DAKS-Newsletter Oktober 2012 ist erschienen!

Die vergangenen Wochen waren ereignisreich und der nun erscheinende Newsletter zeichnet davon ein Bild. Um nur einen Aspekt zu nennen: unter dem Motto „Waffenhandwerk schafft nur Unheil“ führte das Orchester „Lebenslaute“ ein Konzert vor den Werktoren von Heckler & Koch auf, um so gegen die Rüstungsproduktion und Waffenhandel zu protestieren. Mehr dazu im neuen Newsletter.

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Oberndorf: Erfolgreiches Konzert der „Lebenslaute“ vor den Werkstoren von HK

Unter dem von Georg Friedrich Händel entliehenen Motto „Waffenhandwerk schafft nur Unheil“ versammelten sich am 3. September 2012 ca. 300 Menschen vor den Werkstoren von Heckler & Koch, Europas größtem Hersteller militärischer Schusswaffen, um gegen die Waffenexporte der Firma zu protestieren. Mehrere Videos von fluegel.tv und graswurzel.tv zeigen die Aufführungen klassischer Musik rund um das Betriebsgelände in Oberndorf. Der SWR berichtete, die taz gleich zweimal und auch die junge welt brachte ein Interview. Weitere Medienbeiträge finden sich auf der Internetseite der Aktion Aufschrei, unter anderem ein Interview mit Radio Dreyeckland (RDL) aus Freiburg. Und natürlich gibt es bei der Lebenslaute selbst Infos, Forderungen und Berichte der Aktion.

Die Firmenleitung konnte sich als Reaktion auf das Konzert nicht zu Applaus, aber zu einer Pressemitteilung hinreißen lassen. Deren Qualität ist mit derjenigen der Musik jedoch nicht zu vergleichen. Einen Aspekt erwähnt die Pressemitteilung jedoch, der in der bisherigen Debatte wirklich zu kurz gekommen ist. Nach Ansicht von Heckler & Koch muss demnach auch einmal überlegt werden, „wie viele Menschenleben durch den Einsatz oder die bloße Präsenz von Heckler & Koch-Waffen bei Streitkräften und bei der Polizei gerettet wurden.“ Das Unternehmen räumt jedoch selbst ein, dass es vor dem Hintergrund des derzeit vorhandenen statistischen Materials schwierig sein wird, hierfür sinnvolle Zahlen anzugeben.

Erschienen ist von den Exportverantwortlichen bei dem Konzert niemand.

Mal eine andere Idee: Heckler & Koch einsargen

Seit Jahren, um nicht zu sagen, seit Jahrzehnten fordert „die“ Friedensbewegung eine Schließung bzw. ein Konversionsprogramm für den Kleinwaffenhersteller Heckler & Koch. Und es passiert nichts. Stattdessen darf Heckler & Koch seine Waffen ganz legal und mit Genehmigung der Bundesregierung in alle Welt exportieren – seit Jahrzehnten. Und dass sich daran etwas ändert, scheint derzeit unwahrscheinlicher denn je. (Vgl. die Berichte im DAKS-Newsletter 09/2012.)

Vor diesem Hintergrund wartet das Zentrum für Politische Schönheit mit einer einfachen, aber radikalen „Lösung“ auf: Der Stammsitz von Heckler & Koch in Oberndorf soll mit einem Betonsarkophag versiegelt, wie er auch über dem havarierten Atomkraftwerk in Tschernobyl errichtet wurde. Damit soll sichergestellt werden, dass künftig kein Fallout in Form von Waffenexporten mehr aus der Fabrik dringen kann.

