DAKS-Newsletter September 2012 ist erschienen!

In den vergangenen Monaten wurde viel über Rüstungsexportkontrolle nachgedacht und verhandelt. In New York, bei den Verhandlungen zu einem Arms Trade Treaty. In Europa anlässlich des Inkrafttretens der EU-Verbringungsrichtlinie. In Deutschland, wo nicht nur über Panzerexporte nach Saudi-Arabien, Indonesien und Katar diskutiert wird, sondern auch die Drohung einer Liberalisierung des Rüstungsexportkontorllsystems im Raum steht.

Die ATT-Verhandlungen sind gescheitert. Die EU-Verbringungsrichtlinie ist in Kraft getreten. Und in Deutschaland geht die Diskussion über eine „Reform“ des Außenwirtschaftsgesetztes weiter. So betrachtet haben all diese Entwicklungen eines gemeinsam: sie dienen nicht einer Reduzierung des weltweiten Waffenhandels.

Im neuen Newsletter berichtet Robert Lindner (Oxfam Deutschland e.V.) nochmals über die ATT-Verhandlungen in New York. In zwei Beiträgen wird die Stoßrichtung der EU-Verbringungsrichtlinie und der innerdeutschen Diskussion über eine „Entschlackung“ des AWG analysiert. Und, last but not least, rezensiert Bernhard Moltmann (Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung) das kürzlich erschienene Buch von Andrew Feinstein „Waffenhandel. Das globale Geschäft mit dem Tod“.

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Arms Trade Treaty: Ende oder neuer Anfang?

Von Robert Lindner (Oxfam Deutschland e.V.)

(Fortsetzung der Berichte in DAKS-Newsletter Nr. 82/Juli 2012 und Nr. 83/August 2012)

Vom 2. bis 27. Juli 2012 verhandelten Regierungsvertreter bei den Vereinten Nationen in New York über ein Abkommen zur Kontrolle des Handels mit konventionellen Rüstungsgütern (Arms Trade Treaty, kurz: ATT). Entscheidende Anstöße dazu gaben die in den 1990er-Jahren begonnene Initiative von internationalen Nichtregierungsorganisationen (NRO) und Friedensnobelpreisträgern für einen Verhaltenskodex für Waffenausfuhren und seit 2003 die Kampagne „Control Arms“ (in Deutschland: „Waffen unter Kontrolle!“), die gemeinsam von Amnesty International, dem Internationalen Netzwerk zu Kleinwaffen (IANSA) und Oxfam ins Leben gerufen worden ist. Kernforderung der Kampagne ist die „goldene Regel“: Transfers von konventionellen Rüstungsgütern dürfen von Staaten nicht genehmigt werden, wenn zu erwarten ist, dass sie von den Empfängern zum Beispiel für schwere Menschenrechtsverletzungen oder Kriegsverbrechen verwendet werden oder wenn sie zu Armut und Korruption beitragen. Bei der UN-Verhandlungskonferenz im Juli erschien ein Erfolg zum Greifen nahe, fiel jedoch am Ende nationalen Machtinteressen und innenpolitischen Gegensätzen in den USA zum Opfer. Dem zum Trotz haben die deutliche Mehrheit der Staaten und die in der „Control Arms“-Kampagne zusammengeschlossenen internationalen NRO angekündigt, sich weiterhin für die Schaffung eines globalen Abkommens mit möglichst hohen Kontrollstandards einzusetzen, das Menschen überall auf der Welt vor den Folgen unverantwortlicher Waffenlieferungen besser schützen kann.

No, we can’t!

