Was hat der Reformationstag mit Halloween zu tun? Offensichtlich nichts – außer an diesem Tag erscheint ein DAKS-Newsletter, denn dann wird deutlich: eine Reformation des deutschen Rüstungsexportkontrollregimes ist dringend nötig, sonst regiert das Grauen.
Da die Bundesregierung auf Nachfrage von Omid Nouripour (MdB / Bündis ’90/Die Grünen) die Zahlen über die genehmigten Rüstungsexporte im Jahr 2019 veröffentlichen musste, ist inzwischen bekannt, dass einiger Grund zu Sorge und Schrecken besteht. – Mehr dazu im neuen Newsletter!
Gleichzeitig zeigen jedoch die Verhandlungen zwischen Deutschland und Frankreich zur Angleichung der Standards des Rüstungsexport, dass auch dann, wenn an eine Reform bestehender Regelungen gedacht wird nicht immer Grund zur Hoffnung besteht. – Auch dazu mehr im neuen Newsletter.
Weitere Themen: die deutsche Sektion von pax christi bekommt einen neuen Präsidenten. Und: die Geschichte des U-Boot Bunkers Valentin / Bremen-Farge rekonstruiert und thematisiert in einem Comic.
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DAKS-Newsletter Oktober 2019
pax christi bestätigt neuen Präsidenten
Auf der diesjährigen Bundes-Delegiertenkonferenz von pax christi, die vom 26.-27.10.2019 in Fulda stattfand, wurde der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf als neuer bischöflicher Präsident der deutschen Sektion von pax christi bestätigt. Die 17-jährige Präsidentschaft des ehemaligen Fuldaer Bischofs Heinz-Josef Algermissen ging damit zu Ende. Welche Akzente der neue Präsident setzen wird, bleibt abzuwarten. Da die deutsche Bischofskonferenz angekündigt hat, ein neues friedensethisches Grundsatzpapier entwickeln zu wollen, wird es jedoch zahlreiche Möglichkeiten geben, die Debatte mit neuen Impulsen zu beleben.
Deutsche Rüstungsexporte 2019: Neuer Negativ-Rekord beim Waffenhandel
Presseerklärung von Aktion Aufschrei –Stoppt den Waffenhandel
Rüstungsexportgenehmigungen mit 6,35 Mrd. Euro bereits jetzt über Vorjahreswerten
„Die Bundesregierung genehmigte allein von Januar bis Ende September 2019 Rüstungsexporte in Höhe von 6,35 Mrd. Euro, wie aus einer parlamentarischen Anfrage von Omid Nouripour (Bündnis ’90 / Die Grünen) hervorgeht. Damit wurden bereits jetzt mehr Kriegswaffen und Rüstungsgüter genehmigt als in den beiden Vorjahren (2018: 4,48 Mrd. Euro, 2017: 6,24 Mrd. Euro). Dieser Negativ-Rekord offenbart aufs Neue den skandalösen Widerspruch zwischen dem Mantra von der restriktiven Genehmigungspolitik der Bundesregierung und der de facto exportfreundlichen Praxis.
Die GroKo nimmt die tödliche Wirkung dieser Exporte billigend in Kauf und exportiert damit Gewalt und Terror Made in Germany – das muss eine Ende haben!“, fordert Christine Hoffmann, pax christi-Generalsekretärin und Sprecherin der „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“
„Der höchste Genehmigungswert entfiel auf Ungarn (1,7 Mrd. Euro), das die NATO-Osterweiterung mit Deutschland vorantreibt und die Festung Europa durch seine Grenzpolitik massiv unterstützt. Dahinter folgt bereits Ägypten mit über 800 Mio. Euro. Ebenso befinden sich die Vereinigten Arabischen Emirate mit ca. 200 Mio. Euro unter den Top-Ten-Empfängern deutscher Rüstungsexporte. Allein diese Genehmigungen für die Länder der von Saudi-Arabien geführten Militärkoalition im Jemen entbehren jeder gesetzlichen und moralischen Grundlage und müssen endlich umfassend gestoppt werden. Wer, wie der Bundessicherheitsrat, Kriegswaffenexporte an Ägypten und die VAE genehmigt, der leistet Beihilfe zur vielfachen Verletzung von Menschenrechten und des humanitären Völkerrechts im Jemen-Krieg“, kritisiert Jürgen Grässlin, DFG-VK-Bundessprecher und Sprecher der „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“. Dabei verweist er auf den Offenen Brief an den Bundessicherheitsrat vom 18.09.2019, in dem mit 55 weiteren Organisationen die Forderung nach einem umfassenden Exportstopp an die Jemen-Militärkoalition erhoben wurde.