Ungelöst bleibt damit natürlich das Problem, wie mit dem schon jetzt ausgetretenen und in aller Welt niedergegangenen Kleinwaffen-Niederschlag umgegangen werden soll. Die Haltbarkeit der Waffen beträgt, dank ihrer Qualität „Made in Germany“, mehrere Jahrzehnte, so dass sie, wenn sie im einen Kriegsgebiet nicht mehr benötigt werden, leicht ins nächste Konfliktgebiet weiterverkauft werden können. Im Fall von radioaktivem Fallout scheinen nur aufwändige Reinigungsmaßnahmen zum (relativen) Erfolg zu führen. Es sei die These gewagt, dass dies im Fall von Rüstungsexporten nicht grundsätzlich anders ist.

Die „Aktion Aufschrei“ berichtet über das Vorhaben. Was derzeit noch fehlt, ist das nötige Geld: Um den Sarkophag bis 2017 fertig zu stellen, werden 32 Millionen Euro benötigt. Großspender sind herzlich willkommen.

BITS: Entwicklung läuft auf noch mehr Rüstungsexporte hinaus

Otfried Nassauer (Leiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit) setzt die Analyse der derzeitigen Veränderungen im Rüstungsexportbereich fort. In einem Artikel mit dem Titel „Waffenlieferungen als Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik? Kurswechsel in der deutschen Rüstungsexportpolitik“ für die „Streitkräfte und Strategien“ (NDR) spricht er drei Ebenen an, auf der die Bundesregierung sich mit diesem Thema befasst: die nationale, die EU- und die NATO-Ebene. Er weist auf die von Kanzlerin Merkel öffentlich geäußerte Planung hin, politische Partnerstaaten mit Waffen ausrüsten zu wollen, etwa im arabischen Raum. Die Produktion für die Bundeswehr sei für viele deutsche Rüstungsbetriebe also nur noch ein „Ergänzungsgeschäft“, so Nassauer. Der Trend gehe zu den Auslandsgeschäften, die sehr wahrscheinlich von der Regierung nun noch mehr als früher unterstützt werden.

Publik-Forum: Volker Kauder – Unterstützer von Heckler & Koch

Unter der Überschrift „Volker Kauder: Ein Mann mit zwei Gesichtern: Volker Kauder macht Christenverfolgung zum Thema der Politik – und wirkt als Schutzpatron der Waffenfirma Heckler und Koch“ berichtete Thomas Seiterich am 27. August auf Publik-Forum.de über den CDU-Politiker. Kauder ist seit vielen Jahren ein aktiver Unterstützer des Schusswaffenexporteurs Heckler & Koch. Die Firma liegt in seinem Wahlkreis in der schwäbischen Region Rottweil-Tuttlingen.

Seiterich zitiert in seinem Artikel Jürgen Grässlin, der die Frage stellt, ob sich Kauders Engagement gegen die gewaltsame Verfolgung von Christen und die Kriegsmaterial-Lieferungen nicht widersprechen müssen. Deutlich wird durch den Artikel ein weiteres Mal: Kauders Image ist nur Fassade, denn Waffenlieferungen in alle Welt ließen sich mit dem christlichen Friedensgebot nicht vereinen.

Kritik an HK-Waffen durch den Bundesrechnungshof

Die Kritik an Funktionalität und Qualität der Waffen von Heckler & Koch reißt nicht ab. Wie der Spiegel berichtet, formuliert nun auch der Bundesrechnungshof massive Kritik an der Beschaffungs- und Vergabepolitik der Bundeswehr im Umgang mit Heckler & Koch bzw. an den von Heckler & Koch hergestellten Waffen.

So habe die Bundeswehr Kleinwaffen im Wert von 210 Millionen Euro beschafft, ohne je deren „Wirksamkeit“ zu prüfen. Beispielhaft wird in diesem Zusammenhang das Schnellfeuergewehr G36 genannt, dessen Kaliber nicht die gewünschte Wirkung entfalte. Jedoch: Selbst nachdem im Kontext des Afghanistan-Krieges Kritik aus Reihen der Bundeswehr am neuen Gewehr laut geworden ist, „seien weitere G36 bestellt und die Ausbildung so geändert worden, dass die Soldaten nun jeweils zwei Schüsse statt einem abgeben sollen.“ – So der Spiegel.

