Die TAZ bebilderte ihre heute Ausgabe mit Bildern vom 2. Juni 1967, in Berlin sind Gedenkveranstaltungen geplant und dennoch soll es keine offizielle Entschuldigung geben – der Tod von Benno Ohnesorg erschütterte vor 50 Jahren die Bundesrepublik und ist offensichtlich bis heute unvergessen.
In einem Gastbeitrag für den DAKS-Newsletter lenkt Harald Möller, Historiker und Politologe, den Blick auf eine weitere Facette des Geschehens: die intensive rüstungstechnische Kooperation zwischen dem Iran und der Bundesrepublik in den 1960er Jahren.
Weitere Themen des neuen DAKS-Newsletter: Rheinmetall richtete seine diesjährige Hauptversammlung aus, Heckler & Koch baut seinen Geschäftsbereich in den USA aus und schließlich: welche Schlüsse sind aus den neuerlichen Bundeswehr-Skandalen zu ziehen? Bzw. worin besteht der Skandal eigentlich? – Mehr dazu im neuen Newsletter!
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DAKS-Newsletter Juni 2017
Rheinmetall-Hauptversammlung: „Gepanzerte“ Proteste gegen Rüstungsproduktion
Nach Lieferungen von Kleinwaffen und anderem Kriegsmaterial nun eine geplante Kooperation zum Bau von Panzern in der Türkei, eine Umsatzsteigerung des Konzerns, weitere Waffendeals zur Schaffung einer unabhängigen türkischen Rüstungsindustrie und ein deutscher Bundestagsabgeordneter bzw. Ex-Minister im Aufsichtsrat: wahrlich keine guten Nachrichten über Rheinmetall. Bei der Hauptversammlung in Berlin Anfang Mai gab es aber auch andere Stimmen: Vor dem Maritim Hotel, in dem Ex-Kriegsminister Jung mit seinen neuen KollegInnen tagte, protestierten bis zu 200 AktivistInnen der Friedensbewegung und forderten – einzig richtig – eine Umstellung auf zivile Produktion. Neben vielen Fakten und guten Argumenten hatten sie auch einen ausrangierten Panzer dabei und schafften es auf die Titelseiten der Medien, etwa beim Handelsblatt, bei heute.de und vielen anderen mehr.
Im taz-Interview mit Julia Maria Amberger sagte Otfried Nassauer (BITS), dass die Firma sich gute Geschäfte mit dem türkischen Militär erhoffen dürfe, selbst wenn nicht direkt aus Deutschland geliefert werde. Möglich wird dies durch Umwege über andere Staaten und die Gründung von Produktionsstätten vor Ort. Auch in Indonesien und Polen sind ähnliche Projekte geplant. Saudi-Arabien und Südafrika sind bereits Empfänger von Kriegsmaterial des Konzerns, vor allem von Munition.
Die türkische Armee ist mit Sicherheit auf einem schlechten Weg, allein was die demokratiefeindliche Entwicklung im Land betrifft, von weiteren Kriegseinsätzen und deren Folgen für die betroffenen Menschen gar nicht zu reden. Dies wird dann noch mehr als jetzt schon mit deutschen Waffen passieren. Schuldig macht sich der Rheinmetall-Konzern also mit Vorhersage.
Doch die Tomate des Tages, wenn nicht des Jahres erhält der ehemalige Minister Franz Josef Jung: Wie man sich als Noch-Parlamentarier erdreistet, in den Aufsichtsrat eines Rüstungsunternehmens einzutreten, soll ihm erst mal einer nachmachen. Wenn das Bundeskabinett gegen dieses unsaubere Verhalten nicht geschlossen protestiert, dann ist das auch ein unsauberes Verhalten von den aktuellen Regierungsmitgliedern. Aber wer weiß, wo diese Leute ab September arbeiten werden … Altbundeskanzler Schröder hat es schließlich vorgemacht. (Und: FDP-Kollege Dirk Niebel ist ja schon seit 2015 bei Rheinmetall, da trifft man sich dann wieder.)
Eventuell kann das neue Aufsichtsratmitglied Jung als ehemaliger Bundeswehrchef auch etwas für den Konzern bewirken, wenn in naher Zukunft über den Riesen-Auftrag für das neue Standardgewehr der Bundeswehr entschieden wird, für den sich Rheinmetall zusammen mit Steyr Mannlicher bewirbt (siehe DAKS-Newsletter Februar 2017).
Mehr von BITS zum Thema Rheinmetall:
Hemmungslos und unersättlich – Rheinmetall und die Munitionsexporte
(von Otfried Nassauer, 4. November 2016)
Und eine umfassende Studie zum Thema Munition aus dem Hause Rheinmetall:
Otfried Nassauer: Hemmunglos in alle Welt – Die Munitionsexporte der Rheinmetall AG
(Oktober 2016)
Sehr interessant, um mehr über die äußerst zweifelhafte Lobby-Politik von Ursula von der Leyen zu erfahren: der Monitor-Beitrag „Externe Berater des Verteidigungsministeriums. Einfallstor für Rüstungslobbyisten?“ vom 30. März 2017. Autoren: Ralf Hötte, Kim Otto und Jochen Taßler (hier auch mit dem Hinweis auf eine Zusammenarbeit der Beratungsfirma KPMG mit Heckler & Koch).
