Aufstehen für Menschenrechte! Aufstehen für einen Stopp von Rüstungsexporten! In Ingolstadt, in Deutschland, in Europa, weltweit

Warum wir nicht länger duldsam sein dürfen.
Warum wir handeln müssen
für Menschenrechte, für Frieden, für Gerechtigkeit

Rede von Jürgen Grässlin
am 8. Dezember 2019
im Foyer/Großes Haus im Stadttheater Ingolstadt

Sehr geehrte Damen und Herren,

sehr geehrter Johann Pfeiffer, sehr geehrte Mitwirkende am Stadttheater Ingolstadt,

sehr geehrte Mitglieder der Unterstützerorganisationen dieses Tages,

liebe Menschenrechtsaktivist*innen von Amnesty International,

liebe Friedensfreund*innen,

liebe Kolleg*innen,

herzlichen Dank für die Einladung, an diesem für uns bedeutenden Tag hier an diesem wunderbaren Ort zu dem wirklich wichtigen Thema sprechen zu dürfen:

„Aufstehen für Menschenrechte!

Aufstehen für einen Stopp von Rüstungsexporten!

In Ingolstadt, in Deutschland, in Europa, weltweit

Warum wir nicht länger duldsam sein dürfen.

Warum wir handeln müssen

für Menschenrechte, für Frieden, für Gerechtigkeit“

Wir haben uns heute im Stadttheater Ingolstadt versammelt, um im direkten Vorfeld des Internationalen Tags der Menschenrechte am 10. Dezember 2019 zu analysieren, zu kritisieren, zu diskutieren – und um nach erfolgversprechenden Handlungsansätzen zu suchen.

Historisch betrachtet ist der 10. Dezember ein wichtiger Tag in der Menschheitsgeschichte. Im Jahr 1948 wurde eben an diesem Tag seitens der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Palais de Chaillot in Paris die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ verkündet.

Genau 71 Jahre danach werden um den 10. Dezember 2019 in aller Welt abertausende Reden für Menschenrechte, für Frieden und für Gerechtigkeit gehalten. Wohlfeile Worte, mahnende Worte, flehende Worte. Ich allerdings spreche erst einmal wütende Worte. Denn für diese meine Wut gibt es Gründe genug:

10. Dezember 2019. Ein Tag, an dem – wie jeden Tag – wieder Menschen in mehr als 140 Ländern gefoltert werden, also in Dreiviertel aller Länder. „In einigen Ländern handelt es sich um Einzelfälle, in vielen wird systematisch oder routinemäßig gefoltert“, analysiert Amnesty International (AI). „Folter findet im Verborgenen statt. Da die meisten Staaten meist mehr Energie darauf verwenden Folter zu vertuschen als sie zu bekämpfen, gibt es keine genauen Zahlen über die Verbreitung von Folter“ so AI.[1]

10. Dezember 2019. Ein Tag, an dem – wie jeden Tag – weit mehr als zwei Menschen hingerichtet werden. 2018 waren es – ohne China gerechnet – 690 Menschen, wie Amnesty International berichtet. Verantwortlich für mehr als drei Viertel dieser Exekutionen sind der Iran, der Irak, Vietnam und das westlich orientierte Saudi-Arabien. Schlimmer noch ist die Lage in China, wo 2018 sogar tausende Menschen hingerichtet wurden. „Mehr als im Rest der Welt“, schreibt Amnesty.[2]

10. Dezember 2019. Ein Tag, an dem – wie jeden Tag – hundertausende Uiguren in chinesischen Lagern psychisch und teilweise auch physisch gefoltert werden – so die aktuellen Erkenntnisse aus geleakten Regierungsdokumenten. Die vor wenigen Tagen unter dem Namen „China Cables“ veröffentlichten Dokus belegen schwere Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Sicherheitskräfte in China.[3]

10. Dezember 2019. Ein Tag, an dem – wie jeden Tag – mehr als 25 Kriege und bewaffnete Konflikte toben. Von den Medien und von uns viel beachtete kriegerische Konflikte, wie die in Afghanistan, in Syrien und im Irak. Gleichzeitig toben fernab der medialen Berichterstattung weithin unbeachtete Kriege oder bewaffnete Konflikte – allein zehn in Afrika.[4] Bewusst verdrängt wird vielfach der Krieg im Jemen, geführt seitens der Allianz um Saudi-Arabien auch mit deutschen Kriegswaffen.