Natürlich ist die Kritik am G36 alles andere als neu. Erstaunlich ist nur, dass – ausweislich der Spiegel-Informationen – der Bundesrechnungshof sie sich zu eigen zu machen scheint.

Zur Erinnerung: bereits im April 2012 hatte der Spiegel berichtet, interne Untersuchungen der Bundeswehr hätten ergeben, dass das G36 bei schnellen Schussfolgen zu heiß würde und nicht mehr effektiv genutzt werden könne (vgl. dazu eine Einschätzung in DAKS-Newsletter 04/2012). Kritik an der Wirksamkeit der vom G36 verwendeten Munition bzw. von dessen Kaliber wird schon seit Jahren – insbesondere auch aus Kreisen der Bundeswehr – geübt und formuliert (vgl. DAKS-Newsletter 10/2009).

Die Diskussion über die „Wirksamkeit“ (also eigentlich Tödlichkeit) des G36 soll an dieser Stelle nicht fortgeführt oder kommentiert werden. Nicht nur, weil entsprechende, zusammenfassende Darstellungen bereits seit Jahren in der Fachpresse kursieren (vgl. zum Beispiel: Strategie & Technik 03/2011), sondern vor allem, weil der eigentliche Skandal an anderer Stelle zu suchen ist.

Wenn der Bundesrechnungshof wirklich Kritik daran übt, dass das Verteidigungsministerium Waffen kauft, ohne deren Effektivität zu überprüfen, so beinhaltet dieser Vorwurf vor allem das Eingeständnis der eigenen Ignoranz. Die Bundeswehr hat selbst keinerlei Möglichkeit zu entscheiden, Waffen welchen Kalibers sie einführen möchte, denn dies ist eine Frage, die allein auf NATO-Ebene entschieden werden kann. Im Rahmen des „NATO Standardisation Agreements“ ist verbindlich festgelegt, Munition welchen Kalibers welche Waffentypen besitzen sollen. Anfang der 1980er Jahre wurde in diesem Zusammenhang die Einführung der 5,56 NATO als neues Infanterie-Standardkaliber beschlossen. Auswirkungen auf die Bewaffnung der Bundeswehr hatte dies zunächst nur deshalb nicht, weil das damals verwendete G3-Gewehr im Kaliber 7,62 NATO seine geplante Lebensdauer noch nicht erreicht hatte. Als Mitte der 1990er Jahre seine Ausmusterung und Ersetzung anstand, war die Verwendung des Kalibers 5,56 NATO quasi alternativlos, da sonst die Interoperabilität der Bundeswehr nicht gewährleistet gewesen wäre. Der Bundesrechnungshof scheint diese Dimension in seiner Kritik überhaupt nicht zur Kenntnis zu nehmen. Und das ist tatsächlich ein Skandal, da unter diesen Umständen in Frage steht, ob er seiner Aufgabe überhaupt angemessen gerecht wird, wenn solche basalen Zusammenhänge nicht mitberücksichtigt werden.

Und ein zweites Problem: Es ist zu befürchten, dass die vom Bundesrechnungshof geübte Kritik Wasser auf die Mühlen all jener interessierten Kreise darstellt, die neue Waffen für die Bundeswehr kaufen wollen. In Frage käme beispielsweise das Schnellfeuergewehr HK417 von Heckler & Koch im „alten“ G3-Kaliber 7,62 NATO. Als G27 wird diese Waffe schon heute in der Bundeswehr geführt – als Ersatz für das G3ZF. Beschafft wurde sie unter den Bedingungen des „Einsatzbedingten Sofortbedarfs“. Es scheint nicht ausgeschlossen, dass ein Interesse besteht, weitere Waffen dieses Typs zu erwerben, sollte die anhaltende Diskussion über die Ausrüstung der Soldaten einen finanziellen Spielraum eröffnen.

