Der Kleinwaffenhersteller Heckler & Koch durchlebt gerade turbulente Zeiten: In Deutschland werden Rüstungsexporte zunehmend kritisch beurteilt – mehr dazu im neuen Newsletter! – und im Unternehmen selbst scheint ein Machtkampf zwischen dem (bisherigen) Mehrheitseigentümer Andreas Heeschen und einem ungenannten Investor (der teilweise mit Nicolas Walewski identifiziert wird) ausgebrochen zu sein. Keine guten Aussichten für die angekündigte außerordentliche Hauptversammlung, die noch vor Weihnachten stattfinden soll. – Mehr dazu im neuen Newsletter.
Weitere Themen: Das Deutsche Bündnis Kindersoldaten hat seinen „Schattenbericht“ veröffentlicht, der Landminenmonitor 2019 ist erschienen und dem „Verein der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ ist der Status der Gemeinnützigkeit abgesprochen worden. Außerdem: ein Blick auf Stanislaw Lem und seine Vision von „Waffensystemen im 21.Jahrhundert“.
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DAKS-Newsletter November2019
Heckler & Koch: Die Gerüchteküche brodelt
Bekanntermaßen steht Heckler & Koch seit Jahren in der Krise. Während der Waffenhersteller einerseits einen Schuldenberg von rund 235 Millionen Euro angehäuft hat, sind die Gewinne gleichzeitig gesunken, sodass das Unternehmen trotz diverser Großaufträge in den vergangenen Jahren immer wieder Verluste verbuchen musste. Dies scheint in diesem Jahr zwar anders zu werden – wenn aufgrund der veröffentlichten Quartalszahlen derzeit von einem Gewinn von 1,3 Millionen Euro ausgegangen werden darf, so scheint aber auch das noch nicht eine Trendwende im strengen Sinn zu sein.
So ist es naheliegend, dass an dem im Juli 2019 zwischen HK und der IG Metall ausgehandelten Tarifvertrag weiterhin festgehalten wird, denn dieser sieht zwar einerseits unbezahlte Mehrarbeit für die Mitarbeiter im Umfang von 2,5 Stunden pro Woche vor, gleichzeitig stellt das Unternehmen aber zusätzliche Investitionen zur Prozessoptimierung in Aussicht.
Umso komplizierter wird es, wenn nun erneut Gerüchte laut werden, die viele Fragen aufwerfen, aber kaum Grundlagen bieten, um Antworten zu finden. So hat HK am 12. November 2019 eine außerordentliche Hauptversammlung seiner Aktionäre einberufen. Der Antrag zur Einberufung dieser Versammlung kam von Andreas Heeschen, dem derzeitigen Mehrheitsaktionär der HK AG, und der einzige Gegenstand der Tagesordnung war bisher die Frage der Vergütung der Aufsichtsratmitglieder. Geht es nach dem Willen von Heeschen sollen diese Bezüge nämlich erhöht werden. Wenige Tage später, nämlich bereits am 18. November 2019 beantragte Heeschen, die Tagesordnung um zwei Punkte zu erweitern: Er beantragte, den Aufsichtsrat auf vier Mitglieder zu erhöhen und möchte selbst in den Aufsichtsrat gewählt werden. Sicherlich ist Spontaneität zu begrüßen, bei so wichtigen Fragen wie der Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung überrascht es jedoch, wenn lediglich ein einziges Thema zur Debatte steht und der Antragsteller selbst diesen Antrag dann in einem zweiten Schritt noch erweitern muss.
Angesichts dieser Situation hat die IG Metall nun ein Prüfungsverfahren eingeleitet, in dem geklärt werden soll, ob die Grundlagen, die zur Annahme des Sanierungs-Tarifvertrages geführt haben, noch gegeben sind, denn wenn der Mehrheitsaktionär eines kriselnden Unternehmens nicht nur die Erhöhung der Management-Gehälter, sondern auch noch die Erweiterung des Aufsichtsrates und seine eigene Bestallung zum Aufsichtsrat beantragt, dann hat das auf den ersten Blick wenig mit Zurückhaltung zu tun, wie sie angesichts von Krise und Sanierung geboten scheinen.