Freitag, der 27. Juli 2012, am späten Vormittag: Im Foyer des UN-Konferenzgebäudes am New Yorker East River bauen gerade die ersten Fernsehteams ihre Kameras auf, um über den mit Spannung erwarteten Ausgang der vier Wochen dauernden ATT-Verhandlungen zu berichten. Um 10 Uhr morgens hatte der Vorsitzende der Konferenz, Botschafter Roberto Garcia Moritán aus Argentinien, bei der Eröffnung des letzten Sitzungstages Zuversicht geäußert, eine Einigung über den heftig umstrittenen Vertragsentwurf sei noch möglich. In parallelen Arbeitsgruppen sollten strittige Fragen gelöst werden: ob regionale Organisationen wie z. B. die EU oder ECOWAS dem Vertrag beitreten dürfen und wie mit geschlechtsbasierter Gewalt und mit nicht-staatlichen Akteuren umgegangen werden soll. Gewiss, auch darüber wurde teils verbittert gestritten, doch es waren nicht die zentralen Probleme der vergangenen Wochen. Kurz vor Mittag lassen dann die USA im Plenum unerwartet eine Bombe platzen: Delegationsleiter Thomas Countryman verkündet in einem knappen Statement, die Zeit zur Prüfung des komplizierten Vertragstextes und zur Lösung der nach wie vor bestehenden inhaltlichen Probleme reiche nicht aus. Allen im Saal ist sofort klar, was dies bedeutet: Die US-Regierung hat faktisch ihr Veto eingelegt, die Verhandlungen sind gescheitert.

Eine der zahlreichen Aktionen im Umfeld der ATT-Verhandlungen: Um an die 2000 Menschen zu erinnern, die jeden Tag mit Waffen getötet werden, haben AktivistInnen einen „Fried­hof“ eingerichtet.

Die üblichen Schurken?

Es wäre sicherlich zu einfach, die Schuld für dieses unrühmliche Ende alleine bei den USA zu suchen. Unmittelbar nach dem US-Statement griffen Russland, Kuba, Nordkorea und Venezuela die Vorlage dankbar auf und bauten die Kritik am vorliegenden Vertragsentwurf sogar noch aus. Bereits vorher hatten unter anderem Ägypten, Weißrussland, Algerien, Syrien, Saudi-Arabien (im Namen der Arabischen Gruppe) und Iran schwerwiegende Bedenken geäußert. Vor allem Syrien und andere arabische Staaten hatten wiederholt gefordert, ein ATT dürfe nicht zur Legitimation der Einmischung in innere Angelegenheiten souveräner Staaten benutzt werden. Dennoch waren sich die Beobachter nicht einig, ob einer dieser Staaten wirklich bereit gewesen wäre, die Konsequenzen einer völligen Verweigerung zu tragen. Es fiel jedenfalls auf, dass mit zunehmender Dauer der Verhandlungen einflussreiche ATT-Skeptiker wie Russland, China, Indien und Ägypten sich mit Fundamentalkritik zurückgehalten hatten. Auch die US-Delegation hatte sich zwischenzeitlich moderater gezeigt, nachdem sie Kompromisse insbesondere zur Kontrolle von Munition und bei der Abwägung von Menschenrechten und nationalen Sicherheitsinteressen (zugunsten letzterer) bei den Genehmigungskriterien durchgesetzt hatte. Am Ende könnte bei ihrem Veto jedoch der große Druck der amerikanischen Waffenbesitzerlobby auf die Obama-Regierung im Hinblick auf die anstehenden Präsidentschaftswahlen ausschlaggebend gewesen sein.

Wie zerrissen die US-Regierung gewesen zu sein scheint, wird aus einer Pressemitteilung des State Departments vom folgenden Tag deutlich, in der grundsätzlich eine Fortsetzung der ATT-Verhandlungen befürwortet wird – zwar weiterhin im Rahmen der Vereinten Nationen und auf Basis des letzten Entwurfstextes, jedoch frühestens im kommenden Jahr (also nach den Präsidentschaftswahlen im November) und weiterhin auf Konsensbasis. Die letzte Bedingung dürfte die größte Hypothek für eine mögliche Fortsetzung des Prozesses darstellen.