Politcomic „Die Störenfriede“: Ausstellung im Tuttlinger Rathaus

Die Schwäbische Zeitung berichtet über eine Austellung im Rathaus der Stadt Tuttlingen. Dort werden Originalseiten, Skizzen, Bild- und Textentwürfe aus dem Politcomic „Die Störenfriede“ gezeigt. Der Zeichner Gischbl (Gerhard Mauch) hat mit dem 16 Seiten starken Heft erstmals einen „graphic novel“ über die Kleinwaffenthematik und die Firma Heckler & Koch vorgelegt. Veranstalter der Ausstellung sind der Arbeitskreis Dritte Welt und die Volkshochschule. Den Comicband gibt es beim Weltladen Tuttlingen, der Volkshochschule und der Infotheke der Stadtverwaltung zum Einzelpreis von 2,50 Euro. Klassensätze (Einzelpreis 1,50 Euro) können bei Gerhard Mauch erworben werden (Telefon 0741/1757903, E-Mail: gischbl06@yahoo.de).

Fraktion DIE LINKE: Video über Waffenexporte

Die Bundestagsfraktion DIE LINKE hat vor kurzer Zeit einen Videoclip zum deutschen Rüstungsexport ins Internet gestellt. Der Beitrag ist ca. zwei Minuten lang und bietet die grundlegenden Informationen zur Waffen(un)kontrolle. Zitat: „Es ist ein Märchen, dass Waffenexporte in Deutschland streng kontrolliert werden.“ Das Video weist darauf hin, dass gerade der legale Export die großen Opferzahlen auslöst. Gefordert wird am Ende des Clips ein Verbot aller Waffenexporte.

Nachrichten aus dem Afghanistan-Krieg

Am 14. September 2012 starben zwei US-amerikanische Soldaten bei einem Angriff der Taliban auf den britisch-amerikanischen Militärstützpunkt Camp Bastion. 15 Angreifer starben ebenfalls. Die deutsche Öffentlichkeit rätselt nun darüber, ob der Angriff eventuell „Prinz Harry“ galt, der sich zur Zeit in Afghanistan aufhält und in just jenem Stützpunkt untergebracht wurde. Die Auswertung des Geschehens dauert aber noch an, so dass zu diesem Punkt noch keine definitiven Aussagen gemacht werden können. Fest steht jedoch: „Prinz Harry“ selbst ist unverletzt. Er war bereit zu kämpfen und hatte eine Waffe. Gleichwohl gehorchte er den Empfehlungen der Sicherheitsberater und begab sich bei Ausbruch der Kämpfe in einen Schutzraum. Vielleicht sollte man im Stil der offiziellen Sprachregelung noch hinzuzufügen, dass es sich bei der gesamten Aktion um einen feigen und hinterhältigen Anschlag gehandelt hat. – So weit die Fakten, wie sie von FAZ, SZ, WAZ, Welt und, nicht zuletzt, der Bild-Zeitung verbreitet wurden.

Was schlicht nicht in der Zeitung stand: Quasi nebenbei haben die Taliban-Kämpfer die in Camp Bastion stationierte Marine Attack Squadron VMA 211 fast vollständig vernichtet. Sechs Harrier-Kampfflugzeuge wurden zerstört und zwei weitere Flugzeuge schwer beschädigt. 80% der ursprünglich vorhandenen Maschinen sind damit außer Gefecht gesetzt, wodurch die Fähigkeiten der ISAF zur militärischen Luftunterstützung von Bodentruppen zumindest kurzzeitig eingeschränkt sind. Gleichzeitig töteten die Taliban den befehlshabenden Kommandeur der VMA-211, Oberstleutnant Chris Otis Raible. Wohl als Reaktion auf den Angriff hat die NATO die Kooperation mit den afghanischen Sicherheitskräften bis auf weiteres eingestellt.