Parallel zu dieser Entwicklung sind Gerüchte laut geworden, dass Nicolas Walewski, einer der bisherigen Großaktionäre von HK, seinen Anteil erhöhen und die Unternehmensmehrheit erwerben möchte. Bereits am 8. November 2019 reagierte HK auf diese Meldungen mit einer Pressemitteilung, in der mitgeteilt wurde, dass dem Unternehmen keine Informationen über Verschiebungen in den Mehrheitsverhältnissen bekannt sind, dass es aber sehr wohl darüber informiert ist, dass dem Bundeswirtschaftsministerium ein Antrag zu einem entsprechenden Erwerb vorliegt und die Genehmigung des entsprechenden Geschäfts geprüft wird. Soll heißen: Das Unternehmen ist sehr wohl darüber informiert, welche Überlegungen im Hintergrund laufen, möchte darüber aber nicht öffentlich sprechen. Das ist sicherlich keine Entscheidung zur Steigerung der Transparenz und hilft nicht, die bestehenden Unklarheiten zu beseitigen.
So unklar, wie die Struktur und die Situation des Kleinwaffenherstellers scheint unter diesen Umständen auch die Frage, wie es mit der Ausschreibung zur Beschaffung einer Nachfolgebewaffnung für das G36-Schnellfeuergewehr der Bundeswehr weitergehen wird, denn ein Rüstungsunternehmen, dass sich in einer kontinuierlichen Krise bewegt, ist doch eigentlich kein zuverlässiger Lieferant für die Bundeswehr.
Engagement zeigt Wirkung – Mehrheit im Bundestag für Rüstungsexportkontrollgesetz!
Pressemitteilung von Aktion Aufschrei
„Der jahrelange Einsatz der ‚Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!‘ für ein Rüstungsexportkontrollgesetz zeigt jetzt Wirkung in der politischen Debatte im Deutschen Bundestag. Das stärkt unsere Motivation, weiter gegen deutsche Waffenausfuhren zu kämpfen, die den nationalen und internationalen Regelungen widersprechen. Eine Mehrheit in der Bevölkerung gegen Waffenexporte in Kriegs- und Krisengebiete haben wir schon seit Langem hinter uns“, betont die Kampagnensprecherin und pax christi-Generalsekretärin Christine Hoffmann. Hintergrund dieser Erfolgsmeldung: Im Deutschen Bundestag zeigte sich am vergangenen Donnerstag, dass es auch hier endlich eine Mehrheit für ein Rüstungsexportgesetz gibt. In der Plenardebatte am 14.11. über verschiedene Anträge zum Thema Rüstungsexporte sprachen sich die Redner der SPD für ein „Rüstungsexport(Kontroll-)Gesetz“ aus. Frank Junge (SPD) zeigte sich zudem zuversichtlich, dass dieses noch in der aktuellen Legislaturperiode verabschiedet wird. Die Linke und Bündnis90/Die Grünen kämpfen seit Jahren dafür, die FDP hatte sich in ihrem jüngsten Wahlprogramm für ein derartiges Gesetz ausgesprochen.
„Entscheidend ist jetzt, dass, wenn die Politischen Grundsätze der Bundesregierung betreffend Rüstungsexporte in Gesetzesform gegossen werden, die Lücken und Schwachstellen entweder vorher oder im Schreibprozess des Gesetzes geschlossen und beseitigt werden müssen. Diese Schwächen wurden durch eine Auswertung der jüngst überarbeiteten Grundsätze durch die Kampagne erneut offenbar. Zudem muss in dem Rüstungsexport(Kontroll-)Gesetz unbedingt ausgeschlossen werden, dass die bisher geübte Unterscheidung nach Ländergruppen und Bevorteilung z. B. von NATO-Ländern weiter Bestand hat. Denn das Beispiel Türkei zeigt, dass Bündnisinteressen nicht gegen die Einhaltung des Völkerrechts, die Achtung der Menschenrechte und das Gebot des Gewaltverzichts abgewogen werden dürfen. Sie sind für alle Staaten verpflichtend und müssen entsprechend der Maßstab bei jeder Exportgenehmigung sein“, so Susanne Weipert, Koordinatorin der „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“.