10. Dezember 2019. Ein Tag, an dem – wie jeden Tag – etwa 32 Kinder Opfer von Kriegen werden – rund 12.000 sind es im Jahr. Tendenz steigend. „Diese Zahlen sind auch das Ergebnis der Bombardierungen von Schulen, Krankenhäusern und Marktplätzen in Syrien und im Jemen, der fast ausschließlich Zivilisten zum Opfer fallen, darunter immer wieder viele Kinder“, analysiert das Kinderhilfswerk terre des hommes.[5]

10. Dezember 2019. Ein Tag, an dem – wie jeden Tag – rund 15.000 Kinder unter fünf Jahren sterben, so die Berechnungen der Vereinten Nationen. 5,6 Millionen Kinder sind es im Jahr. Maßgebliche Todesursachen sind vor allem Lungenentzündungen und Durchfall. „Viele Neugeborene könnten gerettet werden, wenn die Mütter während der Schwangerschaft und bei der Geburt besser versorgt werden würden, sauberes Wasser und Zugang zu Toiletten hätten“, so die Weltgesundheitsorganisation WHO über unhaltbare Zustände und fehlende monetäre Mittel.[6]

10. Dezember 2019. Ein Tag, an dem – wie jeden Tag – rund 5 Milliarden US-Dollar für Rüstung ausgegeben werden. Das ergibt eine Gesamtsumme von 1822 Milliarden USD im Jahr für 2018 – nochmals 2,6 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Allein die USA investieren unter der Ägide des US-Präsidenten Donald Trump fast doppelt so viel Geld „wie die acht Länder auf den Plätzen zwei bis neun zusammen“, so die Recherchen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI.

Geld wäre also genug da, um die Behebung der wahren Menschheitsprobleme – wie die Bekämpfung des Hungers, Gesundheit und Bildung für alle Menschen u.v.a.m. – zu finanzieren. Deutschland rangierte 2018 mit 49,5 Mrd. USD für Rüstungs- und Militärausgaben im Übrigen auf dem unrühmlichen Platz 8 im weltweiten Ranking.[7]

10. Dezember 2019. Ein Tag, an dem – wie jeden Tag – wieder massenhaft Kriegswaffen aus industrialisierten Staaten in unterentwickelte Länder exportiert werden, um willfährige Regime an der Macht zu halten, die den Ländern des Nordens billige Rohstoffe und auch Arbeitskräfte zukommen lassen. Die katastrophale Entwicklung beim internationalen Waffenhandel schreitet laut SIPRI – wohlgemerkt seit 2003 – ungebrochen voran. Summa summarum muss eine Steigerung von 7,8 Prozent bilanziert werden (im Vergleich von 2014 – 2018 zu 2009 – 2013).

Und wie bekannt, mischt Deutschland – weiterhin Platz 4 – kräftig mit im Ranking der Großwaffenexporteure, aktuell mit einer Steigerungsrate von sage und schreibe 13 Prozent.[8]

10. Dezember 2019. Ein Tag, an dem – wie jeden Tag – wieder vielfach Menschen in die Flucht getrieben werden. Laut Flüchtlingshilfswerk UNHCR der Vereinten Nationen steigt die Zahl der Flüchtlinge von Jahr zu Jahr weltweit weiter an, mittlerweile auf 70,8 Millionen. Das sind 2,3 Millionen Menschen mehr als im Vorjahr und so viele wie nie zuvor.[9]

10. Dezember 2019. Ein Tag, an dem – wie jeden Tag – durchschnittlich sechs Menschen bei ihrer Flucht durch das Mittelmeer ertrinken. Am Ende dieses Jahres werden es weit mehr als 2100 Ertrunkene sein, dies prognostiziert der UNHCR.[10]

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) registrierte im Zeitraum von 2014 bis Ende Oktober 2019 summa summarum 19.005 Todesopfer im Mittelmeer.[11]

10. Dezember 2019. Ein Tag, an dem – wie jeden Tag – Politiker*innen aus den reichen Industrieländern ihre Abschottungspolitik vorantreiben. Längst beginnt die Migrationsblockade der Maghrebstaaten im Norden Afrikas – nachdrücklich unterstützt von der Europäischen Union (EU) – auch an den Südgrenzen der vier großen Maghrebstaaten Marokko, Algerien, Libyen und Ägypten. Im November 2019 sorgte eine Meldung des Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Flüchtlinge für Aufsehen: „Wir gehen davon aus, dass vermutlich mindestens doppelt so viele Menschen auf dem Weg zum Mittelmeer sterben als im Mittelmeer selbst“, sagte der UNHCR-Sondergesandte Vincent Cochetel.[12]

