DAKS-Newsletter September 2014 ist erschienen!

Warum ist die Ausrüstung der Kurden mit deutschen Waffen alternativlos? Oder anders ausgedrückt: Im Irak geschieht ein Völkermord. – Warum wird keine UN-Schutzzone eingerichtet? Im Irak geschieht ein Völkermord. – Warum wird keine UN-Blauhelmmission erwogen? Im Irak geschieht ein Völkermord. – Warum werden keine humanitären Korridore definiert und mit Hilfe der bestehenden Lufthoheit gesichert? Im Irak geschieht ein Völkermord. Warum liefert Deutschland Waffen? Damit sich die Menschen dort noch effektiver töten können und so nicht nur eine Ethnie/Religionsgemeinschaft ausgerottet wird, sondern mehrere?

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Presseerklärung der Sprecher der Kampagne

Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!

Aufschrei-Appell an die Abgeordneten des Deutschen Bundestags:

Sagt NEIN zum Waffenexport in den Irak!“

Deutschland darf das Grundgesetz und das Völkerrecht nicht brechen und zur Kriegspartei werden!“

Grenzen schließen für Waffen, Grenzen öffnen für Flüchtlinge

Die Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ fordert in einem Appell alle 631 Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf, bei der symbolischen Abstimmung des Parlamentes am 1. September 2014 über die geplanten Waffenlieferungen in den Irak mit „NEIN“ zu stimmen. „Zurecht haben sich in einer Umfrage zur Bundestagswahl im Herbst letzten Jahres 488 Abgeordnete grundsätzlich gegen Waffenlieferungen in Konfliktregionen ausgesprochen“, so Paul Russmann, Sprecher der Kampagne‚Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!‘ und Geschäftsführer von Ohne Rüstung Leben(ORL). „Die breite Mehrheit steht hinter diesem Votum, in mehreren aktuellen Meinungsfragen votieren zwei Drittel der Deutschen eindeutig gegen Rüstungsexporte in den Irak.“

„Das Grundgesetz verpflichtet Deutschland in Artikel 26, für das friedliche Zusammenleben der Völker einzutreten“, betont Jürgen Grässlin, Sprecher der Kampagne‚Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!‘ und Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK). Gemäß den beiden Ausführungsgesetzen, dem Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) und dem Außenwirtschaftsgesetz (AWG), kommen Exporte nicht in Betracht, wenn die innere Lage des betreffenden Landes dem entgegensteht, so bei bewaffneten internen Auseinandersetzungen. „Waffenexporte in das Bürgerkriegsland Irak sind völkerrechtswidrig. Mit der Lieferung von Kriegswaffen verstößt die Bundesregierung gegen das Gewaltverbot der Charta der Vereinten Nationen von 1949“, so Grässlin. Die UN-Charta habe das frühere Recht eines souveränen Staates, einen Krieg führen zu können, abgeschafft. „Liefert die Bundesregierung Kriegswaffen an die Peschmerga, so begeht sie definitiv einen Rechtsbruch, denn sie wird zur Kriegspartei“, so Grässlin.

„Die Aktion Aufschrei fordert die Bundesregierung nachdrücklich auf, Kriegswaffen und sonstige Rüstungsgüter grundsätzlich nicht mehr zu exportieren“, so Harald Hellstern, Vorsitzender der Pax-Christi-Rüstungsexportkommission. „Deutschland muss die Grenzen für Waffenexporte schließen. Aber wir dürfen angesichts des menschlichen Leids im Irak nicht wegschauen. Wir müssen umfassend humanitär helfen. Dazu gehört, dass wir die Grenzen öffnen für Flüchtlinge aus Syrien und Irak. Dies muss sofort und unbürokratisch geschehen, denn im Irak droht Massenmord an Christen und Jesiden“, sagt Hellstern.