100 plus“ Staaten für starken ATT

Über 90 Staaten aus allen Regionen der Welt, darunter auch Deutschland, hatten am letzten Tag der Konferenz in einem gemeinsamen Statement angekündigt, sich für eine möglichst zügige Weiterführung des ATT-Prozesses einzusetzen. Ziel sei ein „starkes und robustes“ Waffenhandelsabkommen, „das die Welt sicherer macht und in erster Linie der Menschlichkeit dient“. Der letzte Textentwurf, der die „überwältigende Unterstützung der internationalen Gemeinschaft“ genieße, soll an die UN-Generalversammlung verwiesen und zur Grundlage der weiteren Verhandlungen gemacht werden. Vertreter zahlreicher weiterer Staaten, darunter alle Mitglieder der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS und der karibischen Organisation CARICOM, sprachen sich ebenfalls für ein baldiges Weitermachen aus.

Welcher Weg führt zum Ziel?

Noch ist unsicher, auf welcher inhaltlichen Grundlage und in welchem Rahmen die nächste Stufe des ATT-Prozesses beginnen könnte. Vieles deutet darauf hin, dass auf Basis des ATT-Entwurfstexts vom 26. Juli 2012 weiter verhandelt werden könnte. Es wäre ferner naheliegend, den Ersten Ausschuss der UN-Generalversammlung im kommenden Oktober zu nutzen, um das Verfahren weiter voranzutreiben. Da dort im Unterschied zur Juli-Konferenz durchaus Mehrheitsentscheidungen möglich sind, wäre es sogar denkbar, bereits dort einen Kontrollvertrag zu beschließen. Gleichwohl, ob eine Entscheidung bereits in diesem oder erst im kommenden Jahr gesucht wird – jene deutlich über 100 Staaten, die sich im Juli für einen starken Arms Trade Treaty ausgesprochen haben, sollten sich möglichst bald auf die wesentlichen Inhalte dafür verständigen.

Inhaltliche Baustellen bearbeiten

Die Vertreter/innen der in „Control Arms“ zusammengeschlossenen Organisationen kamen noch in New York überein, den trotz des Scheiterns der Konferenz weiterhin vorhandenen Schwung zu nutzen und möglichst rasche Neuverhandlungen zu einem ATT zu unterstützen. Dabei müssen aus Sicht von „Control Arms“ die größten Mängel des letzten Entwurfstexts behoben werden:

  • Genehmigungskriterien stärken: (vgl. Art. 3, Abs. 3) Die Genehmigung von Transfers von Rüstungsgütern, die mit großer Wahrscheinlichkeit für Völkermord, Kriegsverbrechen und andere schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts eingesetzt werden, darf ausdrücklich nicht gestattet sein. Transfers, die schwere Menschenrechtsverletzungen zur Folge hätten, dürfen nicht dadurch gerechtfertigt werden können, dass sie unter Umständen auch positive Auswirkungen auf Frieden, Sicherheit und Stabilität haben könnten.
  • Regelungsumfang erweitern: (vgl. Art. 2, Abs. 1 und Art. 6, Abs. 4 und 5) Es müssen alle konventionellen Rüstungsgüter kontrolliert werden, darunter insbesondere alle Arten von Munition, Polizei- und sonstige Sicherheitstechnik sowie Rüstungskomponenten, und nicht nur die im bestehenden UN-Register für konventionelle Waffen aufgeführten militärischen Großwaffen sowie Kleinwaffen und leichte Waffen.
  • Schenkungen und Leihgeschäfte kontrollieren: (vgl. Art. 2, Abs. 3) Neben den unter „Trade“ gefassten Verkäufen von Rüstungsgütern müssen ausdrücklich auch Schenkungen und Leihgeschäfte sowie unentgeltlich gewährte Militärhilfen kontrolliert werden – andernfalls würden bedeutende Regelungslücken entstehen.
  • Gefährliche Ausnahmen streichen: (vgl. Art. 5, Abs. 2) Verteidigungskooperationen dürfen nicht von den vertraglichen Regelungen ausgenommen werden – sonst wären zum Beispiel die aktuellen russischen Waffenlieferungen an die syrische Regierung weiterhin erlaubt.
  • Transparenz herstellen: (vgl. Art. 10, Abs. 5) Jährliche Berichte der Unterzeichnerstaaten über ihre Genehmigungen bzw. erfolgten Ausfuhren müssen öffentlich gemacht werden. Dabei dürfen keine mit nationalen Sicherheitsinteressen oder privaten Geschäftsgeheimnissen begründeten Ausnahmen gewährt werden.
  • Spätere Verbesserungen erleichtern: (vgl. Art. 20, Abs. 3) Verbesserungen und sonstige Anpassungen eines künftigen Abkommens müssen von den Vertragsparteien mit Zweidrittelmehrheit anstelle von Einstimmigkeit beschlossen werden können.