Was noch zu sagen ist: Seit dem Vietnam-Krieg hat die US-Armee nicht mehr so viele Flugzeuge an einem einzigen Tag verloren. Der entstandene materielle Schaden wird sich, bei einem Stückpreis von rund 30 Millionen US-Dollar pro Flugzeug, wohl auf rund 200 Millionen Dollar summieren(vgl. Wall Street Journal). Die Taliban-Kämpfer haben bei diesem Angriff ausschließlich Kleine und Leichte Waffen zum Einsatz gebracht.

Auf dem Weg zu einer Klarstellung des Grundgesetzes? – Verfassungsgesetzgebung und das Bundesverfassungsgericht

Mit großer Erwartung – um nicht zu sagen „Spannung“ – ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) erwartet worden. Bereits im Vorfeld des Richterspruchs begann jedoch eine ganz andere Debatte: Ausgelöst durch Bemerkungen von Bundesfinanzminister Schäuble stand plötzlich die Frage im Raum, ob die weitergehende Einigung Europas im Rahmen des Grundgesetzes noch möglich sei oder ob nicht lieber eine neue Verfassung verabschiedet werden sollte, die die europäische Überwindung des deutschen Nationalstaats erlauben und ermöglichen würde. – Der Vorschlag ist schockierend. Nicht, weil er ein völliges Novum in der Geschichte der Bundesrepublik darstellen würde, sondern weil in ihm die Krise des deutschen politisch-parlamentarischen Systems einen Ausdruck findet.

Es stimmt, die Eltern des Grundgesetzes selbst sahen mit Art. 146 GG die Möglichkeit vor, eine neue Verfassung in Kraft zu setzen. Eine Verfassung, die von „dem“ deutschen Volk freiwillig angenommen worden sei. Die Grenzen, die der Artikel setzt, sind genauso klar, wie die Vision, die er enthält. Eine neue Verfassung kann demnach nur in Freiheit und durch das deutsche Volk in seiner Gesamtheit angenommen werden. Beides Prämissen, die im Jahr 1949 als völlig illusorisch erscheinen mussten. Damit ist aber auch klar, dass es keine verfassungsgemäße Option darstellt, das „alte“ Grundgesetz so lange auszuhöhlen, bis es faktisch seine Gültigkeit eingebüßt hat – und dann eine Verfassungsdebatte anzustoßen.

So betrachtet hätte die von Bundesfinanzminister Schäuble angestoßene Verfassungsdebatte keinerlei verfassungsrechtliche Relevanz. Und das gerade, obwohl sich die Stimmen zu mehren scheinen, die von der faktischen Erledigung des Grundgesetzes auszugehen scheinen. Ein Beispiel hierfür findet sich gerade auch in der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, namentlich im Sondervotum Reinhard Gaiers zum Einsatz der Bundeswehr im Innern (vgl. BVerfG, 2 PBvU 1/11 vom 3.7.2012). Spektakulär sind in diesem Zusammenhang insbesondere seine einleitenden Bemerkungen:

„Das Bundesverfassungsgericht wird gerne als Ersatzgesetzgeber bezeichnet; mit der nun getroffenen Entscheidung des Plenums läuft das Gericht Gefahr, künftig mit der Rollenzuschreibung als verfassungsändernder Ersatzgesetzgeber konfrontiert zu werden.“ Und: „Im Ergebnis hat die Auslegung der Regelungen zum Katastrophennotstand, die der Plenarbeschluss bei seiner Antwort auf die zweite Vorlagefrage zugrunde legt, die Wirkungen einer Verfassungsänderung.“ (Vgl. BVerfG, 2 PBvU 1/11 Abs. 61)