Warum der Beschluss zur Lieferung deutscher Kriegswaffen in den Irak fundamental falsch ist – und was stattdessen getan werden muss

von Jürgen Grässlin

„Der Beschluss, ein Kontingent Waffen zu liefern, fällt offenbar leichter als der Beschluss, ein Kontingent Flüchtlinge aufzunehmen.“

Heribert Prantl: „Falsch, falscher, am falschesten“ / Süddeutsche Zeitung vom 21.8.2014

Die Entscheidung der Bundesregierung vom 20. August 2014 und die Stellungnahme von Bundeskanzlerin Angela Merkel vom 24. August 2014, kurdische Kämpfer im Norden des Iraks mitdeutschen Kriegswaffen hochzurüsten, setzt die Jahrzehnte währende Tradition deutscher Kriegswaffenlieferungen in Krisen- und Kriegsgebiete ungehemmt fort. Neu ist, dass ein nichtstaatlicher Akteur in einem Krieg beliefert wird. Einmal mehr exportiert Deutschland Kriegswaffen und Rüstungsgüter in das Pulverfass Nahost, eine Region, in der es an vielem mangelt, am allerwenigsten aber an Waffen. Die Behauptung, Menschenrechte im Irak und im Nahen und Mittleren Osten schützen zu wollen, ist angesichts der langjährigen Waffenlieferungen an menschenrechtsverletzende Staaten – auch in dieser Region – heuchlerisch. Waffenexporte dagegen wirken mittel- und langfristig destabilisierend, sie sind somit äußerst verantwortungslos und im Endeffekt kontraproduktiv. Deutschland muss endlich auf allen Ebenen Verantwortung als „Weltfriedensmacht“ definieren. Diese Zielvorgabe schließt Waffenlieferungen definitiv aus und verlangt stattdessen politische Einflussnahme auf die befreundeten Staaten Türkei, Saudi-Arabien und Katar, die die Terroreinheiten des „Islamischen Staats“ (IS) ausrüsten bzw. finanzieren. Und sie verlangt von Deutschland eine Vervielfachung humanitärer Leistungen und der Flüchtlingsaufnahme. Genozide müssen aktiv verhindert werden – genau deshalb bedarf es der Schaffung von Fluchtwegen und der aktiven Fluchthilfe, verbunden mit massiver humanitärer Unterstützung.

Gegen Waffenlieferungen in den Irak sind folgende Argumente geltend zu machen:

Zentrale Argumente gegen erneute Waffenlieferungen in das Pulverfass des Nahen und Mittleren Osten

Das internationale Waffenembargo gegen den Irak wird durch Waffenlieferungen unterwandert und es wird zugleich ein katastrophaler Präzedenzfall geschaffen.

Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) verweist darauf: „Nach § 69e Abs. 1 Außenwirtschaftsverordnung (AWV), der den Gemeinsamen Standpunkt 2003/495/GASP in nationales Recht umsetzt, sind Verkauf und Ausfuhr von Rüstungsgütern und sonstigem Wehrmaterial, die von Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste erfasst sind, in den Irak verboten. Ausnahmen betreffen Lieferungen für die im Land stationierten multinationalen Streitkräfte.“ Geplante Waffenlieferungen an nationale irakische Streitkräfte sind rechtlich höchst fraglich, sie verstoßen allemal gegen den Geist des UN-Waffenembargos. Die Bundesregierung unterwandert diese rechtlichen Vorgaben, indem sie beispielsweise gebrauchte Kriegswaffen aus Bundeswehrbeständen liefert und die Empfänger in einem Nachbarland an den Waffen ausbildet. Ungeachtet der rechtlichen Fragwürdigkeit ist die Unterwanderung eines Waffenembargos jedoch zutiefst verwerflich und bietet anderen Staaten bei zukünftigen Waffenexporten ein schlechtes Vorbild. Waffenlieferungen an die Peschmerga als nichtstaatliche Empfänger deutscher Kriegswaffen stellen einen Präzedenzfall dar, der als Türöffner für kommende Waffentransfers dienen wird.

Laut den Politischen Grundsätzen der Bundesregierung zum Rüstungsexport, dem Außenwirtschafts- und dem Kriegswaffenkontrollgesetz darf Deutschland „bei bewaffneten internen Auseinandersetzungen“ keine Kriegswaffen und Rüstungsgüter liefern.

Gemäß den Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern vom 19.01.2000 gilt: „Der Beachtung der Menschenrechte im Bestimmungs- und Endverbleibsland wird bei den Entscheidungen über Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern besonderes Gewicht beigemessen.“ Zudem gilt: „Genehmigungen für

Exporte nach Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) und/oder Außenwirtschaftsgesetz (AWG) kommen nicht in Betracht, wenn die innere Lage des betreffenden Landes dem entgegensteht, z.B. bei bewaffneten internen Auseinandersetzungen […]. Für diese Frage spielt die Menschenrechtssituation im Empfängerland eine wichtige Rolle.“ Politische Grundsätze sind politische Vorgaben, sie sind juristisch nicht einklagbar: Aber: Mit der Lieferung von Kriegswaffen an einen Empfänger, der in bewaffneten Auseinandersetzungen steht und Menschenrechte verletzt, bricht die Bundesregierung – einmal mehr – ihre selbst gesetzten Vorgaben politischen Handels. Sie macht sich somit erneut unglaubwürdig.