10. Dezember 2019. Ein Tag, an dem – wie jeden Tag – Massenfestnahmen und Abschiebungen aus Algerien in südliche Nachbarländer durchgeführt werden. „Jede Woche bringen die Algerier zwei Konvois von 250 bis 300 Menschen aller afrikanischen Nationalitäten an die Grenze in der Wüste, darunter Ältere, Minderjährige und Behinderte“, berichtet die Nichtregierungsorganisation Alarme Phone Sahara (APS).[13]

Bereits im Sommer 2018 dokumentierten Menschenrechtler das inhumane Vorgehen staatlicher Sicherheitskräfte Algeriens. Damals waren rund 13.000 Migranten in der Sahara ausgesetzt worden. Flüchtlinge litten bei Temperaturen von 48 Grad Celsius Durst und Hunger. Überlebende berichteten später von grauenhaften Zuständen. Schwangere hätten ihre Babys verloren, die Körper toter Frauen hätten herumgelegen, andere Migranten seien in der Wüste vermisst, unzählige Menschen gestorben.[14]

10. Dezember 2019. Ein Tag, an dem – wie jeden Tag – die deutsch-algerische Waffenbrüderschaft intensiv gepflegt wird. Die Bundesrepublik Deutschland war und ist ein enger Verbündeter der Machthaber in Algier. Im Rüstungsexportbericht 2018 der Bundesregierung rangiert Algerien mit Genehmigungswerten für Kriegswaffenexporte in Höhe von 818 Millionen Euro auf Platz 1 aller Empfängerländer.[15]

Ungeachtet der schweren Menschenrechtsverletzungen im Empfängerland durfte seitens der deutschen Rüstungsindustrie – genehmigt von der jeweiligen Bundesregierung – über Jahre hinweg alles an Waffensystemen geliefert werden, was das Herz der Militärs der Regierung Bouteflika in Algier forderte: u.a. Fregatten für die Flüchtlingsabwehr auf dem Mittelmeer, ein Produktionswerk für Transportpanzer Fuchs sowie vielfach Militärfahrzeuge für die Verriegelung des Landwegs gegen Geflüchtete. So die Rechercheergebnisse im Rahmen des FALL 06 zur weltweiten Abschottungspolitik unseres GLOBAL NET – STOP THE ARMS TRADE (GN-STAT), dem zentralen Projekt des Freiburger RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.).[16]

10. Dezember 2019. Ein Tag, an dem – wie jeden Tag – erneut abertausende von Menschen durch Grenzsicherungssysteme, verharmlosend „Border Security“ genannt, irgendwo auf der Welt an ihrer Flucht gehindert und abgefangen werden.

Mit FALL 06 haben wir uns beim GLOBAL NET die Aufgabe gestellt, an ausgewählten Fallbeispielen zu dokumentieren, wie Konzerne in aller Welt sowohl von Waffenlieferungen als auch vom Geschäft mit der Abschottung doppelt profitieren. Pars pro toto zeigen wir, was sich an folgenden Grenzen in aller Welt ereignet:

·       zwischen den USA und Mexiko,

·       rund um Israel und gegen Palästina,

·       rund um Saudi-Arabien,

·       weitere Beispiele tödlicher Abschottung sollen folgen, z.B. die Grenzsicherungssysteme im Norden Afrikas (Maghreb) mit Unterstützung der EU und die Grenze zwischen Indien und Pakistan (www.gn-sta.org ab März 2020).