Heckler & Koch baut neue Waffenfabrik in den USA
Wer in den USA produziert, kommt schneller und problemlos auf den US-Markt, das war schon vor Donalds Wutpolitik so. H&K tut also im Firmeninteresse gut daran, den zivilen und wohl auch militärischen Markt von vor Ort zu beliefern und die dortige Nachfrage ist ja nicht gesunken. Im Rahmen einer dementierenden Pressemeldung von Anfang Mai weist die US-Firma darauf hin, dass sie weiter in den USA tätig sein wird und ihre Produktionskapazitäten ausbauen will. Das soll staatliche wie private Kunden beruhigen. „50,000 square foot“, so groß wird die neue Waffenbauzentrale in Columbus, im Bundesstaat Georgia. Man wirbt mit 84 neuen Jobs, die in den nächsten zwei Jahren dort entstehen sollen. Angeblich sollen in diesem Werk „lediglich“ Pistolen und Jagdgewehre für die US-Bevölkerung gebaut werden. Aber das Ganze ist natürlich auf längere Zeit angelegt, denn hier soll die Zukunft des H&K-Geschäfts in Nordamerika liegen. Es ist also Werbung in eigener Sache und eine Bestätigung der wichtigen US-Geschäfte der Firma. Noch mehr als zuvor in der Obama-Amtszeit lässt der Geschäftsmann und NRA-Freund Trump die Waffenhersteller auf „gute“ Zeiten hoffen.
Auch die Aufrüstungskonzepte der NATO-Staaten würden sich von den USA aus gut bedienen lassen. Zwei Prozent hat Merkel Trump versprochen! Dies würde eine enorme, die Gesellschaft sichtbar verändernde Steigerung bedeuten und wirft zudem die Frage auf, wie andere Staatsführungen, etwa Wladimir Putin, auf ein derart hochrüstendes Deutschland reagieren würden. Er will schließlich das Bild eines militärisch starken und bedrohlichen Russlands aufrecht erhalten. Monitor berichtete. Vor diesem Hintergrund einer ziemlich sicher kommenden Rüstungsspirale und weiteren Stellvertreterkriegen wie in Syrien muss sich eine Waffenfirma wie Heckler & Koch in jenen Ländern gut aufstellen, wo der Hauptteil des Kuchens verteilt wird, das heißt, neben Russland, China und Indien logischerweise vor allem in den USA und in Deutschland (beide mit besten Verbindungen zum Großkunden Saudi-Arabien). Irre ist übrigens die (wenn sie denn der Wahrheit entsprechen sollte) fast lapidar klingende Antwort des Firmenchefs Norbert Scheuch, dass Heckler & Koch zu den in Saudi-Arabien und Pakistan gebauten HK-Waffenfabriken „keinen Kontakt“ mehr habe – wie skrupellos kann man denn sein, dass man gerade in diesen beiden Ländern Rüstungsproduktion ermöglicht und sich dann nicht mehr als dafür verantwortlich ansieht?
Der Schahbesuch 1967, das Gewehr G3 und eine „Mehrzweckanlage“
In den Beziehungen des Schahregimes mit dem Osten – v. a. mit der UdSSR – gab es ab 1964/65 eine „Entspannung“. Gleichzeitig schien im Süden des Iran ein neuer „Kriegsherd“ zu entstehen. Pakistan hatte im Krieg mit Indien 1965 schwere Verluste erlitten. Eine Besetzung Pakistans durch Indien schien möglich. Dann, so der Schah, würde eine „anarchische“ und völlig „chaotische“ Demokratie an seine Grenze rücken. Die Pakistanis würden in die Berge gehen und weiterkämpfen. Das ergebe ein zweites Vietnam. Außerdem nahm er Expansionsbestrebungen des arabischen Nationalismus in Irak und Ägypten als zunehmende Bedrohung des Iran wahr. Das Schahregime entschied sich deswegen zum Aufbau einer eigenständigen Rüstungsindustrie und für Waffenlieferungen an Pakistan. Da Irans Hauptbündnispartner USA nicht bereit war, in Punkto Pakistan mitzuziehen, wandte sich der Iran an die Bundesrepublik. 1965 und 1966 wurde ein Ausbau der Beziehungen angeboten, u. a. im Bereich der Militärkooperation.
Die Bundesregierung – zu diesem Zeitpunkt eine Koalitionsregierung von CDU/CSU und FDP – war zu einem gewissen Maß an Militärhilfe bereit. Der Iran hatte die Bonner Position gegenüber der DDR – also die Hallsteindoktrin – bis zu diesem Zeitpunkt vorbehaltlos unterstützt. Dieser Unterstützung kam erhebliche Bedeutung bei. Nach dem Bekanntwerden der umfangreichen bundesdeutschen Waffenlieferungen an Israel sowie der Aufnahme diplomatischer Beziehungen von Bundesrepublik und Israel im Jahre 1965 hatten die meisten arabischen Staaten im Mai 1965 die diplomatischen Beziehungen mit der BRD abgebrochen. In Nahost war die BRD damit weitgehend „isoliert“. Nur Teheran schien fest an der Seite Bonns zu stehen.