„Dass jetzt im Bundestag tatsächlich eine parlamentarische Mehrheit für dieses lang umkämpfte Ziel vorhanden ist, ist ein großer Erfolg der Friedensbewegung und aller Rüstungsexportgegner*innen. Die Kampagne ‚Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!‘ fordert daher alle Bundestagsabgeordneten auf, diese Chance umgehend zu nutzen und ein entsprechendes Gesetzgebungsverfahren unter Beteiligung der Friedensbewegung und friedensbewegter Organisationen in die Wege zu leiten“, ergänzt Hoffmann.
● Weitere Informationen zur Pressemitteilung und zum Aufschrei-Netzwerk gibt es hier.
Schattenbericht Kindersoldaten erschienen
Bei einer Pressekonferenz des Deutschen Bündnis Kindersoldaten in Berlin haben terre des hommes und Kindernothilfe den Schattenbericht Kindersoldaten vorgestellt. Wie Ralf Willinger, Referent Kinderrechte und Friedensarbeit bei terre des hommes, mitteilt, sind deutsche Waffenexporte und die Auswirkungen auf Kinder ein Schwerpunkt des Berichts, neben der Thematik „Minderjährige in der Bundeswehr“. (Dass dieses Thema von der Bundeswehr immer noch erledigt wurde, d. h. dass garantiert keine Minderjährigen mehr angeworben und ausgebildet werden, ist schon ein Skandal an sich).
Alle Infos (mitsamt der Pressemitteilung, den Statements der Pressekonferenz und dem vollständigen Schattenbericht) finden sich auf den Internetseiten www.kindersoldaten.info oder www.tdh.de.
Landminen Monitor 2019 veröffentlicht
Am 21. November 2019 wurde der Landminen Monitor 2019 veröffentlicht und in Genf vorgestellt, wie Landmine.de berichtet. Der „Monitor“, der im vierten Jahr in Folge erscheint, informiert über die außergewöhnlich hohen Unfallzahlen mit Landminen und auch mit Blindgängern. Im Jahr 2018 seien 6.897 Menschen verletzt oder getötet worden – auf eine hohe Dunkelziffer wird extra hingewiesen. Auch die ARD berichtete und spricht von mehr als 3000 Toten und etwa 3800 Verletzten (Beitrag von Mathias Zahn, mit einem Interview mit Eva Maria Fischer von der Hilfsorganisation Handicap International). Die Opfer seien zum größten Teil Zivilist*innen, jedes zweite Opfer sei ein Kind. Dies sind alarmierend hohe Zahlen, selbst wenn sie im Berichtsjahr leicht zurückgegangen sind, denn immerhin sind die jetzigen Opferzahlen doppelt so hoch wie 2014. Besonders betroffen vom Einsatz dieser Waffen seien Kriegs- und Krisengebiete wie Afghanistan, Mali, Myanmar, Nigeria, Syrien und die Ukraine – zu den am meist-verminten Ländern gehören, so Fischer, Kambodscha und Bosnien. Viele Minen würden in den letzten Jahren von nicht-staatlichen Streitkräften eingesetzt und diese Minentypen seien auch oft selbstgebaut – was allerdings nicht die Tatsache verdecken darf, dass reiche Staaten billige Minen jahrzehntelang eingesetzt und vor allem exportiert haben und dass diese Minen weiterhin eine Lebensgefahr darstellen. Wie Landmine.de berichtet, sind insgesamt 60 Staaten und Gebiete weltweit mit Minen und explosiven Kriegsresten verseucht. Die Vertragsstaaten des Ottawa-Vertrags von 1997 haben sich das Ziel gesetzt, bis 2025 eine weitgehend minenfreie Welt zu erreichen, wie etwa in Mozambique geschehen. Doch dies kann nur gelingen, wenn die entsprechenden Organisationen (vor allem finanzielle und auch logistische) Unterstützung bekommen. Fischer weist darauf hin, dass die deutsche Bundesregierung zwar viele Mittel bereitstelle, aber, wie andere Geldgeber-Staaten auch, auf bestimmte Länder fokussiere. Dadurch würden Länder und Regionen, in denen anscheinend nicht mehr viel zu tun sei, (schrecklicherweise) „durchs Raster fallen“. Es ist also weiter dringend nötig, die Minenräumung aktiv und umfassend zu unterstützen!
