinen „Blankoscheck für unilaterale Zwangsmaßnahmen“ seitens einer „Koalition der Willingen“.
Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags
Das Völkerrecht sieht für solche fälle „rechtsförmige Mechanismen“ vor. Dass die Durchsetzung dieser Mechanismen durch die Blockade-Situation im UN-Sicherheitsrat, durch ein Veto Russlands, schwierig ist, ist ebenso wie auch die Schwierigkeiten, Untersuchungen der OPCW im syrischen Douma durchzuführen für die völkerrechtliche Bewertung unerheblich. Viel eher geht der Bericht auf den zusammenhang des Militärschlags und der OPCW-Untersuchung ein:
Umso mehr fällt in diesem Zusammenhang ins Gewicht, dass im Falle der alliierten Militärschläge vom 14. April 2018 die Ergebnisse der OPCW-Untersuchungen in Syrien nicht einmal abgewartet wurden.
Gutachten der wissenschaftlichen Dienste
Es bleibt zu folgern: Der Einsatz militärischer Gewalt gegen einen Staat, um die Verletzung einer internationalen Konvention durch diesen Staat zu ahnden, stellt einen Verstoß gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot dar.
Dem entgegen sind repressalien „im Rahmen eines bereits andauernden internationalen Konflikts nicht per se unzulässig“. Aber auch hier nur in ganz eng beschränktem Umfang. Auf die Luftangriffe des 14. Aprils trifft dies aber nicht zu, „weil sich die drei Alliierten nicht in einem direkten bewaffneten Konflikt mit dem syrischen Zentralstaat befinden“.
Auch das beliebte Argument der „humanitären Intervention“ hält das Gutachten im Fall der Luftangriffe für nicht stichhaltig. Vornehmlich weil die dafür erforderlichen „Tatbestandsvoraussetzungen“ nicht erfüllt würden.
Zur „Doktrin der humanitären Intervention“ gehört nämlich laut der Expertise, dass die internationale Gemeinschaft als Ganzes überzeugt sei, dass es 1. eine extreme humanitäre Notlage gebe, der unmittelbar und unverzüglich abzuhelfen sei, dass es 2. keine praktikable Alternative zur Gewaltanwendung gebe und die 3. Gewaltanwendung notwendig und verhältnismäßig sei.
Laut Gutachten hat Großbritannien, die „humanitären Intervention“ als Begründung herangezogen, könne damit aber „nicht überzeugen“ denn:
Abgesehen von der fehlenden Kohärenz der „humanitären Anteile“ dieser Argumentation – erstens ist fraglich, ob die Militärschläge wirklich geeignet sind, weiteres Leiden zu verhindern, insbesondere mit Blick auf die mutmaßlich künftigen Opfern des andauernden Syrienkonflikts; zweitens ist fraglich, warum gerade der Chemiewaffeneinsatz angesichts eines sieben Jahre währenden Bürgerkriegs in Syrien das qualitativ entscheidende Ereignis darstellt, um eine humanitäre Intervention zu begründen – stellt der britische Ansatz lediglich eine weitere „Spielart“ der Rechtsfigur der sog. „humanitären Intervention“ ohne Sicherheitsratsmandat und dem Konzept der völkerrechtlichen Schutzverantwortung (R2P) dar.
Wegen der bestehenden Missbrauchsgefahr ist die Zulässigkeit einer humanitären Intervention bis heute völkerrechtlich ausgesprochen umstritten und erscheint als gewohnheitsrechtliche Ausnahme vom völkerrechtlichen Gewaltverbot jedenfalls nicht tragfähig.
Gutachten Wissenschaftliche Dienste
Dass Frankreich und die USA anders als Großbritannien gar nicht explizit mit dem Rechtsargument der humanitären Intervention argumentiert hätten, ist viel mehr hinweis darauf dass es sich bei den Luftangriffen im Ergebnis eher um eine unverhohlene Rückkehr zu einer Form der – völkerrechtlich überwunden geglaubten bewaffneten Repressalie im ‚humanitären Gewand‘ handelt.
Auch mit der Argumentation Großbritanniens, die von Macron wiederholt wurde, dass der Militärschlag rechtens sei, weil die UN-Resolution 2118 „einen militärischen Einsatz als Reaktion auf einen Einsatz von Chemiewaffen unterstütze“ geht das Gutachten hart ins Gericht, in dem nochmal dargelegt wird, wer zuständig ist für die Einhaltung des Völkerrechts:
Resolution 2118 (2103), welche die Vernichtung aller syrischen Chemiewaffen durchsetzen sollte, droht dem Assad-Regime zwar mit dem Einsatz von Gewalt, behält eine Entscheidung darüber aber dem VN-Sicherheitsrat selbst vor.
Gutachten Wissenschaftliche Dienste