In der Folge wurden u. a. 90 Düsenjäger des Typs F-86 in den Iran geliefert, die angeblich für die Luftwaffe Irans bestimmt waren. Tatsächlich wurden sie an Pakistan weitergegeben – wobei anzumerken ist, dass gleichzeitig Flugzeuge des Typs Seahawk an Indien geliefert wurden. Zwei Staaten einer Konfliktregion wurden so gegeneinander unterstützt. Am 11.9.1966 schlossen Bundesrepublik und Iran zusätzlich einen Vertrag über den Ausbau des iranischen Kriegswaffenarsenals. Dieser sah vor, dass die Bundesregierung der iranischen Regierung eine Lizenzproduktion von MG1 und G3 im Arsenal gestatten und die Ausfuhr des dazu nötigen Fertigungsgeräts erlauben sollte. Außerdem sollte eine bestimmte Anzahl bundesdeutscher Waffen als Grundausstattung an den Iran weitergegeben werden. Dies betraf 1.000 Maschinengewehre des Typs MG1 und 10.000 Gewehre des Typs G3 sowie mehrere Millionen Schuss Munition für diese Waffen. Schließlich sollte die Bundesregierung die Kosten für Fertigungsanlagen von MG1 und G3 bis zu einer Höhe von 22 Millionen DM direkt übernehmen. Zur Realisierung dieses Auftrages erhielt die bundeseigene Firma Fritz Werner, der Hauptausrüster des Arsenals seit der Zeit der Weimarer Republik, einen Auftrag der iranischen Regierung über den Ausbau des Arsenals. Die Kleinwaffenlieferungen, die Lizenzproduktion und ein Teil der Fertigung wurden dem Iran im Rahmen einer „Ausrüstungshilfe“ gewährt. Diese wurde kostenlos gegeben. Faktisch war es ein Geschenk.
Kurz nach Vertragsabschluss übergaben Repräsentanten Irans Wunschlisten, denen zu entnehmen war, dass es ihnen neben Panzerlieferungen um einen weiteren Ausbau des Arsenals ging. Vor allem die eigenständige Munitionsproduktion sollte ausgebaut werden. Erhofft wurde zudem eine erneute, kostenlose Ausrüstungshilfe. Die Panzerlieferungen waren anschließend Gegenstand deutsch-amerikanischer Konsultationen, da es sich um ursprünglich amerikanische Panzer des Typs M-47 handelte, für die sich die US-Regierung ein Mitspracherecht im Falle von Weiterlieferungen an Dritte vorbehalten hatte. In diesen Beratungen lehnte die US-Seite die Weitergabe der Panzer ab. Der Iran sei Lieferant für Pakistan, lautete die Begründung. Außerdem erklärte die US-Seite die Position des Schahs zu Endverbleibsklauseln für Waffenlieferungen als „rather cynical“. Sprich: Da gab es Vorbehalte.
Auch die anderen Wünsche Irans wurden auf offizieller Ebene „zurückhaltend“ behandelt. Seit dem Dezember 1966 regierte in Bonn eine Koalitionsregierung von CDU/CSU und SPD. Vor allem die SPD stand „Ausrüstungshilfe“ – die oft Militärhilfe war – kritisch gegenüber. Die bundesdeutschen Diplomaten verwiesen iranische Repräsentanten deswegen darauf, dass an eine direkte Fortsetzung der „Ausrüstungshilfe“ nicht zu denken wäre. Die zuständigen Ausschüsse des Deutschen Bundestages machten Probleme. Entwicklungshilfe würde favorisiert. Und Kapitalhilfe. Der Schah persönlich fragte darauf beim deutschen Botschafter in Teheran an, ob der Iran Kredite zum Ausbau des Arsenals erhalten und ob die Firma Fritz Werner diese Kredite besorgen könne. Diese Fragen wurden bejaht. Darauf stellte die bundeseigene Firma Fritz Werner, die mittlerweile einen weiteren Auftrag Irans über den Bau einer „Mehrzweckanlage“ im Werte von über 140 Mio. DM erhalten hatte, Anträge zur Absicherung dieses Auftrags bei der Hermes-Kreditversicherung in Hamburg. Außerdem wurde das Verteidigungsministerium um Amtshilfe hierfür gebeten. Letzteres, offensichtlich eine „Einstiegsvoraussetzung“ für das Ganze, wurde während des Schahbesuchs Ende Mai, Anfang Juni 1967 genehmigt – was dem Schah flugs mitgeteilt wurde.
Was war das für eine „Mehrzweckanlage“? Nun, dort wurde v. a. Munition produziert. Dem Iran wurde so ermöglicht, im Arsenal neben Kleinwaffen des Typs G3 und MG1 dazugehörige Munition sowie Munition für Artilleriegeschütze zu produzieren.
Oder kurz: Das, was am 2. Juni 1967 einen Höhepunkt in den Ereignissen in Berlin fand, die in die Erschießung des Studenten Benno Ohnesorg mündeten, war direkt verknüpft mit Kleinwaffen- und Munitionsgeschäften von Iran und Bundesrepublik.