Europäischer Waffenexport aus Sicht der USA: neue Analyse erschienen

Was halten die USA eigentlich davon, wenn europäische Staaten Waffen in alle Welt exportieren? – Natürlich lässt sich diese Frage nicht pauschal beantworten. Aber dank der Veröffentlichung eines Kongress-Berichts über „Conventional Arms Transfers to Developing Nations, 2004-2011“ lässt sich dies zumindest ansatzweise nachvollziehen.

Drei Dinge fallen auf:

  1. Im Blick auf Europa nehmen die USA weder die EU oder den europäischen Wirtschaftsraum als solchen in den Blick, noch die traditionellen Nationalstaaten. Fokussiert wird auf eine Gruppe von Staaten, bestehend aus Frankreich, Großbritannien, Deutschland und Italien, die als die west-europäischen Hauptlieferanten und Hauptexporteure identifiziert werden.
  2. Der Umstand, dass Waffenexporte als eine nationale Angelegenheit begriffen und unter dem Primat wirtschaftlicher Vorteile entschieden werden – statt im Hinblick auf Sicherheitsinteressen – stößt auf Befremden. Artikuliert wird dies exemplarisch am Beispiel Frankreichs. Man darf jedoch vermuten, dass die derzeitige Debatte in Deutschland, Rüstungsexporte aus ökonomischen Gründen zu erleichtern, genau verfolgt wird und auf ähnlich lautende Bedenken stößt.
  3. Die europäische Konkurrenz wird ernst genommen. Jede einzelne Nation der Staatengruppe sei in der Lage, als Systemanbieter von komplexen Waffensystemen für Heer, Luftwaffe und Marine aufzutreten. Jede einzelne Nation habe es in der Vergangenheit bereits geschafft, sich in Ausschreibungen gegen US-amerikanische Rüstungsangebote durchzusetzen. Wenn die Europäer im vergangenen Jahr 2011 vergleichsweise erfolglos waren, so hängt dies, laut Analyse der Berichterstatter, vor allem mit der angespannten Sicherheitslage insbesondere im Nahen Osten zusammen. In dieser Situation würden US-amerikanische Waffen bevorzugt, da die USA als solche noch immer als der absolute Garant von Sicherheit begriffen würden, deren Lieferzuverlässigkeit im Hinblick auf Nachschub und Ersatz (gerade auch im tatsächlichen Kriegsfall) höher eingeschätzt würde.

Als Reaktion auf diese erschwerten Exportbedingungen sei, so der Bericht, die EU-Verbringungsrichtlinie entstanden. Ziel dieses Gemeinsamen Standpunktes sei es, innereuropäische Rüstungskooperationen zu erleichtern, um so die rüstungsindustriellen Fähigkeiten auch in Zeiten von wirtschaftlicher Rezension zu erhalten. Mittelfristig, so die Einschätzung der US-Analysten, sei damit jedoch auch die Hoffnung verbunden, die europäische Wettbewerbsfähigkeit auf dem Rüstungsweltmarkt zu verbessern.

Die Einschätzung wird von europäischen Experten geteilt.