Beide Sätze beschreiben es als Problem, wenn das Verfassungsgericht nicht mehr nur Recht festschreibt, indem es die bestehenden Gesetze auslegt, sondern dass es Recht schreibt, indem es die bestehenden Regelungen verändert. Entscheidend scheint für Gaier hierbei, dass die Bestimmung des Gerichts als „Ersatzgesetzgeber“ nicht mehr nur als eine Erwartung von außen an das Gericht herangetragen wird, sondern nun quasi von innen eine Bestätigung zu finden scheint, da der vorliegende Beschluss faktisch in seiner „Wirkung einer Verfassungsänderung“ gleichkommt. In dieser Lesart hätte sich – spätestens mit dem vorliegenden Beschluss – das Bundesverfassungsgericht als Teil der Legislative konstituiert. Der Inhalt des Beschlusses – wie auch des Sondervotums – ist nach diesem Paukenschlag gleichgültig, denn Gaier stellt das Urteil damit in den Kontext von verfassungswidrigem Verfassungsrecht. In anderen Worten: Es scheint, als sei das Urteil – in der Interpretation von Gaier – nicht rechtsgültig, da es dem Prinzip der Gewaltenteilung aus Art. 20 Abs. 2 GG zuwider läuft und demnach an der Ewigkeitsgarantie, die diesem Prinzip in der Verfassung zuerkannt wird (vgl. Art. 79 Abs. 3), scheitert.

Wie bekannt, fordert die „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ eine Konkretisierung des Grundgesetzes, da in ihrer Interpretation geltendes Bundesrecht (konkret: die Ausführungen zum Waffenexport) gegen die Intention des Grundgesetzes verstößt. Nun, es scheint, als wären die Träger der Aktion längst nicht mehr die Einzigen, die Zweifel am Funktionieren der vom Grundgesetz gesetzten Ordnung hegen. Während die „Aktion Aufschrei“ jedoch nur an der konkreten Umsetzung einer Einzelnorm Kritik übt, scheint für andere, also einen Bundesminister und einen Verfassungsrichter, in Frage zu stehen, ob die vom Grundgesetz gesetzte freiheitlich-demokratische Grundordnung als solche noch Bestand hat. Unter diesen Umständen sollte die „Aktion Aufschrei“ ihre Unterschriftensammlung vielleicht beschleunigen, da zu befürchten ist, dass das Grundgesetz, ehe es zu einer Konkretisierung kommt, als solches seine Bedeutung verliert?

Chrismon: Margot Käßmann – grundsätzlich gegen Rüstungsexporte

Das evangelische Magazin Chrismon veröffentlichte in seinem September-Heft ein Interview mit der evangelischen Theologin Margot Käßmann und Burkhart Braunbehrens, einem der Miteigentümer von Krauss-Maffei Wegmann.

Grundsätzlich Neues ist daraus nicht zu erfahren, denn wie es in öffentlichen Gesprächen so ist: Die Gesprächspartner waren vor allem bemüht, ihre jeweiligen Positionen öffentlichkeitswirksam darzustellen, ein wirklicher Austausch oder ein Eingehen auf die Wahrnehmungen des jeweiligen Gegenübers stand nicht im Vordergrund und wurde nicht praktiziert.

Dennoch produzierten die Beteiligten einige schöne Wortwechsel, die das Dilemma umreißen, in dem sich die Hoffnung auf Frieden bewegt.

Ein Beispiel:

Käßmann:In vielen Regionen Afrikas marodieren bewaffnete Banden. […] Im Bürgerkrieg in Liberia liefen 15-Jährige herum, die mordeten, vergewaltigten – mit der Macht der Waffe. Wir brauchen viel mehr Zeit, Geld, Ausbildung, um solche Situationen zu befrieden. Doch in Friedensprozesse wird nicht investiert. Mich stört, dass diejenigen, die auf gewaltfreiem Weg Frieden schaffen wollen, als naiv belächelt werden.