Eingesetzt wurden diese Waffen und die Munition vor allem im Krieg Irak-Iran zwischen 1980 und 1988.
Harald Möller – Historiker und Politologe; Berlin
Ausführliche Darstellung in Harald Möller: Der Schahbesuch 1967. Ein zweiter Dokumentenband zu exogenen und endogenen Dimensionen, 289 Seiten, Berlin 2016 (Logos Verlag)
Siehe ebenso:
Harald Möller: Der Schahbesuch 1967 und „politische Theorie“. Was geschah am 1. und 2. Juni 1967 in Berlin und wie lässt es sich erklären? 19 Theorien und „Erklärungsansätze“, 265 Seiten, Berlin 2014 (Logos Verlag)
Harald Möller: Der Schahbesuch 1967. Ein Dokumentenband zum Verhältnis von politischer Theorie und Realität, 419 Seiten, Berlin 2015 (Logos Verlag)
CQB und Urban Warfare: Waffentechnik im Wandel
Die militärische Taktik heutiger Prägung wird von dem Umstand bestimmt, dass die eigenen Soldaten sich meist in einem Umfeld bewegen, dass keinesfalls als „eigenes“ Gebiet gesichert ist. Paradebeispiele sind die Bilder von US-Soldaten in irakischen Städten und Dörfern oder auch von Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan, wo man „Freund“ und „Feind“ nicht immer klar unterscheiden kann. Folge einer solchen Kriegssituation ist, dass die auf große Kampf- bzw. Schussentfernungen ausgelegten Waffen auf eine Weise modifiziert werden müssen, um eine effektive, d. h. tödliche Wirkung auf kurze Entfernung zu haben und dem Schützen genug Bewegungsfreiheit zu lassen. So gab es von vielen Waffen kleinere Versionen, etwa das M4 (im Vergleich zum größeren M16), die FN P90, das G36C und auch die MP5 (im Vergleich zum großen G3). Bei der MP7 von Heckler & Koch erschien zusätzlich eine neuartige Munition, die mehr „Mannstoppwirkung“ verspricht, das Kaliber 4,6 x 30 mm. Und quasi im Gegenzug musste dann auch die Panzerung der Soldaten und anderen „Sicherheits“-Kräfte, sprich die Schutzweste verbessert werden, was sich aber als schwieriger gestaltet als gewünscht.
„Close Quarter Combat“, also der nahe bis nächste Kontakt mit dem Gegner / Feind ist die heutzutage im urbanen Kriegsszenario zu erwartende Kampf- und Schusssituation. „Urban Warfare“, d. h. die Kriegsführung in bewohnten Gebieten, Städten und Großstädten bringt auch mit sich, dass immer wieder Zivilisten besonders hart betroffen sind, durch konkrete Schuss- und Splitterverletzungen oder durch Einsperrung in bzw. Vertreibung aus den umkämpften Gebieten. Inwieweit Regierungen, Militärführungen und SoldatInnen überhaupt Rücksicht auf Zivilisten nehmen, steht, um nur ein Beispiel zu nennen, nach den Eroberungsschlachten im irakischen Falludscha völlig in Frage – zu den Verletzungen durch Schuss- und Granatwaffen kam hier u. a. noch das Leid durch den Einsatz von Uran-, Phosphor- und Napalmwaffen. Kampf in städtischen Gebieten und die Einhaltung der Menschenrechte sind beinahe unvereinbar.
Denn Militärs planen nach anderen Gesichtspunkten: Feindliche Kämpfer müssen „erreicht“ und „vernichtet“ werden. Die für Schusswaffen hierfür geeigneten Munitionsarten sind dann die, welche bevorzugt werden – die entsprechene Munitionsforschung ist noch in vollem Gange, wie sich zum Beispiel an der Diskussion um das oder besser die Kaliber für das neue Standardgewehr der Bundeswehr beobachten lässt. Zur Auswahl stehen 5,56 NATO oder 7,62 NATO bzw. modulare Konzepte, eventuell auch neuartige Zwischenkaliber. Was die Waffenauswahl betrifft, ist der Einsatz von leichten, d. h. besser tragbaren Maschinengewehren (etwa des MG4 von H&K) in diesen Konzepten von großer Bedeutung, ebenso wichtig sind kleinere Sprengwaffen wie Handgranaten und der einfache Gebrauch mobiler Granatwaffen-Unterstützung durch leicht bedienbare Anbau-Granatwerfer, mit denen viele oder alle Soldaten eines Zuges ausgerüstet werden (beispielsweise der AG36 von H&K oder der US-amerikanische M203). Wo sich die Soldaten des Ersten Weltkriegs großteils noch auf mittelalterliche Waffenarten wie Keulen, Äxte (d. h. Feldspaten), Klingenwaffen (etwa Grabendolche) und sogar Morgensterne besinnen mussten, ist heute im Nahkampf die halbautomatische Kurzwaffe (also die Pistole) oder sogar die automatische Handfeuerwaffe (etwa die MP5 oder Uzi) vorherrschend.