Pressemitteilung der VVN-BdA vom 22. November 2019
Antifaschismus muss gemeinnützig bleiben!
Schwerer Angriff auf die VVN-BdA
Am 4. November hat das Finanzamt für Körperschaften I des Landes Berlin der Bundesvereinigung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) e.V. die Gemeinnützigkeit entzogen. Damit verbunden sind vorerst Steuernachforderungen in fünfstelliger Höhe, die noch in diesem Jahr fällig werden. Weitere erhebliche Nachforderungen sind zu erwarten und auch zukünftig drohen wesentlich höhere steuerliche Belastungen. Damit ist die VVN-BdA in ihrer Existenz bedroht. Das Finanzamt Berlin handelt damit anders, als das Finanzamt Oberhausen-Süd, das der Landesvereinigung NRW die Gemeinnützigkeit am 22. Oktober gewährt hat. In beiden Fällen war derselbe Vorwurf erhoben worden. Er besteht darin, dass die Landesvereinigung Bayern der VVN-BdA im bayrischen Verfassungsschutzbericht wiederholt als linksextremistisch beeinflusst dargestellt wird. Während das Finanzamt Oberhausen-Süd der Widerrede der VVN-BdA im Anhörungsverfahren entsprach, beharrt das Berliner darauf, dass „der volle Beweis des Gegenteils, als Widerlegung der Vermutung als extremistische Organisation“ nicht erbracht worden sei. Das bedeutet, dass die Bewertung durch eine nachgeordnete bayrische Landesbehörde, die laut bayrischem Gerichtshof keine Tatsachenbehauptung darstellt, demnach über das Schicksal einer bundesweit arbeitenden zivilgesellschaftlichen Organisation entscheiden dürfen soll.
Von Überlebenden der Konzentrationslager und Gefängnisse 1947 gegründet, ist die VVN-BdA seitdem die größte, älteste, überparteiliche und überkonfessionelle Organisation von Antifaschistinnen und Antifaschisten Deutschlands. Sie vertritt die Interessen von Verfolgten und Widerstandskämpfern, sowie deren Nachkommen, tritt für Frieden und Völkerverständigung ein und hat gegen große gesellschaftliche Widerstände wesentlich dafür gesorgt, dass die Verbrechen des Nazi-Regimes nicht in Vergessenheit geraten sind, u. a. durch den Einsatz für die Errichtung von Gedenkstätten und Erinnerungsorten und vielfache Zeitzeugenarbeit. Sie informiert über aktuelle neofaschistische Umtriebe und organisiert den Widerstand in breiten Bündnissen.
Wir sind entsetzt und empört darüber, dass sich das Berliner Finanzamt die haltlosen Unterstellungen der bayrischen Behörde ungeprüft zu eigen macht. Damit behindert es genau das zivilgesellschaftliche Engagement, das von Regierung und Parteien angesichts schrecklicher rechtsterroristischer Verbrechen allenthalben eingefordert wird.