Waffenlieferungen an die Peschmerga schaffen – womöglich – ein militärisches Patt, langfristig aber können sie in einen Krieg um einen Kurdenstaat führen.

Die Peschmerga wird mit US-amerikanischen, französischen, britischen, italienischen und nun auch deutschen Waffen hochgerüstet. Sobald die Kämpfer im Nordirak im Einsatz dieser Kriegswaffen geschult sind, können diese gegen die IS eingesetzt und deren Vormarsch womöglich gestoppt werden – Garantien dafür gibt es nicht. Durchaus realistisch aber ist, dass die nunmehr mit modernen Waffen hochgerüsteten Kurden im Nordirak ihr Ziel weiterverfolgen, einen eigenen Staat zu gründen. Ob das Nato-Land Türkei dies hinnehmen wird, ist offen. Die Hauptgefahr besteht in einem erneuten kurdischen Bürgerkrieg. Kommende Konflikte – womöglich ein Krieg – sind vorprogrammiert, einmal mehr mit dem Einsatz deutscher Waffen beiderseits der Front. Verantwortungsloser kann deutsche Regierungspolitik nicht sein.

Die Behauptung, Menschenrechte im Nahen und Mittleren Osten wahren zu wollen, ist verlogen – vielmehr geht es um westliche Interessen, allen voran den Zugang zu irakischem Öl.

Saudi-Arabien, bekanntermaßen neben Katar der führende Mitfinanzier der IS-Terrormilizen, ist seit Jahren eines der Hauptempfängerländer deutscher Kriegswaffen. Die saudi-arabischen Militärs sind mit deutschen Großwaffensystemen (Eurofighter Typhoon), Kleinwaffen (MP5-Maschinenpistolen und G3- sowie G36-Sturmgewehren in deutscher Lizenzfertigung) und Rüstungsgütern (Militärfahrzeuge, Grenzsicherungsanlagen und Überwachungssysteme) bis an die Zähne hochgerüstet. Diese Waffentransfers genehmigten CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne in Regierungsverantwortung, obwohl das wahhabitische Herrscherhaus in Riad Menschenrechte massiv verletzt und religiöse Minderheiten – unter ihnen Christen – verfolgt, foltert und exekutiert. Die Todesstrafe wird vielfach an Andersdenkenden und Andersgläubigen vollzogen (Platz 4 im weltweiten Hinrichtungsranking). Was zählt, sind primär Wirtschaftsinteressen Deutschlands, allen voran der Zugang zu den riesigen Ölfeldern in Saudi-Arabien und zukünftig womöglich wieder im Irak.

Jahrzehnte währendes Morden mit deutschen Kriegswaffen im Nahen und Mittleren Osten – beispielsweise mit G36-Sturmgewehren von Heckler & Koch – ist vorprogrammiert.

Exportierte Kriegswaffen sind Jahrzehnte lang brauchbar für den Kampfeinsatz. Mit G3-Schnellfeuergewehren, entwickelt von Heckler & Koch (H&K), wird auch vier Jahrzehnte nach deren Lieferung noch gekämpft. Dies belegen meine Vor-Ort-Recherchen in Somalia. Wenn Deutschland neue G36-Sturmgewehre von H&K an die irakischen Streitkräfte und/oder an die kurdischen Peschmerga liefert, können diese auch im Jahr 2054 im militärischen Einsatz noch voll funktionsfähig sein. Mit ihnen werden – von einer Bundesregierung gänzlich unkontrollierbar – massenhaft Menschen getötet werden. Zum Beispiel im nächsten Krieg zwischen dem Irak und dem Iran, um nur eine Möglichkeit von vielen im Krisen- und Kriegsgebiet Naher und Mittlerer Osten zu nennen.

Mit Waffenlieferungen wird ins Öl ins Feuer der kriegerischen Auseinandersetzungen im Irak gegossen.