Im Rahmen des „Häuserkampfs“ werden die sonst so klaren Unterschiede in der asymmetrischen Kriegsführung zwischen hochentwickelten Staaten / Armeen und ihren weniger entwickelten Kontrahenten auf eine beinahe gleiche Ebene gebracht, wie die Supermacht USA etwa im Irak-Krieg (und zuvor ähnlich in Vietnam) feststellen musste. Daher kommt auch der Wunsch nach (eigene „Verluste“ sparenden) Flächenbombardements und einer „chirurgischen“ Kriegsführung aus der Luft. Den gleichen Ursprung haben der bereits heute stattfindende Drohnenkrieg aus sicherer Entfernung (aktuell zu sehen in „National Bird“) oder der gar nicht in allzu ferner Zukunft zu erwartende Einsatz von Nahkampf-Drohnen bzw. Schlacht-Robotern. Noch ist es aber nicht soweit und für die meisten Staaten und „Rebellengruppen“ wird das Zeitalter des menschlichen „Kriegers“ mit Schusswaffe noch sehr lange weitergehen. Bewaffnet mit einem Gewehr aus der Kalaschnikow-„Familie“, mit einem M4-Karabiner, einem G3 oder einem FAL-Gewehr stehen die Soldaten und Söldner dieser Armeen und Truppen dann weiterhin einem in den meisten Fällen besser ausgerüsteten und besser trainierten Schützen gegenüber, der in sogenannten „Kill Houses“ seine Trockenübungen gemacht hat und den wir in so vielen US-Kriegs(unterhaltungs?)filmen bewundern sollen, zuletzt etwa in dem kontrovers diskutierten Hollywoodfilm „American Sniper“ (dessen Handlung übrigens mit dem wirklichen Leben des porträtierten Chris Kyle, eines Scharfschützen der US-Spezialeinheit Navy Seals, wenig zu tun hat).
„Franco A.“ und der eigentliche Skandal
Ein Bundeswehr-Oberleutnant besitzt illegal eine Waffe und stiehlt Waffenteile und Munition, plant Verbrechen und Attentate, ist Neonazi und – mindestens in seinem Studium – auch als solcher aufgefallen: soweit die Fakten. PolitikerInnen, vor allem die Bundeskriegsministerin, sind empört. Bundeswehr-Offiziere im Gegenzug verärgert. (Die ebenfalls zuständige Kanzlerin hält sich, wen wundert´s, fein raus.) Die Bevölkerung ist verwundert: Wie kann das passieren? JournalistInnen fragen: Wie weit geht dieser Fall, gibt es Komplizen bzw. ein Netzwerk potentieller TäterInnen?
Ein Kommentar von André Maertens
Zum politischen Aspekt:
Dass in der Bundeswehr ein Soldat, egal welchen „Ranges“, rechtsextrem denkt und auch handeln will, sehen viele als Skandal. Zwar wird die Frage nach einer weiteren Verbreitung von nazistischer Ideologie gestellt, aber man beruhigt sich dann bald wieder mit der Beurteilung, dass es sich hier um Einzelfälle handelt, die man durch eine bessere Durchleuchtung der KandidatInnen herausfiltern könne. Das Problem der kriegerischen Gewalt bleibt damit ungelöst. Heutige westliche Staaten brauchen genügend Freiwillige, die Kriegsdienst leisten. Damit werden auch jene akzeptiert, die in einer demokratisch legitimierten Armee nichts zu suchen haben, sondern eher im Blick eines (wenn es das denn gäbe) auf dem rechten Auge und Ohr nicht blinden Verfassungsschutzes stehen müssten. Das Feigenblatt Hans-Peter Bartels rettet sich, wie auch viele ParlamentarierInnen, in die Lüge, dass eine bessere Kontrolle alle Probleme lösen würde.
Sicherlich, die meisten Bundeswehrangestellten gehen (ihrer Ansicht nach) einem normalen Beruf nach und würden nicht darauf kommen, andere Menschen töten zu wollen, weder hier noch im Ausland, etwa in Afghanistan. Doch es muss eben auch jene geben, so das Konzept einer Armee, die töten und morden wollen. Soldatisches Töten ist oft von langer Hand vorbereitet, wird professionell kaltblütig geplant, so wie auch Generäle und Armeeführungen mathematisch nüchtern berechnen, wie hoch die „Verlust“-Raten auf beiden Seiten sein werden. Motive vieler soldatischer Tötungen sind jedoch oftmals nicht Sicherheitsbewahrung oder Sieg, sondern Rache, Sadismus, sexuelle Gewalt oder simpel Profit. Wer das ignoriert, sollte sich die Realität anschauen. US-Kill-Teams machen es vor, KSK-Soldaten machen es sehr wahrscheinlich nach. (Momentanes „Skandal“-Beispiel: eine Reportage des irakischen Fotografen Ali Arkady.)