IMI: Das EU-Verteidigungspaket führt zu einer Absenkung der Rüstungsexportbeschränkungen

Jürgen Wagner analysiert die laut gewordenen Pläne für eine Novellierung des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) für die Informationsstelle Militarisierung / Tübingen (IMI). Wagner verortet die Reform-Pläne im europäischen Kontext und namentlich im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten der EU-Verbringungsrichtlinie Ende Juni 2012 (vgl. DAKS-Newsletter 06/2012). Sein Fazit: „Gerade für die deutsche Rüstungsindustrie ist das Spiel über die Brüsseler Bande wie so häufig auch im Fall der Neufassung der deutschen Exportregelungen überaus attraktiv. Die Verbringungsrichtlinie könnte es nun ermöglichen, die vergleichsweise strengen deutschen Rüstungsexportbestimmungen zu umgehen, was über eine offizielle Aufweichung der Ausfuhrbestimmungen angesichts der Stimmung in der Bevölkerung wohl nur schwer möglich wäre.“

BITS: Außenwirtschaftsgesetz wird novelliert

Otfried Nassauer, Leiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit (BITS), weist in seinem Artikel ebenfalls auf die kommende Novellierung des Außenwirtschaftsgesetzes und der Außenwirtschaftsverordnung hin. Das AWG gelte seit 50 Jahren und werde von der jetzigen Bundesregierung erneuert, beginnend mit einer Anhörung exportierender Unternehmen. Nassauer mahnt zur Wachsamkeit:

„Statt wie bislang von einer ‚restriktiven‘ deutschen Genehmigungspolitik zu sprechen, redet die derzeitige Bundesregierung erstmals von einer ‚verantwortungsbewussten‘ oder ‚verantwortungsvollen‘ Politik.“ Prüfsteine müssten unter anderem sein, ob die neue Exportpraxis die Beschreibung „restriktiv“ wirklich verdiene und ob der Bundestag ein ausreichendes Gestaltungsrecht erhalte. Ansonsten könne das von der Regierung angekündigte „Entschlacken“ des Außenwirtschaftsrechts zu einer Lockerung der Rüstungsexportpolitik führen, so Nassauer.

Der Artikel besticht durch die Möglichkeit, sich die bisherigen Entwürfe und Kommentare via Links anzuschauen. Zusätzlich können sich Interessierte bei der Email-Adresse AWG@bits.de zu Wort melden und Kommentare, Kritik und Vorschläge zum neuen AWG abgeben.

Es ist zu hoffen, dass von dieser Funktion reger Gebrauch gemacht wird, allein schon weil das Scheitern der ATT-Verhandlungen, in Verbindung mit den Bestrebungen zu einer Liberalisierung des Rüstungsexportkontrollsystems, die Bemühungen um die Etablierung von zivilen Mitteln der weltweiten Konfliktbeilegung endgültig zum Scheitern zu bringen drohen.

Auf dem Weg zu einem Rüstungsexportkontrollgesetz?

In gewisser Weise kontrafaktisch zur allgemeinen Entwicklung hat die Bundestagsfraktion von Bündnis ’90 / Die Grünen Ende April 2012 einen Antrag in den Bundestag eingebracht, mit dem die Bundesregierung aufgefordert werden soll, einen Gesetzesentwurf für ein „Rüstungsexportgesetz“ zu erarbeiten. Bereits zum wiederholten Mal beschäftigen sich die Parlamentarier deshalb mit dem Thema Rüstungsexport – denn vergleichbare Anträge wurden in den vergangenen Monaten von den Grünen bereits mehrfach gestellt.

Das erwachte Interesse am Thema Rüstungsexport ist erfreulich und verstörend zugleich, da die Parlamentsdebatte über den Antrag vor allem auch zeigte, wie wenig Problembewusstsein für das Thema Rüstungsexport in den Reihen des Bundestags vorhanden ist bzw. wie wenig weitsichtig die Grünen das Thema behandeln.

Dies zeigt sich schon an den fünf Kernforderungen, die der eingebrachte Antrag enthält:

  1. Der Gemeinsame Standpunkt der EU über die Ausfuhr von Rüstungsgütern (2008/944/GASP) soll rechtlich verbindlich in das deutsche Rüstungskontrollsystem integriert werden und nicht wie bisher allein in den Politischen Grundsätzen der Bundesregierung zum Waffenexport erwähnt werden.
  2. Die Berichtspraxis zu Rüstungsexporten soll durch das Einführen einer Berichtspflicht in vierteljährlichem Turnus verbessert werden.
  3. Rüstungsexporte sollen künftig nicht mehr in Verantwortung des Bundeswirtschaftsministeriums diskutiert werden, sondern in den Kompetenzbereich des Auswärtigen Amtes fallen.
  4. Das System der Endverbleibskontrolle soll verbessert werden.
  5. Die Möglichkeit von Verbandsklagen soll auch in den Bereich des Rüstungsexports eingeführt werden.