Weitere Waffenlieferungen an die irakische Regierung (in der jüngsten Vergangenheit dominiert von schiitischen Regierungsvertretern) garantieren die Eskalation militärischer Konfliktaustragung mittels des Einsatzes eben dieser Waffen. Die neu gelieferten Kriegswaffen können eingesetzt werden bei religiös und politisch motivierten Auseinandersetzungen von Schiiten gegen Sunniten, von Sunniten gegen Kurden, von Kurden gegen Kurden usw. Wer Waffen in das Pulverfass Irak liefert, gießt langfristig Öl ins Feuer dieser Auseinandersetzungen.

Der Endverbleib der Waffen kann nicht im Mindesten garantiert werden – im Gegenteil: Waffen wandern von „Gut“ zu „Böse“ zu „Gut“ zu „Böse“ …

Bis vor Kurzem noch wurde die IS vom Nato-Mitgliedsland Türkei im Kampf gegen das Assad-Regime in Syrien unterstützt, u.a. mit Ausrüstung und Nachschub. Finanziell unterstützt wird IS weiterhin von Saudi-Arabien und Katar, also führenden Empfängerländern legal gelieferter Kriegswaffen aus Deutschland. Seit den Exekutionen von Christen, Jesiden und Schiiten steht die IS nunmehr auch aus Sicht aller Nato-Staaten auf feindlicher Seite. Während der kriegerischen Auseinandersetzungen gelangten IS-Kämpfer in den Besitz hochmoderner Waffen der irakischen Armee, geliefert aus den USA. Der Endverbleib von Kriegswaffen kann nicht im Mindesten garantiert werden. Im Moment gelten irakische Kurden als „Gute“. Wer neue Waffen liefert, riskiert deren Verwendung in falschen Händen, der „Bösen“. Doch richtige militärische Hände einer „guten“ Seite gibt es im Irak ehedem nicht – schon gar über den Zeitraum mehrerer Jahre.

Der Irak erstickt schon jetzt am Überfluss der Kriegswaffen.

Gäbe es eine Weltkarte der Waffenimportdichte, wären der Sudan, Somalia, Afghanistan und eben der Irak blutrot eingefärbt. Das einzige, was im Irak im Überfluss existiert, sind Kriegswaffen. Die Einwohner leiden seit Jahrzehnten unter der Gewalt dieser Waffen, Millionen Menschen sind traumatisiert, ganze Landstriche werden verwüstet.

Mit dem Beschluss der Bundesregierung, kurdische Kämpfer im Nordirak mit deutschen Kriegswaffen hochzurüsten, wird Deutschland selbst zur Kriegspartei.

Deutschland ist aufgrund seiner langjährigen politischen Einflussnahme auf die Lage im Irak massiv Mitschuld an der politischen Fehlentwicklung im Land, z.B. durch die Unterstützung des Irak-Kriegs 2003 (der US-Army und der „Koalition der Willigen“ mittels der Gewährung von Überflugrechten, dem Schutz von US-Militärbasen und US-Kasernen in Deutschland und Awacs-Überwachungsflügen) sowie die umfassenden Waffenlieferungen an die Türkei, Saudi-Arabien und Katar – die ihrerseits die IS unterstützen. Mit den direkten Waffenlieferungen an die kämpfenden irakischen Kurden wird Deutschland direkt zur Kriegspartei – mit unabsehbaren Folgen für die Sicherheitslage auch in Deutschland.

Fazit und Forderungen: Ja, wir können nicht wegschauen, wir müssen handeln!