Kann man sich auf den Bürger in Uniform berufen und die sogenannte Innere Führung bemühen? Nein. Wer bereit sein soll – anders als in Zeiten des (zumindest in Westdeutschland eben nur) Kalten Kriegs – für einen Staat wirklich sein Leben oder seine psychische und physische Gesundheit zu riskieren, braucht einen mentalen „Schutzmantel“, einen Grund, warum er oder sie so lebensmüde sein soll. „Krieger“ braucht es, doch die sind keine Bürger in Uniform mehr, keinesfalls. Wie erzeugt man Krieger? Mit Patriotismus, Geld, Orden, Buddy-Denken und auch Drogen, die in so vielen Armeen spätestens vor der Schlacht verabreicht werden. Soldaten, die sich zur Gewalt legitimiert sehen, handeln oft auch ohne Beachtung des menschlichen und moralischen Anstands, sie sehen sich über dem Gesetz und über dem Völkerrecht (Beispiele: Abu Ghuraib; Beispiel Oberst Georg Kleins Tötungsbefehl in der Nähe von Kundus, mittlerweile problemlos Brigadegeneral; diverse Misshandlungs-„Skandale“ in Bundeswehrkasernen und auf Ausbildungsschiffen). Dass solche Soldaten dann für Nazismus anfällig sind, wen mag es überraschen? In der deutschen Geschichte wird es keinen Schlussstrich geben, Kontinuitäten bestehen, schrecklicherweise.
Zum technischen Aspekt:
Wo Menschen – welches Gut auch immer – verwalten, wird irgendwann und in jedem Ausmaß, schlamperheft bis katastrophal schlecht oder auch mit Absicht schlecht verwaltet. Daher sind Tötungstechnologien wie halbautomatische und automatische Schusswaffen aus ethischer Sicht so unverantwortlich, man denke nur an das Schulmassaker in Winnenden, wo ein einzelner Täter mit einer einzigen Kleinwaffe 112 Schüsse abgegeben haben soll und 15 Menschen tötete und mehrere andere schwer verletzte, oder an Erfurt und Utøya.
Waffen und Munition verschwinden wohl in jeder Armee dieser Welt, machen wir uns nichts vor. Auch hier lässt sich kein Einzelfall-Skandal feststellen! Diese gravierenden Probleme sind hausgemacht, denn wo (massenhaft!) Waffen, besonders Kleinwaffen, vorhanden sind, ist Missbrauch vorhersehbar. Der eigentliche Skandal ist, dass man es immer noch für gut und wichtig hält, Zigtausende oder Millionen von (meist) Männern mit Waffen und der dementsprechend nötigen Krieger-Ideologie auszurüsten. Die Armeen und ihr Waffendenken sind der wirkliche Skandal. In der Schweiz kann man gut beobachten, wie viel häusliche Gewalt mit Schusswaffen ausgeübt wird, mit allzu oft tödlichen Folgen…
Wie kann die Situation verbessert werden?
Eine schnelle Reduzierung der Bundeswehrtruppen bis hin zur endgültigen Abschaffung wäre eine verantwortliche Handlungsweise. Das alles wegen nur eines irregeleiteten Soldaten? So mögen manche fragen. Ja. Weil er kein Einzelfall bleiben wird, weil die internen Kontrollmechanismen (weder Führung noch Wissenschaft noch Seelsorge haben solche Fälle gemeldet oder verhindert) und weil eine Demokratie sich vor Extremisten schützen muss und sie nicht selbst ausbilden und „züchten“ darf. Die Weimarer Republik – aktuell so oft als Vergleich zur politischen Lage der heutigen Bundesrepublik herangezogen – ist voll von Beispielen, wo Richter diejenigen verurteilten, die politisch links standen, und jene freisprachen, die aus bereits faschistischen Denkweisen heraus Menschenleben zerstörten. Doch eine Armee ist nötig, um welt- bzw. machtpolitisch agieren zu können! Das ist richtig. Nur: Wollen die Deutschen weltpolitisch agieren? Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung sind gegen Rüstungsexporte und ca. eben so viele gegen die deutsche Beteiligung am Afghanistankrieg (aus verschiedensten Gründen allerdings – gleich dazu die Frage: Wie viele sind gegen die ungerechte Weltwirtschaftsordung?) Daher muss die Entscheidung sein: Weg mit der gefährlichen Armee! Der Bundesgrenzschutz, das heißt die Polizei kann diese Aufgabe der Sicherheitswahrung vollständig leisten. Das sind dann zwar immer noch bewaffnete Männer (und Frauen), noch dazu mit Korpsgeist, das stimmt, aber was für ein Fortschritt immerhin zu einem militärischen Denken der Feindbesiegung, des Heldentums und der soldatischen Ehre!
Und einen anderen Vorteil hätte die Armeeabschaffung auch: Die Ausrüstung von Polizeien lässt sich viel besser überschauen und korruptionsfreier überwachen. Es sind auch nur bestimmte Waffentypen nötig. Dies könnte zusätzlich zu einer für viele Menschen auf der Welt lebensbewahrenden Reduzierung von deutschen Rüstungsexporten führen, gerade, was Kleinwaffen von Heckler & Koch und anderen deutschen Schusswaffenherstellern sowie von deren ausländischen Partnerfimen betrifft.