Das ist alles sehr löblich, scheint aber alles in allem ungeeignet, um die derzeit vorherrschende – politisch gewollte – Tendenz zugunsten einer Ausweitung von Rüstungsexporten aufzuhalten. – Geschweige denn ins Gegenteil zu kehren.

Dies zeigt sich auch daran, dass der Antrag das Eingeständnis enthält, dass die unter Rot-Grün im Jahr 2000 eingeführten Politischen Grundsätze zum Rüstungsexport längst nicht die Bedeutung besitzen, wie seinerzeit (und teilweise noch immer) behauptet. Martin Lindner (FDP) brachte diesen Umstand in seinem Redebeitrag auf den Punkt:

„Sie wollen uns immer wieder weisma­chen, unter Rot-Grün wäre nichts exportiert worden. Auch jetzt steht wieder in dem Antrag, dass während der rot-grünen Regierungszeit alle Regelungen verschärft wurden. […] 2002 hatten die Rüstungsexporte einen Umfang von 300 Mil­lionen Euro. Dann haben Ihre wahnsinnig scharfen Re­geln richtig gegriffen, und im Jahr 2003 wurden Rüs­tungsgüter im Wert von 1,3 Milliarden Euro exportiert. Das war eine satte Steigerung um 1 Milliarde Euro. 2005 […] wur­den Rüstungsgüter im Wert von 1,6 Milliarden Euro ex­portiert. So sah Ihre Verschärfung aus. Sie alle zusam­men sind heuchlerisch und sonst gar nichts. […] Ich gebe Ihnen Brief und Siegel: Wenn Sie irgendwann wieder einmal regieren sollten, dann werden Sie sich genauso verhalten wie Ihre Vorgänger – wie Frau Wieczorek-Zeul, die nichts ge­macht hat, wie Herr Joschka Fischer, der als Außen­minister nichts gemacht hat, und wie all die anderen Hel­den –, die dann, wenn sie in Regierungsverantwortung waren, nichts unternommen haben.“

Wie von Martin Lindner hervorgehoben, hat sich die Steigerung der Rüstungsexportzahlen unter Rot-Grün scheinbar im Einklang mit den Politischen Grundsätzen befunden. Der einzige Verdienst der von den Grünen eingebrachten Anträge besteht demnach darin, auf die Notwendigkeit für ein neues und tatsächlich restriktives Rüstungsexportkontrollgesetz hingewiesen zu haben. Notwendig ist dann aber ein Gesetz, dass eine tatsächliche Trendwende herbeiführt – statt nur Schönheitskorrekturen an einzelnen Stellschrauben vorzunehmen, wie durch den vorliegenden Antrag intendiert.

Rüstungshandel: Schattenwelt und Räuberhöhle

Zu: Andrew Feinstein, Waffenhandel. Das globale Geschäft mit dem Tod, Hamburg: Hoffmann und Campe 2012, 847 Seiten (29,99 Euro)

von Bernhard Moltmann (Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, Frankfurt am Main)

Andrew Feinstein – ein kompetenter Ratgeber

In der deutschen Parlamentsgeschichte findet der Name eines Autors selten Eingang in ein Plenarprotokoll, zumal wenn sein Buch mit einem so kontroversen Thema wie dem Waffenhandel zu tun hat. Doch diese Ehre verdankt Andrew Feinstein dem SPD-Abgeordneten Klaus Barthel. [1] Dieser zitierte ihn am 24. Mai 2012 während einer Bundestagsdebatte über ein Rüstungsexportgesetz, wie es Bündnis 90 / Die Grünen eingebracht hatten.