• Totales Waffenexportembargo verhängen

• vorhandene Waffen verschrotten

• umfassend humanitär helfen

• Flüchtlinge aus dem Irak und Syrien zahlreich aufnehmen

Schwere Menschenrechtsverletzungen wie Folter und Vergewaltigungen, Morde und Massenexekutionen sind zurzeit auf mehr als 30 Kriegsschauplätzen der Welt an der Tagesordnung. Leider stellen die aus dem Irak berichteten Szenarien in diesem Sinne keine Ausnahmeerscheinung dar. Einen entscheidenden Beitrag zu derart menschenverachtenden Handlungen und zur Gewalteskalation sind Waffenlieferungen der führenden Industriestaaten. Terrorgruppen, wie beispielsweise der IS, besitzen in der Regel keine eigenen Waffenfabrikationsanlagen. Sie erhalten Kriegswaffen von befreundeten Staaten und Beutewaffen, z.B. US-Waffen bei der Einnahme der Stadt Mossul. Wer aber weitere Waffen in den Irak liefert oder Kombattanten finanziell unterstützt, macht sich mitschuldig am Massenmorden im Irak – jetzt und in den kommenden Jahrzehnten. Wer Terrorismus auf Dauer ausbluten, menschenrechtsverletzende Regierungen zur Umkehr bewegen und Diktatoren zum Abdanken zwingen will, der muss den Repressoren die Machtinstrumente ihrer Gewaltherrschaft entziehen. Wer sich nach der jahrelangen Beihilfe zum Massenmorden durch Rüstungsexporte endlich gewissenhaft und glaubwürdig für Demokratie und Frieden einsetzen will, muss letztlich die Strukturen einer ungerechten Weltwirtschaftsordnung ändern. Die Umsetzung dieser langfristigen Zielvorgabe kann nicht abgewartet werden. Die Bundesregierung muss den notleidenden Menschen im Irak kurz- und mittelfristig helfen.

Sie muss…

• im Einklang mit den Vereinten Nationen den notleidenden Menschen im Norden des Irak umfassend humanitäre Hilfe (Zelte, Nahrungsmittel und medizinische Betreuung) zukommen lassen. Dies verlangt einen hohen finanziellen und personellen Einsatz. Im sicheren Hinterland müssen feste Flüchtlingscamps zur menschenwürdigen Unterkunft und Lazarette zur notwendigen medizinischen Versorgung eingerichtet werden. Der Aufbau von Dienstleistungen muss die religiöse und kulturelle Identität der Flüchtlinge berücksichtigen. Zivile Hilfsorganisationen und Gruppen der Zivilgesellschaft müssen aktiv in die humanitäre Hilfe eingebunden sein und unterstützt werden;

• die deutschen Grenzen schließen für Waffenexporte und sie öffnen Flüchtlinge aus dem Irak und aus Syrien. Diese müssen als politisch Verfolgte in Deutschland anerkannt und ihnen dementsprechend Asyl gewährt werden;

• den Regierungsbildungsprozess im Irak positiv begleiten. Jetzt rächt es sich, dass die Bundesregierung viel zu lange die Regierung unter dem schiitischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki unterstützt hat. Denn Stabilität in der Region wird erst gewährleistet, wenn alle politischen und religiösen Kräfte angemessen in der irakischen Regierung vertreten sind und ihren Einfluss im Sinne des Gemeinwohls geltend machen können. Sunnitische Abgeordnete und Minister in der neuen irakischen Regierung können positiv Einfluss auf den IS ausüben;

• massiv Druck auf die aus ihrer Sicht „befreundeten Staaten“ Türkei, Saudi-Arabien und Katar ausüben, damit diese die logistische, materielle bzw. finanzielle Unterstützung für den IS sofort einstellen und stattdessen mäßigend auf die Terrormilizen einwirken. Sollte dies nicht geschehen, müssen Deutschland und die internationale Staatengemeinschaft ein sofortiges Waffenembargo gegen diese drei Länder verhängen;

• sich in den Vereinten Nationen für ein umfassendes Embargo atomarer, biologischer, chemischer und konventioneller Waffen (ABC/K-Waffenembargo) für den gesamten Nahen und Mittleren Osten stark machen. Mittelfristig würde dies all den Regierungstruppen, Milizen, Guerilla- und Terroreinheiten auf Dauer die Macht der Waffengewalt entziehen. Dringend vonnöten sind Waffeneinsammel- und Verschrottungsaktionen – nicht aber der Export von noch mehr Kriegswaffen und Rüstungsgütern ins das Pulverfass Irak.

Nach einer Forsa-Umfrage im Auftrag des Stern befürworten lediglich 30 % der Befragten Waffenlieferungen an die Peschmerga, 63 % lehnen diese ab (Stand 20.08.2014). Wir fordern die Bundesregierung nachdrücklich auf, dem Mehrheitswillen der bundesrepublikanischen Bevölkerung nachzukommen und den notleidenden Menschen im Irak umfassend humanitär zu helfen – keinesfalls aber mit der Lieferung von Kriegswaffen.

Jürgen Grässlin ist Bundessprecher der DFG-VK (Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen), Sprecher der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“, Sprecher der Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD) und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.). Er ist Autor des „Schwarzbuch Waffenhandel. Wie Deutschland am Krieg verdient“ (Heyne Verlag München).