Doch obwohl sinnvoll, bleibt dies alles Illusion: Welche Partei will sich – gerade in Wahlkampfzeiten – mit der Bundeswehr, der Industrie und mit dem Propaganda- bzw. Einschüchterungsslogan anlegen, dass man eben einfach eine Armee brauche und das man Deutschlands Sicherheit auch in Mali verteidigen müsse? (Oder im Mittelmeer, im Iran, in Südkorea oder gegebenenfalls sogar in Russland …) Gibt es eine solche Partei?
Es steht fest: Der nächste Bundeswehr-„Skandal“ ist bereits programmiert bzw. ereignet sich gerade. Die Artikel und Interviews können schon mal vorbereitet werden, nur die Namen, Orte und Zahlen fehlen noch. Die nötige politische Wende ist das jedoch nicht.
Interessanter ZEIT-Artikel zum Thema:
„Unsere Verteidiger. Wie sieht es in der Truppe wirklich aus? Sieben Männer und eine Frau aus der Bundeswehr erzählen“. Von Vanessa Vu, Paul Middelhoff und Niklas Dummer. (Nicht alles militärkritische Aussagen, aber durchaus bezeichnend.)
„Märkte, Macht und Muskeln“: Texte zur (Kriegs-)Politik der EU und Österreichs
Der österreichische Friedensforscher Thomas Roithner hat vor kurzem einen 132 Seiten starken Band mit dem Titel „Märkte, Macht und Muskeln“ veröffentlicht, der Zeitungsartikel, Essays und Kommentare zum Zeitgeschehen aus seiner Feder enthält. Roithner (1971 geboren) ist Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler, Publizist, Journalist und Privatdozent für Politikwissenschaft an der Universität Wien. Sein aktuelles Buch befasst sich – so der Untertitel – mit der „Außen-, Sicherheits- und Friedenspolitik Österreichs und der Europäischen Union“ und bespricht dabei neben der Neutralitätsthematik verschiedene Aspekte, was sich auch an Kapitelüberschriften wie „Globale Unordnung“ und „Sicherheitstricks – Kerneuropa – Militarisierungslogik“ erkennen lässt.
Rüstungsexport ist ebenfalls ein Thema. Im Artikel „Wasser predigen und Wein trinken. Die EU misst auch bei Waffenhandel und Rüstung mit zweierlei Maß“, der zuerst im März 2015 in dem österreichischen Militärmagazin „Militär Aktuell“ erschien, geht Roithner auf die Problematik ein, dass die Europäische Union zwar Werte wie Menschenwürde, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit propagiert und dafür den Friedensnobelpreis erhielt (Das muss man sich mal vorstellen! Aber was war zu erwarten, nachdem sogar Obama ihn bekommen hat …), diesen Werten in ihrem Handeln jedoch selbst nicht folgt – beispielsweise beim Waffenexport. „Immer wieder tauchen ‚unsere‘ Waffen in Kriegsgebieten auf und niemand will Schuld haben“, heißt es bei Roithner. Anhand von SIPRI-Zahlen wird darauf hingewiesen, dass die Rüstungsexporte aus EU-Ländern (im Jahr 2013) vom Finanzvolumen her knapp vor denen Russlands standen und knapp hinter denen der USA. Roithner merkt an: „Exportinteressen und globale Rechtsstaatlichkeit sind nicht selten zwei Paar Schuhe.“ Bei der großen Menge dieser Exporte ließe sich auch die Herkunft der Waffen meist nicht nachweisen. Weitere Teile dieses Texts befassen sich mit einer österreichischen Initiative zur atomaren Abrüstung im Jahr 2013 und mit der Frage, wie die EU aus der „multiplen Krise“ herauskommen kann, in der sie laut Roithner steckt.
Der Text „Turbulente Zeiten. Jüngste Verwerfungen, neue Player und die künftige Weltunordnung“, im Februar 2016 ebenfalls in Militär Aktuell erschienen, befasst sich mit der Gruppe der neuen „Player“, vor allem in Asien bzw. Ostasien. Angesprochen werden Nordkorea, das neue Bündnis zwischen China und Russland, die Interessen und die Macht der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) sowie die von Misstrauen gegenüber dem Westen geprägte Haltung der Staaten, die Mitglied in der SOZ sind, der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit. Dies sind China, Russland, einige zentralasiatische Staaten und sogar Indien und Pakistan. Neben der Gründung der „Neuen Entwicklungsbank“ und der seit 2014 bestehenden „Asiatischen Infrastrukturinvestmentbank“ wird auch die kommende „neue Seidenstraße“ mit dem ach so schönen Titel „Ein Gürtel und eine Straße“ angesprochen, mit der dann neben den Segnungen des chinesischen Wirtschaftsüberschusses auch eines besser verbreitet werden kann: Waffen, solche aus dem Reich der Mitte und solche für es. Die entsprechenden Zahlen werden wir dann eventuell bei SIPRI lesen können. Recherchearbeit und -mühe wird es für diese Organisation dann genug geben.