Lebenslauf und Werk weisen in der Tat Andrew Feinstein als kompetenten Ratgeber deutscher Parlamentarier beim Umgang mit Rüstungshandel aus. Der Südafrikaner gehörte von 1997 bis 2001 dem Parlament seiner Heimat an. Für den African National Congress (ANC) war er als Obmann im Rechnungsprüfungsausschuss tätig. In diesem Zusammenhang hatte er sich mit den Umständen der Finanzierung des umfangreichen Rüstungsbeschaffungsprogramms des Landes zu beschäftigen. Als seine Partei den ans Tageslicht gekommenen Korruptionsfällen nicht ernsthaft nachgehen wollte, verzichtete Feinstein auf sein Mandat und zog nach London. Er hat die Ohnmacht des Einzelnen gegenüber der Dynamik dieser Schattenwelt erfahren. So ist das Ergebnis seiner Recherchen nicht nur ein umfangreiches Buch mit zahlreichen Quellen und Belegen, sondern auch ein Appell zu Gegenreaktionen der Öffentlichkeit.

Der internationale Waffenhandel: ein undurchdringliches Netz

Feinstein beschreibt das Geschehen auf dem Waffenmarkt als ein dichtes Netz von politischen, wirtschaftlichen und personellen Interaktionen. Es formt eine eigene Welt, gleichsam eine „Schattenwelt“. Diese passt sich laufend geopolitischen Gegebenheiten an. Gegenwärtig tritt mit China eine weitere Kraft auf den Plan; Dubai kristallisiert sich als Drehscheibe des Rüstungshandels heraus. Exemplarisch als Betreiber und Profiteure des Netzes untersucht der Autor die Unternehmen British Aerospace Systems (BAE) in Großbritannien und Lockheed Martin in den USA sowie das Waffenhandelskonglomerat MEREX deutschen Ursprungs. Wenn die Quellenlage es zugelassen hätte, hätte Feinstein gewiss noch ein Beispiel aus dem sowjetisch-russischen Kontext hinzugefügt.

Die Fülle der ausgebreiteten Fälle lässt folgende Konturen dieses Netzes erkennen:

Räumlich: Den Recherchen von Feinstein zufolge gibt es keinen Winkel der Erde, den das Netz des Waffenhandels nicht erfasst hätte. In dramatischen Skizzen zu Afrika, den arabischen Ländern, zu Afghanistan und Pakistan zeigt der Autor, wie das Vorhandensein von Waffen oder deren ungebremster Zustrom lokale Konflikte in gewaltförmige Auseinandersetzungen mit internationaler Reichweite verwandelt haben. Über Jahrzehnte hinweg ist gerade Saudi-Arabien ein Initiator von Rüstungsschüben gewesen.

Institutionell: Der Waffenhandel nutzt alle Chancen des Marktes. Auf dessen sichtbarer Seite operieren als Anbieter Staaten, die Rüstungsgüter entwickeln und produzieren. Als offizielle Käufer kommt jedes Land in Frage, das in Gewaltkonflikten steht oder sich darauf vorbereitet bzw. in Bedrohungswahrnehmungen lebt. Nur in den USA reicht die interne Nachfrage aus, die einheimische Rüstungsindustrie zu alimentieren. Am Beispiel von Israel zeigt Feinstein, wie das Land als Abnehmer von Rüstungsgütern zu einem „Schaufenster westlicher Rüstungstechnologien“ wird. Gleichzeitig produziert Israel selbst Waffen. Unter Verweis auf deren Kampferprobung glänzt es inzwischen als Exporteur und Vermittler von Waffen, zum Teil in Weltregionen (China, Indien, Afrika südlich der Sahara), in denen sich westliche Lieferanten in Zurückhaltung üben. Auf sogenannten „schwarzen“ oder „grauen“ Märkten tummeln sich Waffenmakler und -händler. Oft genug findet ihr Tun wohlwollende oder stille Billigung von Staaten, die sich bei solchen Geschäften nicht die Finger verbrennen wollen. Angesichts der Verschränkung der Marktsegmente leuchtet der Schluss von Feinstein ein, dass die Komplexität des Geschehens gebietet, das Ganze der Weitergabe von Rüstungsgütern in den Blick zu nehmen: Schönreden des Einen und Verdammen des Anderen sind nicht am Platze.