10. Dezember 2019. Ein Tag, an dem – wie jeden Tag – Großkonzerne in der Europäischen Union die Errichtung neuer High-Tech-Grenzsicherungsanlagen forcieren. Allen voran profitieren die Rüstungskonzerne Airbus S.A.S., Leonardo S.p.A. und Thales Group „von millionenschweren Aufträgen, die auch von der EU und ihren Mitgliedstaaten vergeben werden“. So das Ergebnis der Studie „The Business of Building Walls“ des globalisierungskritischen Netzwerk Transnational Institute, des spanischen Friedensforschungsinstituts Centre Delàs und der niederländischen Kampagne gegen Waffenhandel (Stop Wapenhandel).[17]

Airbus ist ein deutsch-französisch-spanischer Rüstungsriese mit mehreren maßgeblichen Produktionsstandorten in Bayern. Aber auch die rein deutschen Unternehmen Rheinmetall aus Düsseldorf sowie Krauss-Maffei Wegmann aus München und Kassel profitieren zugleich von Rüstungsexporten und Border Security – sprich der Flüchtlingsabwehr. Hierzu zählen in der deutschen Rüstungshauptstadt München auch Rohde und Schwarz mit Militärelektronik zur Grenzkontrolle und Freigeländeüberwachung.

10. Dezember 2019. Ein Tag, an dem – wie jeden Arbeitstag – tausende Menschen in Bayern in der Rüstungsindustrie Waffen für den Tod produzieren, die vielfach in  Krisen- und Kriegsgebiete exportiert werden. Der Transportpanzer Fuchs wird von Rheinmetall produziert, Die Version 1A8 trägt nach erfolgter Zulassung die fernbedienbare Waffenstation und FLW 200 von Krauss-Maffei Wegmann – um nur ein Beispiel von vielen Rüstungsbeteiligungen von KMW zu nennen.

10. Dezember 2019. Ein Tag, an dem – wie jeden Arbeitstag – rund 4.500 Mitarbeiter*innen und mehr als 150 Auszubildende sowie Duale Student*innen in Manching, südlich von Ingolstadt, beim Rüstungsriesen Airbus zur Arbeit gehen. Auf der Unternehmenswebsite beschreibt Airbus die Aufgaben „im militärischen Luftfahrtzentrum von Airbus Defence and Space, dem Kompetenzzentrum rund um bemanntes und unbemanntes militärisches Fluggerät“. Am Standort Manching „sind Geschäftsführung, Entwicklung, Programmleitungen, Systemintegration, Logistik/ Produktunterstützung, Beschaffung, Marketing und Vertrieb zusammengefasst. Im Mittelpunkt steht die Endmontage des Eurofighter mit Systemtests und Flugerprobung. Unbemannte Flugsysteme des Hochleistungssegments werden hier ebenfalls entwickelt, integriert und getestet.“[18]

Auch Drohnen dienen bekanntlich der Border Security. Die mehr als 5000 Kilometer lange Grenzsicherungsanlage rund um Saudi-Arabien – eine der schlimmsten Diktaturen der Welt – wurde vom Systemführer Airbus errichtet. Überwachungsdrohnen spielen eine wichtige Rolle.

Der Tod ist ein Meister aus Manching. Eurofighter werden von der Royal Saudi-Airforce im Jemen-Krieg eingesetzt.

10. Dezember 2019. Ein Tag, an dem – wie jeden Tag – mehrere hundert Menschen mit Pistolen, Maschinenpistolen, Sturm- und Scharfschützengewehren verwundet, traumatisiert oder erschossen werden. Führende Kleinwaffenexporteure und Border-Security-Lieferanten sind die Beretta Holding, Colt Defence LLC, Fabrique Nationale Herstal, Jisrael Galili und Ischmasch aus Europa, den USA, Israel und Russland.

Deutschland rangiert mit der Heckler & Koch AG und der SIG Sauer Group laut Small Arms Survey in Genf auf Platz 4 der Kleinwaffenexporteure. Mit Kleinwaffen maßgeblich dieser Unternehmen sterben rund 95 Prozent aller Opfer in Kriegen und Bürgerkriegen.[19]

In den letzten 50 Jahren starben durchschnittlich 114 Menschen am Tag durch den Einsatz von Heckler & Koch-Waffen am Tag. Alle 13 Minuten stirbt im Durchschnitt ein weiterer Mensch durch eine Kugel aus dem Lauf einer H&K-Waffe.[20]

Liebe Menschenrechtsaktivist*innen,

liebe Friedensfreund*innen,

sehr geehrte Damen und Herren!