In dem Artikel „Das Chamäleon und der Cartoon. Mit Meisterdetektiv Nick Knatterton und Walt Disneys Hexe Gundel Gaukeley durch die Welt der Kriege, Kämpfe und Konflikte“ (zuerst im Dezember 2015 in der österreichischen Wochenzeitung Die Furche erschienen) versucht Roithner in einer Verquickung von Comicliteraturgeschichte und politisch-militärischer Historie zu beleuchten, wie sich die Verlogenheit in der Darstellung der Kriege und die Verheimlichungstaktik der militärischen Rhetorik entwickelt haben. Warum es dafür der mitunter überdehnten Anspielungen auf Manfred Schmidts berühmten Detektiv bedarf, erschließt sich nicht ganz. Übrigens: Carl Barks mag eine Begeisterung für seine Figur empfunden haben, doch die Figur Knatterton und ihre Geschichten wollte ihr berühmter Zeichner und Autor Schmidt – tatsächlich aus einer Abneigung gegen Comics – als Parodie auf das Comicgenre verstanden wissen (nachzulesen bei dem Comic-Experten Andreas Platthaus in „Die 101 wichtigsten Fragen: Comics und Manga“, Verlag C. H. Beck 2008, auf Seite 112). Auch die Bezüge zu Gundel Gaukeley sind eher unbegründet. Was in dem Artikel allerdings steckt, ist jene in verschiedenen kriegsgesellschaftlichen Bereichen gezeigte besondere Fähigkeit des „Chamäleons“ (wie Roithner den Krieg hier mit einem Zitat aus den Texten von Carl von Clausewitz bezeichnet), seine Farbe zu wechseln: Aus Opfern von Bombardierungen beispielsweise wurden auf diese Weise „Kollateralschäden“ (die irgendwie fast schlimmer klingen als der eigentliche Schaden). Immer ist das Ziel (mit Roithners Worten): „Kriegsgeräten einen zivilen Anstrich zu geben“. Es ginge darum, so heißt es im Text weiter, dass Tote nicht zu sehen sein sollen [etwa auf Waffenmessen], und die eigene Gewalt bagatellisiert werde [etwa im Drohnenkrieg oder bei Kleinwaffenexporten]. Karikaturen, Cartoons und Comics sieht Roithner als „Ausdruck von Meinungs- und Pressefreiheit“ und hofft, dass aus dem Zynismus der Karikatur viel zu lernen ist, für das „morgige friedliche Zusammenleben“.
Im titelgebenden Beitrag „Märkte, Macht und Muskeln. Das Militärbündnis NATO vor Baustellen, Staus und Schlaglöchern“ (ebenfalls in Die Furche erschienen, im Juni 2016) weist Roithner darauf hin, dass die Förderung nach Erhöhung der EU-Verteidigungshaushalte bereits vor der Trump-Zeit erhoben wurde, ebenso wie Washington darauf drängte, dass EU-Regierungen Käufe bei US-Rüstungsfirmen tätigen und dass keine autonome EU-Rüstungsindustrie entsteht. Und er merkt an, dass entgegen den Regeln des sonstigen marktwirtschaftlichen Miteinanders derzeit das Prinzip des Protektionismus die nationalen Rüstungsplanungen und das Agieren der Waffenhersteller bestimmt.
Zugegeben, um einige der Texte zu verstehen, braucht es Kenntnisse über den österreichischen Diskurs zu internationalen Konflikten und zu Friedenskonzepten, aber um mehr über eben diese Debatten und über Kriegsphänomene und Politik auf globaler Ebene zu erfahren, lohnt sich der Band von Thomas Roithner auf jeden Fall.
Ein Zitat aus dem im Oktober 2016 in der NZZ Österreich erschienenen Text „Sicherheitspolitisches Wünsch-Dir-Was“ sei noch angefügt, weil darin deutsche und österreichische (Friedens-)Politiklandschaft verglichen werden: „Im Gegensatz zu Österreich gestaltet sich die deutsche außen-, sicherheits- und friedenspolitische Debatte ungleich lebhafter. Lehrstühle – selbst an kleinen deutschen Universitäten – speisen eine in Teilen sehr qualitätsvolle Diskussion. Auch bei Parteiakademien nehmen diese Fragestellungen eine höhere Priorität ein als im neutralen Österreich.“ Roithner bedauert das Ende der Akkreditierung der European Peace University im burgenländischen Stadtschlaining im Jahr 2014 und folgert: „Mit dem Ende der Schlaininger Friedensuniversität ist das diesbezüglich ohnehin arme Österreich noch um ein Stück ärmer geworden. Der Vergleich mit Schweden, Finnland oder der Schweiz [ebenfalls offiziell neutral und ebenso Standort von Organisationen der Vereinten Nationen] unterstreicht das.“ Ob man seine Analyse der deutschen Zustände so stehen lassen kann, soll hier offen bleiben (was würde mensch sich an politischer und finanzieller Unterstützung für wirklich kritische Organisationen, wie etwa BITS, wünschen!), für Österreich hofft er auf eine Verbreiterung der Diskussion, weg vom Denken in den engen Bahnen der „Versicherheitlichung“.
Die Paperback-Ausgabe von „Märkte, Macht und Muskeln“ hat die ISBN-Nummer 978-3-99057-541-3, kostet 12,99 Euro und ist im Morawa-Verlag erschienen, auch eine Hardcover-Ausgabe wird angeboten.