Personell: Feinstein benennt bei seiner Darstellung des Waffenhandels klar Ross und Reiter. Er gibt dieser Welt Namen und Gesichter, die er persönlich kennengelernt hat. So gewinnen seine Ausführungen eine Farbigkeit, wie sie sonst nur Schriftsteller wie John le Carré mit ihren politisch-kriminalistischen Romanen erreichen. Feinstein beschreibt das Wirken von Maklern, die Anbieter und Käufer von Waffen zusammenbringen. Er durchleuchtet die Rolle von Handelsfirmen, die etwaigen Bedarf wecken und befriedigen. Ebenso deckt er auf, wie Vermittler den Tausch von Waffen gegen Geld oder Rohstoffe bewerkstelligen. Schließlich vergisst Feinstein nicht die Transportunternehmer, die auf verschlungenen Wegen Waffen von ihrem Ursprungsort in ein Kriegsgebiet und dann eventuell noch an weitere Plätze einer Verwendung schaffen. Was Feinstein hier an Intrigen, Rechtsbrüchen, Willkür oder Bereicherung zutage fördert, rechtfertigt das Bild vom Waffengeschäft als das einer „Räuberhöhle“.

Aussichten: kein Anlass zum Optimismus

Das Buch von Feinstein gibt keinen Anlass zur Hoffnung, dass die Misslichkeit des Waffenhandels je ihr Ende finden könnte. Feinstein identifiziert drei Gründe dafür. Zum einen lebt die Symbiose von Rüstungswirtschaft, Militär und politischem Establishment vom „Drehtüreffekt“. Damit bezieht sich der Autor auf den ständigen Wechsel der Akteure mitsamt ihrer Beziehungsgeflechte von einer Ebene zur anderen. Gerade in den USA sieht er die Mechanismen des „militärisch-industriell-politischen Komplexes“ weiter am Werk. Zum anderen haben sich in westlichen Demokratien die politischen Gewichte zugunsten der Exekutive verschoben. Der Preis dafür ist in Form von fehlender Überwachung durch Parlamente und Justiz zu zahlen. Selbst wenn Gesetze zur Kontrolle von Rüstungstransfers vorhanden sind, ist ihre Einhaltung kaum zu kontrollieren, zumal oft genug der Mantel der „nationalen Sicherheit“ über Rüstungstransfers liegt. Außerdem blüht die Korruption. Stimmen Parlamentarier Rüstungsvorhaben zu, von deren Umsetzung sie sich Geldspenden versprechen, nimmt die Bestechung gar legale Formen an. Schließlich leistet die Privatisierung des staatlichen Gewaltmonopols der Schattenwelt des Waffenhandels Vorschub. Mehr und mehr übertragen Staaten Verteidigungsaufgaben privaten Dienstleistern, ohne dass sie deren Tun steuern. Der zivilisatorische Gewinn einer staatlichen Kontrolle über die Ausübung von Gewalt nach Innen und Außen fällt der Erosion anheim. Sicherheit wandelt sich in ein Wirtschaftsgut, das öffentlich finanziert wird. Angesichts dessen reiben sich Rüstungsproduzenten und Waffenhändler nur die Hände.

Das Buch von Andrew Feinstein mahnt die Bundestagsabgeordneten, die den Skandalen der deutschen Rüstungsausfuhren entgegentreten, sich sorgfältig mit seinen Befunden zu beschäftigen. Auch öffnet es der Öffentlichkeit erneut die Augen für die Abgründe und verhängnisvollen Wirkungen des Rüstungshandels. Das macht die Lektüre des Buches nicht erquicklich, aber notwendig.

Anmerkungen:

[1] Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 17/ 181 vom 24.05.2012, S. 21545 – 21554, S. 21548.

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