„Insgesamt zeigt sich abermals, dass es dringend eines Rüstungsexportkontrollgesetzes bedarf, das eindeutig und einklagbar festlegt, dass u. a. kriegsführende und menschenrechtsverletzende Staaten keine Rüstungsgüter aus Deutschland erhalten dürfen. In der Neufassung der Politischen Grundsätze, die rechtlich nicht bindend sind, kann keine ernstzunehmende Verbesserung in dieser Hinsicht erblickt werden“, so die Koordinatorin der „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ Susanne Weipert. Sie weist dazu auf die vergleichende Auswertung der Politischen Grundsätze durch die Kampagne hin, die in den nächsten Tagen veröffentlicht wird. Diese hat gezeigt, dass der größte Teil der vermeintlichen Neuerungen nur eine Ausformulierung der geübten Praxis darstellen und fügt hinzu: „Neu ist v.a. die Ausrichtung auf die europäische rüstungs- und verteidigungspolitische Zusammenarbeit. In der Folge werden die Rüstungsexporte aus europäischen Gemeinschaftsprojekten zunehmen und die nationalen Partnerländer eher weniger von ihrem Vetorecht bei kritischen Exporten Gebrauch machen.“
Aachener Vertrag: Gemeinsame Kultur des Rüstungsexports
Nachdem die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Mord an Jamal Khashoggi im Oktober 2018 ein Rüstungsexport-Moratorium gegenüber Saudi-Arabien verhängt hat, wurde von Seiten der europäischen Partner schnell Kritik laut: Das deutsche Vorgehen sei unangemessen, da durch die unilaterale Entscheidung auch der Export von Waffensystemen, die in Gemeinschaftsprojekten entwickelt und hergestellt werden, beeinträchtigt werde. Im Rahmen der Verhandlungen zum Aachener Vertrag vom 22. Januar 2019 beschlossen Deutschland und Frankreich deshalb „einen gemeinsamen Ansatz für Rüstungsexporte“ zu entwickeln (Art.4 Abs.3).
Dass es sich hierbei tatsächlich um einen Ansatz handelt, der den Export fördert und nicht kontrolliert und behindert, wird deutlich, je mehr Details über den Fortgang der Verhandlungen bekannt werden. Nach Informationen der Deutschen Welle soll es bei Gemeinschaftsprojekten künftig nämlich keine Veto-Möglichkeiten mehr geben, wenn der Projektanteil des Kooperationspartners 20% nicht übersteigt.
Die Konsequenzen einer solchen Regelungen wären dramatisch, da ein Rüstungsexport-Moratorium, wie es Deutschland nach dem Khashoggi-Mord verhängt hat, dann zwar noch möglich wäre, faktisch aber nur noch eingeschränkte Konsequenzen hätte. Ein Waffensystem wie der Eurofighter dürfte dann nämlich ohne Probleme weiter nach Saudi-Arabien verkauft werden. In Anbetracht der ohnehin begrenzten Wirkung deutscher Export-Moratorien – die veröffentlichten Zahlen über die im Jahr 2019 genehmigten Rüstungexporte zeigen es – verheißt eine solche Entwicklung nichts Gutes. Die einzige nennenswerte Konsequenz der gefundenen neuen Regelung könnte darin bestehen, dass künftig das genaue Ausmaß deutscher Rüstungsexporte weiter verschleiert wird, da die Intransparenz des Kontrollsystems durch diese Internationalisierung weiter erhöht wird.
„Valentin“ – der U-Boot-Bunker mit grausiger Baugeschichte in Bremen-Farge
Als ich einer Freundin erzählte, ich werde eine Besprechung von „Valentin“ machen, sagte sie: „Oh, Karl Valentin ist ja lustig.“ Als ich ihr das Cover der Graphic Novel mit dem Mahnmal „Vernichtung durch Arbeit“ von Fritz Stein in Grautönen mit algengrünen Farbtupfern hinhalte, ist sie natürlich still. Auch wenn das Thema niederdrückend ist: Hinsehen ist wichtig, damit die Losung: „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus! Für Frieden und Abrüstung!“ unterstrichen wird. Die auf der Website des Verlages dargestellten Seiten 66/67 [1] ermutigten mich, zur Erinnerung des Grauens beizutragen. Das Buch ist schwerwiegend und hochwertig gestaltet, dem Thema wohltuend angemessen.
