Während die Armee aufrüstet geraten Rüstungskritiker ins Visier der Staatsanwaltschaft? – Was wie ein Plot aus einer Bananenrepublik anmutet, passiert gerade heute in Deutschland: gegen Daniel Harrich, Jürgen Grässlin und Danuta Harrich-Zandberg, die Autoren des Buches „Netzwerk des Todes“ wird von Seiten der Staatsanwaltschaft München ermittelt. Währenddessen wird der Bundeswehr eine Erhöhung des Etats in Aussicht gestellt, damit lang ersehnte neue Waffen gekauft werden können. – Mehr im neuen Newsletter!
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DAKS-Newsletter Mai 2016
Pressefreiheit in Gefahr?
Seit 2006 kauft der deutsche Fiskus CDs mit den Datensätzen von „Steuersündern“. Die Kosten in Höhe von jeweils mehreren Millionen Euro rechnen sich, da die so erlangten Informationen ausgewertet werden können und eventuell Nachforderungen erhoben werden können. Das Vorgehen sorgte für großes Aufsehen und internationale Verwicklungen, da die Schweiz gegen solche Wirtschaftsspionage protestierte. Gleichzeitig kam es in Deutschland zu verschiedenen Klagen, da sich die von Klagen bedrohten Steuerhinterzieher juristisch zu wehren versuchten. Die vorgebrachten Argumente hatten einiges für sich. So wurde etwa argumentiert, die Erhebung der Daten, die zur Anklage geführt haben, sei selbst illegal gewesen und habe geltende, völkerrechtliche Regeln (Wirtschaftsspionage) und Abkommen verletzt. Weiter wurde kritisiert, dass der Bundesnachrichtendienst, der als Zwischenhändler und Vermittler in diesem Datengeschäft aufgetreten sei, zu solchen Geschäften nicht berechtigt sei und dass die im Endeffekt erfolgte Kooperation von Bundesnachrichtendienst, Steuerbehörden und Staatsanwaltschaft gegen das Trennungsgebot dieser Instanzen verstoße.
Schließlich beschäftigte sich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 09. November 2010 – 2 BvR 2101/09) mit dieser Causa und erklärte, dass alles nicht so schlimm sei. Selbstverständlich dürfte der deutsche Fiskus die Daten verwenden, Steuern nachfordern und Steuerhinterzieher strafrechtlich belangen. In einer Pressemitteilung wurde die Entscheidung mit den Worten zusammengefasst:
„Ein Beweisverwertungsverbot bestehe selbst dann nicht, wenn bei der Datenbeschaffung nach innerstaatlichem Recht rechtswidrig oder gar strafbar gehandelt worden sein sollte. Auch wenn völkerrechtliche Übereinkommen umgangen worden sein sollten, sei dies unschädlich, weil sich aus der Verletzung eines völkerrechtlichen Vertrages, der keine persönlichen Rechte gewähre, kein Verwertungsverbot ergebe.“
Was das alles mit Kleinwaffen zu tun hat? Wie im April bekannt wurde, ermittelt die Staatsanwaltschaft München gegen Daniel Harrich, Jürgen Grässlin und Danuta Harrich-Zandberg, die Autoren des Buches „Netzwerk des Todes“, wegen des Verdachts der verbotenen Mitteilung über Gerichtsverhandlungen (Art. 353d Ziff.3 StGB). Soll heißen, weil die Autoren in ihrem Buch „amtliche Schriftstücke“ zitierten, die in einem noch nicht abgeschlossenen Strafverfahren eine Rolle spielen sollen, sollen sie nun strafrechtlich belangt werden. Der Umstand, dass erst die Recherchen des AutorInnen-Trios das Strafverfahren gegen Heckler & Koch-Mitarbeiter ausgelöst hat bzw. dass von den Autoren (Jürgen Grässlin) selbst eine entsprechende Klage eingereicht worden ist und er insofern Prozessbeteiligter ist, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Vielleicht wäre es der Staatsanwaltschaft lieber gewesen, wenn „Netzwerk des Todes“ nicht über potentielle Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz, sondern gegen das Steuerrecht berichtet?
Der verknotete Revolver: zum Tod von Carl Fredrik Reuterswärd
Durch den Revolver, mit dem man nicht schießen kann, wurde er berühmt, der schwedische Maler und Bildhauer Carl Fredrik Reuterswärd. 1934 wurde er in Stockholm geboren, studierte in Frankreich, hatte einen Lehraufenthalt in den USA und war mit prominenten Künstlern und Schriftstellern wie Lennon, Sarte und Dalí befreundet. Nun ist er Anfang Mai 81-jährig im südschwedischen Landskrona gestorben. Das Kunstwerk, das ihn in aller Welt bekannt machte, trägt den einfachen Namen „Non Violence“ und hat auch ein einfaches Konzept: Einem Revolver wird der Lauf verdreht, so dass niemand mehr damit schießen kann. Der Wunsch nach einer friedlichen Welt wird hier durch konkrete Abrüstungsvorstellungen ausgedrückt. Es wird zwar nicht nach Ursachen oder Strukturen der Gewalt gefragt, aber immerhin ist die Botschaft eindeutig und klar: Keine Gewalt! Und Reuterswärd hat als Beispiel die Schusswaffe gewählt, also nicht Großwaffen wie Panzer oder Flugzeuge oder gar Atomwaffen, sondern die Waffenart, mit der am meisten Menschen weltweit getötet und ermordet werden, die Kleinwaffe.