Diese Tage um den 10. Dezember des Jahres 2019 stehen am Ende eines menschen- und naturfeindlichen, eines brutalen und bösartigen, eines verlorenen und verlogenen Jahrzehnts. Eines Jahrzehnts, in dem so vieles aus dem Ruder gelaufen ist. In dem die Machthaber reicher Industriestaaten von Frieden, Gerechtigkeit und der Wahrung von Menschenrechten geheuchelt und zugleich den Tod in viele Länder der Welt gebracht haben. Eines Jahrzehnts, in dem die Kultur des Friedens zurückgedrängt wurde durch die Unkultur des Krieges. In der Waffengewalt und Völkerrechtsbruch dominierten und die Weltfriedensorganisation der Vereinten Nationen mehr und mehr marginalisiert wurde.

Was also werden unsere Kinder und unsere Enkelkinder über uns und über unsere Zeitepoche sagen, wenn sie – sagen wir in einem Vierteljahrhundert – auf das zweite Jahrzehnt dieses Jahrhunderts, auf die Zeit von 2010 bis 2019, zurückblicken werden?

Sollte die beschriebene Entwicklung nicht gestoppt und in die richtige Richtung umgekehrt worden sein, dann werden uns unsere Kinder und Enkelkinder schwere Vorwürfe – berechtigte Vorwürfe machen. Und sie werden uns fragen: Warum habt ihr nicht mehr getan – ihr Menschen in den reichen Industrieländern, ihr im reichen Deutschland?

Eine berechtigte Frage. Denn unsere Welt ist aus den Fugen geraten. Sie ist 2019 geprägt von Hunger und Armut, von Kriegen und bewaffneten Konflikten, von Völkerrechtsbrüchen und Menschenrechtsverletzungen, von Naturzerstörung und Artensterben, von Klimazerstörung und Klimakatastrophe.

Liebe Menschenrechtsaktivist*innen,

liebe Friedensfreund*innen,

sehr geehrte Damen und Herren!

Gerne würde ich meinen Kindern und Enkeln in Zukunft die folgende Antwort geben: Der 10. Dezember 2019, der internationale Tag der Menschenrechte, fiel in den Beginn einer neuen Wendezeit. Einer Zeit, als wir alle aufgewacht sind. In der wir nicht länger duldend und schweigend all das Negative, Desaströse und Ausbeuterische hingenommen haben.

Die ersten Anzeichen dieser neuen Wendezeit sind klar sichtbar. 2019 gehört zu den Jahren, in der weltweite Friday-for-Future-Demonstrationen für nachhaltige Entwicklung in aller Welt mit Greta Thunberg ausgeweitet und längst nicht nur von jungen Menschen unterstützt wurden. In der die gewaltfreien Aktionen von Extinction Rebellion nicht nur den Straßenverkehr symbolisch zum Erliegen brachten, sondern heftige Diskussionen ausgelöst haben.

Wie erfolgreich diese Menschen – und damit wir alle – letztlich sein werden, wird die Zukunft weisen. Denn entscheidend wird sein, ob wir Wachsamen und wir Wütenden weiterhin geduldig hinnehmen, dass die Natur malträtiert wird, dass Tier- und Pflanzenarten unwiederbringlich ausgelöscht werden, dass tagtäglich Menschen unterdrückt, gefoltert oder getötet werden, dass sich Rüstungskonzerne eine goldene Nase verdienen am Waffenexport in Krisen- und Kriegsgebiete und an der Flüchtlingsabwehr.

Und so dürfen wir bei all den Fehlentwicklungen und Fehlsteuerungen eines nicht übersehen: Schon heute schaffen Abermillionen von Menschen Sinnvolles und Gutes. Überall auf der Welt gehen Millionen von Menschen auf die Straße gegen Aufrüstung, gegen Unterdrückung, gegen Ungerechtigkeit, gegen Ausbeutung, gegen Umweltzerstörung – für Abrüstung, für Frieden, für Gerechtigkeit, für Menschenrechte, für die Bewahrung unserer natürlichen Lebensgrundlagen.

Was also können wir tun, um unseren Beitrag zu leisten für eine friedlichere, gerechtere, menschenrechtsachtende, intakte Welt? Wir müssen laut aufschreien: Jetzt ist es genug! Ich nehme diese Fehlsteuerungen nicht mehr hin! Ich wehre mich gemeinsam mit vielen Mitstreiter*innen! Ich schreie auf!

Wir können zum Beispiel….