Die Graphic Novel von Jens Genehr ist, nach sechs Jahren des Zeichnens, zeitnah zum 1. September 2019, dem 80. Jahrestag des Einmarsches der Deutschen in Polen am 1. September 1939, erschienen. Das Buch hat fast 230 Seiten, ist in schwarz/weiß gezeichnet und mit einem kurzen Nachwort [2] versehen. Die Innenseiten des Buches sind in strahlendem Sonnengelb ausgelegt – ein gelungener Gegensatz zur „Hölle“ der Geschichte. Das Buch ist in 14 Kapitel aufgeteilt, jeweils durch eine leere Seite unterteilt. Die zentrale Handlung beleuchtet die Zeit von April 1944 bis April 1945. Umrahmt wird der Hauptteil von einer kurzen Einleitung des Autors mit Gedanken zum Schaffensprozess („Die nun folgende Geschichte ist bitter, ohne Zucker.“), von anschließend der Entnazifizierung des dokumentierenden Fotografen (1946) und von zwei Interviews aus den Jahren 1981 und 1991 mit Zeitzeugen. Die Geschichte beginnt unerwartet locker mit der Auftragsvergabe der Dokumentationsfotos und einer Bootsfahrt mit begeisterten Auftraggebern.
In den Jahren 1943 bis 1945 befand sich eine der größten Baustellen Europas in Bremen-Farge. Die verbunkerte U-Boot-Werft der Nationalsozialisten erstreckte sich auf 450 m Länge mit 4 – 7 m dicken Decken und Wänden. Die Kriegsmarine unter Großadmiral Dönitz war Auftraggeber für dieses Rüstungsbauprojekt, dem höchste Priorität eingeräumt wurde. Ab März 1945 sollten „Unterseeboote des neuartigen Typs XXI“ (Valentin, S. 18) fertiggestellt werden, ab Herbst 1945 alle zwei Tage ein neues Boot vollendet sein. [3] Im August 1944 verrichteten circa 10.000 Arbeiter auf der riesigen Baustelle die Arbeit, darunter viele Fremdarbeiter (heute: „zivile Zwangsarbeiter“), z. B. im Russenlager „um die 1000 Stück“ (S. 56) [4]. Mehr als 1300 Arbeiter (namentlich gesichert, plus Dunkelziffer) starben vor Ort. Allein die Ausmaße dieser Zahlen sind erschreckend.
Schon auf S. 41 wird die menschenverachtende Haltung deutlich, die dem ganzen Geschehen zu Grunde liegt. Beim Schönfotografieren der Baustelle ist der Fotograf über ins Bild laufende Arbeiter verärgert: „He! Ihr versaut mir das Bild!“ Erst ab Kapitel 5 wird bei der Schilderung des Baualltags die Brutalität gegenüber den Bauarbeitern beklemmend wirklichkeitsnah dargestellt. Sie steigert sich bis zum Tod eines Arbeiters, der vom Gerüst in den flüssigen Beton stürzt und ertrinkt (S. 137) und im Kannibalismus der Überlebenden im Chaos der Flucht (S. 194). Offener Widerstand wie Besetzen der französischen Baracke (S. 191) und Rebellion (S. 196/7) sind erst in diesen letzten Tagen des Krieges möglich. Dann gab es auch Hilfe von außen in Form von zugeworfenen Essensdosen. Zuvor bestand der Widerstand einzelner wie dem Fremdarbeiter Raymond Portefaix darin, sich gezielt gesundheitlich zu schädigen und damit die Einweisung ins Krankenlager zu bewirken (S. 150-170).