Braunbehrens:In den sich auflösenden Staaten brauchen wir eine UNO, die staatliche Autorität wieder herstellen kann. Es geht wirklich nicht ohne Waffen. Aber wenn Friedensmissionen so angelegt sind, dass sie scheitern müssen, ist das ein Skandal.“

Und ein von Käßmann gesetztes Highlight:

„Warum erschrecken die Politiker jedes Mal: „Huch, die Waffen, die wir geliefert haben, werden tatsächlich eingesetzt!“? 60.000 Gewehre sollten nach Nepal geliefert werden. Doch der Prinz von Nepal nutzte die Testmodelle, um einen Teil seiner Familie auszulöschen. Plötzlich wurde dieser „Deal“ zurückgezogen.“

Ein Nobelpreis für die Europäische Union

Die Europäische Union hat den Friedensnobelpreis erhalten. Es wäre nun leicht zu sagen, dass hierbei weniger die Institution geehrt wird, als die Vision, Europa zu einem Kontinent des Friedens zu machen. Aber diese Deutung wäre unzutreffend, denn das Nobelpreiskommitee erklärt ausdrücklich, dass der Preis der EU zuerkannt wird, weil die Union und ihre Vorgängerorganisationen seit mehr als sechs Jahrzehnten die Entwicklung von Frieden und Versöhnung, die Achtung der Prinzipien der Demokratie und die Menschenrechte in Europa gefördert haben. Und: Geehrt wird außerdem die Rolle, die die EU dabei gespielt hat, Europa von einem Kontinent des Kriegs in einen Kontinent des Friedens zu transformieren.

Geehrt wird also alles andere als die Vision eines friedlichen Europas, geehrt wird die Realität, wie sie in Europa herrscht. Es ist leicht, diese Entscheidung zu kritisieren. Zumal, da das Nobelpreiskommitee selbst zu bedenken gibt, dass die EU derzeit eine schwere ökonomische Krise durchläuft und beträchtlichen sozialen Schwierigkeiten gegenüber steht. Zum Vergleich: Als im Jahr 2001 die Vereinten Nationen mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurden, wurde dies nicht damit begründet, dass durch die UN der Weltfrieden verwirklicht wurde, sondern damit, dass sich die Institution seit Jahrzehnten dafür einsetzt, Frieden und Sicherheit herzustellen bzw. dafür Energien zu mobilisieren, um den globalen ökonomischen, sozialen und ökologischen Herausforderungen zu begegnen. Die Perspektive, die dadurch gezeichnet wird, ist eine grundsätzlich andere.

Hinzu kommt, dass die Behauptung, die Europäische Union oder ihre Vorgängerorganisationen seien als Friedensprojekt konzipiert gewesen, außer Acht lässt, dass die betriebene Politik der Versöhnung nicht im eigentlichen Sinn einer freien Entscheidung entsprang. Die Gründung der Keimzelle der heutigen EU, die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), hatte, wie schon der Name sagt, die europäische Integration der damals rüstungsrelevanten Schwerindustrie zum Ziel. Sie gelang nur, weil der Kalte Krieg drohend vor der Tür stand und die Länder West-Europas wussten, dass sie dem Feind aus dem Osten nur vereint widerstehen können würden. – Die im Zuge der militärischen Einigungsbemühungen ebenfalls angestrebte Europäische Politische Gemeinschaft (EPG) war jedoch politisch nicht durchsetzbar und scheiterte letztlich am Veto der Französischen Nationalversammlung.

Ein anderes Problem: Neben der EU waren in diesem Jahr noch zahlreiche weitere Organisationen und Institutionen für den Friedensnobelpreis nominiert. Eine davon war das Netzwerk „Control Arms“, das sich für die Ausarbeitung eines weltweit verbindlichen Arms Trade Treaty einsetzt (vgl. DAKS-Newsletter 03/2012). Nun zeichnen sich die EU-Mitgliedsländer nicht gerade durch eine rüstungsexportkritische Haltung aus. – Wenn statt einem rüstungsexportkritischen Netzwerk aber nun der global player im Waffenmarkt, die EU, mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wird, dann setzt dies ein sehr zwiespältiges Signal.

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