·       das bislang weitgehend unbeachtete Thema der Rüstungsexport- und Abschottungspolitik zum Thema machen, indem wir andere informieren und eigene Handlungsansätze entwickeln;

·       Friedens-, Menschenrechts- oder Flüchtlingsorganisationen unterstützen durch Mitgliedschaft und durch aktives Handeln;

·       mitmachen bei Kritischen Aktionär*innen von Rüstungskonzernen, wie z.B. bei Airbus N.V. oder Rheinmetall AG, bei der Heckler & Koch AG oder bei Fahrzeugunternehmen, z.B. der Daimler AG wg. deren fortwährenden Lieferungen von Mercedes-Military-Fahrzeugen in Krisen- und Kriegsgebiete;

·       Strafanzeigen unterstützen, die wir beispielsweise bei illegalem Waffenhandel stellen, wie unsererseits bereits bei Heckler & Koch und bei SIG Sauer mit Erfolg praktiziert (siehe FALL 02 und FALL 04 des GN-STAT);

·       mitmachen beim GLOBAL NET – STOP THE ARMS TRADE:

> durch Mitgliedschaft beim RüstungsInformationsBüro e.V. und in der DFG-VK,

> durch – steuerlich absetzbare – finanzielle Zuwendungen (denn unsere weltweiten Recherchen kosten das RIB e.V. viel Geld),

> durch Reiseberichte, Filme und Fotos eurerseits aus Krisenregionen,

> durch eigene Recherchen zu Grenzsicherungsanlagen (bestehende Berichte in FALL 06 erweitern oder neue Fälle von Border Security aufzeigen)

> oder beispielsweise durch Übersetzungen vorhandener Textpassagen in andere Sprachen;

·       mitmachen bei der so wichtigen Kampagne „ABRÜSTEN STATT AUFRÜSTEN“ des Netzwerks Friedenskooperative u.v.a. Organisationen gegen das Vorhaben der Bundesregierung, wonach die Rüstungsausgaben Deutschlands auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts – also auf rund 70 bis 80 Milliarden Euro pro Jahr steigen sollen (so die – rechtlich nicht verbindliche – Forderung an NATO-Mitgliedsstaaten);

·       vor allem aber müssen wir den Mut aufbringen auf die Straße zu gehen, vor die Werkstore der Waffenschmieden, in die Hauptversammlungen der Produzenten des Todes – um nur einige Beispiele zu nennen.

Nein, liebe Freund*innen: Angesichts der Weltlage reicht es nicht länger aus, im Stillen Gutes zu tun. Das neue Buch von Carola Rackete lautet zu Recht: „HANDELN STATT HOFFEN. Aufruf an die letzte Generation“.[21] Sie hat als Kapitänin der Sea-Watch 3 aktiv gehandelt. Mit ihrer Crew hat sie viele Geflüchtete aus der Seenot und damit vor dem Tod durch Ertrinken gerettet.

Wer schweigend wirkt, macht es der Gegenseite allzu leicht. Wir haben die Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ gegründet, nicht die Kampagne ‚Schweigen gegen Rüstungsexporte!‘.

Ihr – die ihr heute ins Stadttheater Ingolstadt gekommen seid – seid aktive und interessierte Menschen. Ihr findet euren Platz in der Welt der Widerständler für eine bessere, eine gerechtere, eine gesündere und friedliche Welt!

Also lasst uns handeln! Lasst uns laut aufschreiende Aktivist*innen werden. Lasst uns dabei Vorbilder für Gewaltfreiheit sein! Lasst uns motivierend wirken! Lasst uns andere anstecken! Und lasst uns daran arbeiten, dass dieser 12. Dezember 2019, der Tag der Menschenrechte, einst als ein wichtiger Tag in der neuen Wendezeit wahrgenommen werden wird – hier in Ingolstadt und weit darüber hinaus.

Vielen Dank.

___________

Jürgen Grässlin ist Sprecher der Kampagne »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!«, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.), Sprecher der Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD) und Mitbegründer der Kritischen Aktionär*innen Heckler & Koch (KA H&K).

2018 gründete Grässlin mit Friedensfreund*innen beim RIB e.V. das GLOBAL NET – STOP THE ARMS TRADE (GN-STAT) als ein weltweites Netzwerk gegen Waffenhandel, das Rüstungsexportskandale recherchiert und in mehreren Weltsprachen publiziert.

Er ist Autor zahlreicher kritischer Sachbücher über Rüstungsexporte sowie Militär- und Wirtschaftspolitik, darunter internationale Bestseller. Zuletzt verfasste er das »Schwarzbuch Waffenhandel. Wie Deutschland am Krieg verdient« und das »Netzwerk des Todes. Die kriminellen Verflechtungen von Waffenindustrie und Behörden«.