Es war für Genehr spannend, die Täter- und die Opferperspektive miteinander zu verschmelzen. Um Geschichte fühlbar-lebendig werden zu lassen, stellt er die beiden realen Personen Raymond Portefaix, einen mit 18 Jahren in Zentralfrankreich gefangenen Fremdarbeiter, und den Fotografen Johann Seubert, der die Baustelle fotografisch dokumentiert hat, einander gegenüber. Die Fotos sind nicht als Originalfotos eingebunden, sondern als zeichnerische Inspiration verwendet worden. Nur im Nachwort sehen wir zwei davon. Auf S. 66 sehen sich die beiden Hauptpersonen bei der einzigen dargestellten Begegnung ins Gesicht. Raymond P. kommt als Fremdarbeiter im Lager an und Johann S. ist nach getaner Arbeit auf dem Heimweg. Groß und „ewig“ ist die „Hölle“ (beide S. 200), in der Raymond P. ein gutes Jahr verbringen musste. „Das Schlimmste war die Summe der unnötigen Leiden.“ [5] Dagegen war die kleine Privathölle des Täters Johann S., seine ihn belauschende Ehefrau, die ihn bedrohte („Sonst findest du dich auch noch im Streifenanzug wieder!“, S. 91), zeitlich überschaubar – er ahnte schon 1944 das bevorstehende Kriegsende. Das geht aus seinem Gespräch mit der Sekretärin auf der Bootsfahrt hervor (S. 47) sowie aus seinem miesen Gefühl (S. 133). Ein „Teil dieser Hölle, die Dante nicht vorhersehen konnte“, waren für Raymond P. die Vorwürfe bei der Heimkehr von 30 Überlebenden in seinem französischen Heimatort Murat: „Wieso hast du überlebt und die anderen [neunzig] nicht?“ (alle drei S. 227 [6]). Die traumatisierenden Erinnerungen an „Hass“, „Hunger“ und „totale Enthumanisierung“ (S. 223/4) blieben. Ungeschoren kam hingegen der ehemalige Koordinator der Planungsarbeiten für die Baustelle „Bunker Valentin“, Herr Dr. Lackner, davon. Noch 1981 kam der beruflich auch nach dem Krieg Erfolgreiche während eines Radiointerviews über das „viel an [technisch] Neuem“ (S. 216) ins Schwärmen beim Bau der Bunker-Werft. Er sagte in diesem Interview: „Die Arbeitsbedingungen waren für alle gleich.“ (S. 218) Das Wort „schlimm“ hat er weggelassen.
Nach fast vier Jahren Umbau ist der ehemalige Bunker seit November 2015 als „Denkort Bunker Valentin“ eine Gedenkstätte. Aus der ehrenamtlichen Arbeit des Autors vor Ort heraus entstand diese sehr lesenswerte Graphic Novel. Sein Buch ist eine gelungene Einladung, dieses Bau-Monstrum einmal persönlich zu besuchen. Immer dienstags bis freitags zwischen 10 und 16 Uhr sind das Gelände und das Informationszentrum geöffnet.
Heike Oldenburg, Oktober 2019
Jens Genehr, „Valentin“, 240 Seiten, Fadenheftung, Hardcover, Leinen, 20,6 × 26,8 cm, Nachwort von Christel Trouvé ( wissenschaftliche Leitung Denkort Bunker Valentin ) und Karen Struve (Literaturwissenschaftlerin Universität Kiel ), Golden Press Bremen 2019, 32 €
[1] https://thegoldenpress.org/
[2] verfasst von Christel Trouvé, wissenschaftliche Leiterin am Denkort Bunker Valentin (Landeszentrale für politische Bildung Bremen) und Karen Struve, Literaturwissenschaftlerin Universität Kiel
[3] https://www.denkort-bunker-valentin.de/geschichte/historische-einfuehrung/beitraege/news/geschichte-des-bunker-valentin-in-bremen-farge.html?tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&cHash=ba33ce650ad2ce28c14f583e5f52f544 , Zugriff 29. September 2019
[4] Wie eine Ware, ein Ding wird hier über als „minderwertig“ gedachte Menschen gesprochen. Valentin, S. 56
[5] https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/gesellschaft/comic-bunker-valentin-farge-102.html , Zugriff 1.10.2019
[6] Der Originaltitel des 1947 in Frankreich erschienenen, tagebuchähnlichen Berichts: „L`Enfer que Dante n´avait pas prévu“, 1995 in übersetzten Ausschnitten im Sammelband „Hortensien in Farge“ in Bremen veröffentlicht