Wir fordern die Anerkennung der Gemeinnützigkeit für unsere Organisation!
Wir fordern praktische Unterstützung für alle zivilgesellschaftlichen Gruppen und Organisationen, die die Grundwerte des Grundgesetzes gegen rassistische, antisemitische, nationalistische und neofaschistische Angriffe verteidigen!
Cornelia Kerth, Dr. Axel Holz
Bundesvorsitzende
Pressekontakt: Bundesgeschäftsführer Thomas Willms, Tel.: 0176-22638719
● Hier gibt es alle Informationen zur Petition.
Wieder gelesen: Lems „Waffensysteme des 21. Jahrhunderts“
von André Sven Maertens
Der polnische Autor Stanisław Lem (1921-2006) wird von vielen als Verfasser von Science-Fiction-Literatur gesehen, doch tatsächlich gehen seine Texte deutlich über jene SF-Romane und -Filme hinaus, in denen lediglich Abenteuer, Kampf und Heldentum beschrieben werden. Neben seinen philosophischen und essayistischen Arbeiten, die als gesellschaftskritisch gelten müssen, hat er fiktiv anmutende und durch die darin enthaltenen Gedankenspiele enorm anregende Texte vorgelegt, die auch aus antimilitaristischer Sicht interessant sind. So erschienen neben Publikationen wie „The World as Holocaust“ (im Deutschen als „Das Katastrophenprinzip“ veröffentlicht) eben auch Texte wie „One Human Minute“ („Eine Minute der Menschheit“) und „Weapon Systems of the 21st Century or the Upside Down Evolution“ („Waffensysteme des 21. Jahrhunderts“). Letzteres Werk erschien in Westdeutschland 1983 bei Suhrkamp (in der deutschsprachigen Übersetzung von Edda Werfel) und ist aufgrund vieler Anspielungen auf Militärtechnik und soldatische Denkweise besonders spannend und bildend – wir dürfen nicht vergessen, dass Lem diese Texte mitten im (nur in Europa) „kalten“ Krieg schrieb, während der scharfen Überwachung und Repression (etwa der Gewerkschaften) durch die polnischen Kommunisten bzw. Offiziere vom Schlag eines Wojciech Jaruzelski. Kein einfaches Terrain also, um über Waffen und Soldaten zu sprechen.
Zu Anfang dieses Buchs beschreibt Lem in einem genüsslich zu lesenden, beinahe leicht naiv daherkommenden Ton, dass er auf seltsamen Wegen zu Informationen über die zukünftige Kriegstechnik gekommen sei, dies ist ein literarisch fein gemachter Zug, um einen fiktiven Text zu schreiben und gleichzeitig über die jetzige Gesellschaft und Menschheit zu sprechen. Das ist Science-Fiction im eigentlichen Sinn des Wortes, nicht etwa jene US-Fantasien von „Jedi-Rittern“ im Krieg mit irgendwelchen „Todessternen“! Lems Stil ist dabei immer leicht ironisch, nebenbei Zweifel andeutend und dem Erzählkonzept des Textes folgend fast schelmenhaft, obwohl es doch nur um die Wahrheit (?) geht: Er erklärt zum Beispiel die Funktionsweise von „Synsekten“, das sind synthetische Insekten, die statt der früher eingesetzten menschlichen Soldaten überaus futuristische Kriege führen sollen. Hierbei kommt Lem auf das Thema der künstlichen Intelligenz zu sprechen – schon 1983! Nebeneffekt dieses Themenfelds ist die Frage, wie intelligent eigentlich Soldaten sein müssen, um ihre „Aufgabe“ (also Kämpfen und Töten) wirkungsvoll ausführen zu können. Jene neu entwickelten synthetischen „Mikrosoldaten“ hätten – heißt es auf S. 69 – „am Ende so viel Verstand wie die Ameise oder Termite“. Auf S. 48 hatte er bereits geschildert, dass man sich kaum habe vorstellen können (oder wollen?), „daß für den gemeinen Soldaten an der Kampffront die Aufgewecktheit und die Routine einer Biene oder Hornisse völlig ausreicht“. Und an gleicher Stelle lesen wir: „Auf niedriger Stufe der militärischen Organisation sind Verstand und Gefechtswirksamkeit zwei völlig verschiedene Dinge.