Kontakt:

E-Mail: graesslin@dfg-vk.de

Telefon: 0761-767 82 08

Internet: www.juergengraesslin.com

Waffenlieferungen in den Irak: Kleinwaffen dabei!

Wenn derzeit darüber diskutiert wird, ob die deutsche Regierung unter anderem auch Waffen in den Irak liefern soll, erscheint es so, als ob Deutschland in den letzten Jahrzehnten nicht ständig Waffen in Krisengebiete und auch in bewaffnete Konflikte geliefert habe. Der aufgedeckte Deal von SIG Sauer-Pistolen nach Kolumbien zeigt es einmal mehr (im gefährlichen Endeffekt auch dann, wenn die Pistolen technisch nicht als Kriegswaffen gelten). Von daher dürfen die PolitikerInnen jetzt nicht so tun, als ob da eine rote Linie überschritten werde, diese Linie ist bereits lange nicht mehr existent.

Zwei Fragen sollte man sich stellen: An wen gehen diese Waffen konkret und wer will rechtlich dafür verantwortlich zeichnen, dass diese Waffen jetzt oder später nicht in sogenannte „falsche“ Hände gelangen? In Libyen wurden und werden mit Waffen aus NATO und EU Verbrechen begangen, kümmert das jemanden von den Bundestagsabgeordneten oder Kabinettsmitgliedern in Deutschland? Wer die Problematik von einmal gelieferten Waffen, gerade von Kleinwaffen, nicht kennt oder ignoriert, darf nicht liefern. Alle anderen müssen beweisen, dass sie den Endverbleib der Waffen und deren „korrekte“ Anwendung kontrollieren können. Oder dürfen auch nicht liefern.

Ein Spiegel-Bericht von Matthias Gebauer weist auf die Möglichkeit hin, dass Italien deutsche Maschinengewehre liefern könnte. Das wäre ein Re-Export. Und das führt zu der zweiten Frage: Wer übernimmt die rechtliche Verantwortung für jene Waffengeschäfte und -exporte, durch die deutsche Waffen bereits in den letzten Jahren in den Irak gelangt sind (und womöglich schon in „falsche“ Hände)? Heckler & Koch und andere Firmen aus Deutschland haben über Katar, Saudi-Arabien und andere Golf-Staaten, über die USA, sicherlich auch über die Türkei (HK416?) Waffen in das (Bürger-)Kriegsland gebracht. Oder wurde direkt geliefert? All das könnte die Bundesregierung (gefragt sind aber auch die Landesregierungen, etwa Baden-Württemberg) aufklären und ihrer Bevölkerung bekannt machen, wenn sie denn einen echten Rüstungsexportbericht erstellen würde (oder besser noch, einen Rüstungsgenehmigungsbericht, also vorher, bevor geliefert wird und man noch diskutieren kann, etwa im Parlament). Aber das will sie nicht! Seehofer: Firmenwohl und Arbeitsplätze, das zählt. Sehr christlich…

Eine ganz andere Art von Re-Export ist die von Gebauer genannte Möglichkeit, Bulgarien Kalaschnikow-Gewehre an die Kurden liefern zu lassen, um dann mit einem Waffendeal womöglich an der Ausrüstung der bulgarischen Streitkräfte gut zu verdienen, vermutlich würden dann G36-Gewehre an Sofia gehen. Spannend und bezeichnend zugleich! Und: Unter den zu liefernden Waffen sind Schusswaffen der Firma Heckler & Koch, die die Firma dann wahrscheinlich an die Bundeswehr nachliefern „darf“!

Weitere Fragen bleiben: Gehen Soldaten der Bundeswehr als Waffenausbilder in den Irak? In welchen Waffenanwendungen schulen sie die kurdischen (und welche anderen?) Soldaten noch? Welche Waffen nehmen die deutschen Soldaten mit und welche lassen sie eventuell dort? Und warum gibt es nicht wenigstens ein Bundestagsmandat für diesen Auslandseinsatz? Wofür die Farce einer symbolischen Abstimmung?