Grässlin wurde mit bislang zehn Preisen für Frieden, Zivilcourage, Medienarbeit und Menschenrechte ausgezeichnet, u.a. mit dem »Aachener Friedenspreis« und dem »Stuttgarter Friedenspreis«. Zuletzt wurde er mit dem »GRIMME-Medienpreis« und dem »Marler Medienpreis Menschenrechte« von Amnesty International geehrt.

Kontakt: Tel.: 0049-761-7678208, Mob.: 0049-170-6113759

E-Mail: jg@rib-ev.de, graesslin@dfg-vk.de

Weitere Informationen

siehe www.gn-stat.org, www.rib-ev.de, www.aufschrei-waffenhandel.de, www.dfg-vk.de, www.abruesten.jetzt, www.amnesty.de und www.juergengraesslin.com

Quellenangaben

[1] „Die wichtigsten Fakten“ über Folter, siehe https://www.amnesty.ch/de/themen/folter/zahlen-fakten-und-hintergruende/wichtigste_fakten#In%20wie%20vielen%20L%C3%A4ndern%20wird%20gefoltert?

[2] „Amnesty-Bericht zur Todesstrafe 2018“ vom 10.04.2019

[3] „China Cables“ enthüllt Chinas geheimes „Umerziehungsprogramm“

Von Petra Henning; aktualisiert 06.12.2019; siehe

https://web.de/magazine/politik/china-cables-enthuellen-chinas-geheimes-umerziehungsprogramm-34236028

[4] Pressemitteilung AKUF: „Drei neue und sechs beendete kriegerische Konflikte“ https://www.wiso.uni-hamburg.de/fachbereich-sowi/professuren/jakobeit/forschung/akuf/archiv/akuf-analysen/akuf-pressemitteilung-2018.pdf

[5] „Trauriger Rekord: Immer mehr Kinder werden Kriegsopfer“ von terre des hommes vom 01.08.2019

[6] „Jeden Tag sterben 15.000 Kinder“ in ZEIT online vom 19.10.2017]

[7] „SIPRI: Militärausgaben steigen weiter“ in Deutsche Welle online vom 28.04.2019

[8] SIPRI Fact Sheet “TRENDS IN INTERNATIONAL ARMS TRANSFERS, 2018” from March 2019
[9] “Erstmals mehr als 70 Millionen auf der Flucht” in tageschau.de vom 19.06.2019

[10] „Sechs Tote jeden Tag: UNHCR legt erschütternde Bilanz für 2018 vor“ von UNHCR vom 30.01.2019

[11] „Route zur Küste gefährlicher als das Mittelmeer“ in Badische Zeitung vom 04.11.2019

[12] ebenda

[13] „Mitten in die Wüste. Aziz Chehou zu Abschiebungen aus Algerien“ in afrique-europe interact 10, Seite III

[14] https://www.independent.co.uk/news/world/africa/algeria-migrants-sahara-desert-denies-women-children-without-food-drink-a8415681.html]

[15] „Wichtigste Bestimmungsländer mit den höchsten Genehmigungswerten“, in Rüstungsexportbericht der Bundesregierung 2018, S. 109

[16] GLOBAL NET – STOP THE ARMS TRADE, FALL 06 „Mörderische Mauern – Wie Konzerne weltweit mit Waffenlieferungen und Grenzsicherungssystemen Milliardensummen verdienen – und was wir aktiv für betroffene Migrant*innen tun können“ ab März 2020 in mehreren Sprachen auf www.gn-stat.org

[17] Akkerman, Mark: „The Business of Building Walls“. November 2019; siehe https://www.tni.org/en/businessbuildingwalls]

[18] AIRBUS Defence and Space in Manching, siehe

https://www.airbus.com/careers/apprentices-and-pupils/in-deutschland/in-deutschland-training-standorte/standort-manching.html

[19] Grässlin, Jürgen: “Versteck dich, wenn sie schießen”, München 2003, 354

[20] Grässlin, Jürgen: “Schwarzbuch Waffenhandel. Wie Deutschland am Krieg verdient”, München 2013, S. 413

[21] Rackete, Carola: „HANDELN STATT HOFFEN. Aufruf an die letzte Generation“, München 2019

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