“ Na, wenn also Intelligenz gar nicht nötig ist, um Soldat zu sein… Und ohnehin seien diese Soldaten nur für den „einmaligen Gebrauch“ vorgesehen. Dazu heißt es auf S. 69 weiter: „Übrigens waren manche Antimilitaristen auch früher der Meinung, daß mit Rücksicht auf die hohe Sterblichkeit im modernen Krieg alle seine Teilnehmer mit Ausnahme der hohen Dienstränge ‚Soldaten für den einmaligen Gebrauch‘ waren.“ Lasst euch also von den Oberen in die Uniform stecken und wegschießen, denn von euch gibt es genug und kümmern tut´s auch keinen. Wie Ameisen, auf euch kann man verzichten, nachdem man euch „verheizt“ hat. Sozial- und Kriegskritik besonderer Güte, mit einem Seiten-Hieb auf die Soldaten, die in ihrer Dummheit genau diese „Behandlung“ brav mitmachen.
Am Ende werden für das Militär, so Lem, gar keine menschlichen Truppen mehr benötigt, denn die Kampfeinsätze werden gänzlich mit Hilfe der KI geleitet. Die uns bekannte Evolution wird sich in eine „Involution“ verkehren, bei der statt der traditionellen Großwaffensysteme winzige Kampfeinheiten erschaffen werden (bzw. sich selbst erschaffen), die sich in viele kleine Einheiten getrennt auf das Ziel zubewegen und sich erst kurz vor dem Angriff zu einer Waffe, etwa einer Interkontinentalrakete, zusammensetzen. Diese Verdrängung des Menschen geht unaufhaltsam weiter, bis am Ende auch die „hohen Dienstränge“ überflüssig bzw. aus dem Geschäft geschmissen werden, weil die Maschinen alles selbst übernehmen, das Militär und dann auch die Politik und die Gesellschaft. Von der Ebene der „Zukunftsbetrachtung“ auf das wirkliche Polen zurückschauend, ist das schon eine fantastische Spitze, angesichts von Kriegsrecht und willkürlicher staatlicher Gewalt in jener Zeit.
Dementsprechend kommt Lem dann auf „Diversanten“ zu sprechen, auf jene Menschen also, die sich der aufgezwungenen Gesellschafts-„Ordnung“ widersetzen. Diese Leute gibt es unter den sogenannten „niederen“ Berufsoffizieren ebenso wie unter allen anderen Bürgerinnen und Bürgern – ein versteckter Hinweis darauf, dass der Terror alle treffen kann und alle sich dagegen wehren können und dies auch tun sollten? Im Text wird ein Aufstand einiger dieser Offiziere angesprochen und im Folgenden heißt es auf S. 71 gefährlich deutlich: „Mit wahrhaft ekelhafter, von niemandem mit Absicht geplanter Bosheit, von der Geschichte selbst, wurde mit Mikrospionen und Minipolizei, nach dem Muster einer bestimmten Schabe konstruiert, der Aufstand niedergeschlagen.“ Dies nun zu deuten, vor dem Hintergrund Polens im Staats-Kommunismus oder auch vor dem Hintergrund anderer Diktaturen damals und heute, bleibt jeder und jedem selbst überlassen. Lesen jedoch sollten die Leute das knapp 84 Seiten starke Büchlein unbedingt, denn wir befinden uns ja heute im 21. Jahrhundert und von dem, was Lem vor fast 40 Jahren (und mehr) beschrieben hat, ist einiges schon Realität geworden und anderes droht es noch zu werden. In Polen und anderswo.