Ein interessanter Kommentar zum Thema findet sich in der Süddeutschen Zeitung (Autor: Heribert Prantl). Jürgen Grässlin gab Radio Bremen ein Interview zu dieser Problematik. Die taz bietet ein Pro und Kontra der Meinungen der Politiker Daniel Cohn-Bendit (Bündnis 90/Die Grünen) und Ralf Stegner (SPD). Und die Linke? Jan van Aken zum Beispiel spricht sich, anders als Gregor Gysi (und andere in der Partei), deutlich gegen Waffenexporte aus.

SIG Sauer „nach Kolumbien“: deutsche Firma exportiert weiter

Das Unternehmen SIG Sauer aus Eckernförde verkauft weltweit Waffen. Nun soll es bei einem der Deals, die über die USA abgewickelt wurden, ein Problem mit dem deutschen Gesetz geben. Provokativ gefragt: Wen überrascht das wirklich? Exportiert wurde jahrelang, der Gesetzgeber (das Parlament), die Regierung und die Wirtschaft wollen Waffenexporte. Warum ist es dann trotzdem verwerflich?

Waffen in ein Bürgerkriegsland zu liefern, heißt, einer instabilen Gesellschaft zu schaden, konkret den Menschen. Waffen an autoritäre, die Menschenrechte missachtende Regierungen zu liefern, heißt, Verbrechen der staatlichen Organe in Kauf zu nehmen. Das trifft auf Kolumbien zu. Wer würde sich solche Waffendeals wünschen, wenn zum Beispiel Deutschland in einer ähnlichen Lage wäre? – Waffen in eine Krisenregion zu liefern, heißt außerdem, am Leid der Menschen zu verdienen. Das ist verwerflich.

Daher ist es nur richtig, wenn die SprecherInnen der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ Anzeige erstatteten. Und es ist auch gut, wenn die Medien berichten und diese Waffengeschäfte in den Blick der Öffentlichkeit bringen, etwa in Schleswig-Holstein oder Bundesweit. Worum geht es konkret?

Wie Otfried Nassauer berichtete (siehe BITS und Kleinwaffen-Newsletter Juni 2014), handelt es sich um einen Export aus den USA, zu dem die deutschen Behörden sich nicht mehr verhalten müssen, weil er bereits außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs stattfindet. Die Löcher in der Exportkontrolle, so Nassauer, müssen geschlossen werden.

Neben den Pistolen vom Typ SIG SP 2022, die nach Kolumbien gingen, sollen aber auch Scharfschützengewehre der Firma (Typ SSG 3000) in das Bürgerkriegsland gelangt sein, wie Volkmar Kabisch, Frederik Obermaier und Bastian Obermayer (unter Mitarbeit von Martha Soto und Gerardo Reyes) in der Süddeutschen Zeitung berichteten.

Zuvor hatte SIG Sauer Waffen über Umwege nach Kasachstan geliefert; auch hier ist noch nicht klar, wie es sich mit dem deutschen Recht verhält. Die Tagesschau und der NDR berichteten.

Geklärt werden muss also, wo und wie deutsches Recht gebrochen worden sein könnte. Ebenso muss überlegt werden, welche Folgen der Beweis eines illegalen Handelns für die Firma SIG Sauer haben sollte. Bis zum Beweis der Schuld gilt zwar die Unschuldsvermutung, doch Behörden wie das BAFA (Bundesausfuhramt) sind gut beraten, die Auslandsgeschäfte des Unternehmens bis Ermittlungsende oder Urteilsverkündung ruhen zu lassen.

Und: Die Firma exportiert weiter! Auf der SHOT SHOW 2014 (was ein treffender Name!) in Las Vegas präsentierte sie ihre Pistole, unter anderem dem US-Verteidigungsministerium und anderen NATO-Staaten, aber eben nicht nur diesen…

Es ist Zeit bzw. längst überfällig, nicht nur Gewehre als Kriegswaffen einzustufen, sondern auch Pistolen und anderen Faustfeuerwaffen. Allein der „Amoklauf“, bei dem Adam Lanza im Jahr 2012 in Newtown (im US-Bundesstaat Connecticut) 27 Menschen erschoss – darunter 20 Kinder – müsste Anlass genug sein, diese scheinbar harmlosen Waffen als lebensgefährlich einzustufen. Der Täter hatte unter anderem eine Pistole vom Typ SIG Sauer P226 bei sich. Stattdessen kann die Tochterfirma SIG Sauer Inc. in den USA ungestört weiter Kleinwaffen verkaufen, wohin und an wen immer sie will. Tödlich.

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