17 Exemplare von „Non Violence“ gibt es, sie stehen etwa in New York vor dem Gebäude der Vereinten Nationen, aber auch in Berlin. Warum Kanzler Schröder eine solche Skulptur gewidmet bekam, fragt man sich, er, der als erster Kanzler nach dem von Deutschland verbrochenen Zweiten Weltkrieg wieder Angriffsbefehle an deutsche Soldaten gab (und wieder gegen Menschen in Serbien), also ein eindeutiger Bellizist! 2003 soll Schröder dann ein Nein gegen den dritten Irak-Krieg geäußert haben – die stille Beteiligung Deutschlands an diesem Krieg, die organisatorische Hilfe und die Überflugrechte, sicher auch Beteiligung an Menschenrechtsverbrechen, begangen in geheimen Gefängnissen der USA und ihrer Alliierten, zeichnen ein gänzlich anderes Bild. (Aber auch Drohnenkriegsverbrecher Barack Obama durfte ja Friedensnobelpreisträger bleiben.) Schröder wird die Skulptur in seinem Kanzlergarten gefreut haben.
Nichtsdestotrotz hat die verknotete Pistole ihre Aussagekraft nicht verloren, sie steht für die Idee, dass die Waffen unbrauchbar gemacht werden müssen (oder gar nicht erst produziert werden dürfen). Denn solange es Waffen gibt, wird damit geschossen, werden Menschen traumatisiert, verletzt und getötet. Krieg und Gewalt gehen eben nicht ohne das entsprechende Material. Konversion ist die Parole für die Herren von Heckler & Koch, von Walther, SIG Sauer und anderen Produzenten des Todes! Danke dafür an Carl Fredrik Reuterswärd.
Die Bundeswehr rüstet auf und keiner fragt, warum?
Die Bundeswehr soll qualitativ und quantitativ aufgerüstet werden – und alle finden es gut. Zumindest löste die Forderung von Verteidigungsministerin von der Leyen, die Truppenstärke der Bundeswehr erstmals seit dem Ende des Kalten Kriegs zu erhöhen und bis zum Jahr 2020 zusätzliche 10,2 Milliarden Euro in neue Waffen zu investieren, keinen Sturm der Entrüstung aus, sondern Applaus. Die Planungen für eine entsprechende Erhöhung sind bereits seit Mitte vergangenen Jahres bekannt, doch noch immer werden die entsprechenden Planungen nicht hinterfragt. Die These etwa, die Bundeswehr sei kaputt gespart worden, scheint angesichts des relativ stabilen Verteidigungshaushalts der vergangenen Jahre irritierend.
(geplante) Entwicklung des Verteidigungshaushalts 2011-2017
Jahr | Verteidigungshaushalt in Milliarden Euro | Bundeshaushalt in Milliarden Euro | Anteil des Verteidigungshaushalts am Bundeshaushalt in Prozent |
2011 | 31,55 | 319 | 10,3 |
2012 | 31,87 | 307 | 10,4 |
2013 | 33,26 | 308 | 10,8 |
2014 | 32,43 | 295 | 10,9 |
2015 | 32,97 | 307 | 10,7 |
2016 | 34,3 | 317 | 10,8 |
2017 | 39,2 | 325 | 12,06 |
Gewiss gehört Klappern zum Geschäft und es wäre wohl zuviel verlangt, von einer Ministerin zu verlangen, dass sie öffentlich bekundet, mit ihrem Etat zufrieden zu sein. Andererseits – beklagen Bundeswehr-Strategen nicht immer wieder die fatale Asymmetrie, unter der die Soldaten bei ihren Auslandseinsätzen zu leiden haben? Auf der einen Seite hochtechnologisch gerüstete, gut ausgebildete und gut versorgte Soldaten, auf der anderen Seite nur feige und hinterhältige Terroristen mit rostigen Kalashnikovs? Wozu benötigt die Bundeswehr dann neue Waffen? Um die Asymmetrie weiter zu erhöhen? Die Frage, was für Waffen aktuell beschafft werden sollen, scheint relevant, da sich die Neubeschaffungen sonst schlicht als versteckte Subvention der ebenfalls darbend-klagenden deutschen Rüstungsindustrie erweisen könnten.
30 Jahre Rüstungsträume – Rüstungsplanung: Mit den Träumen von gestern zu den Waffen von morgen für die Kriege von übermorgen
von Otfried Nassauer
»Ein Mensch erhofft sich fromm und still, dass er einst kriegt, was er will. Bis er dann doch dem Wahn erliegt und schließlich das will, was er kriegt.«
Besser als mit den Worten des Münchener Pazifisten und Schriftstellers Eugen Roth kann man das empirisch nachweisbare Ergebnis deutscher Rüstungsplanung in den letzten Jahrzehnten kaum beschreiben. Visionär sind Roths Worte zudem.
Sie zweifeln, liebe Leser? Dann lesen Sie selbst: Die längerfristige Planung der Bundeswehr sieht offiziell vor, dass die Bundeswehr künftig unter anderem mit dem Eurofighter, mit Kampfdrohnen, luftgestützter Fernmeldeaufklärung an Bord eines »Breguet Atlantic«-Nachfolgers, dem Hubschrauber »Tiger« oder zum Beispiel mit dem Panzerabwehrraketensystem »PARS 3« ausgestattet wird. Vielleicht wird es sogar einen »Leopard 3« geben.
Die Planungsdokumente, in die wir geschaut haben, um dies zu erfahren, sind allerdings mehr als 30 Jahre alt. Wir haben nachgelesen, was der damalige Verteidigungsminister Manfred Wörner in die erste, von ihm zu verantwortende Bundeswehrplanung schreiben ließ, nachdem Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher im Jahr 1982 eine schwarz-gelbe Koalition gebildet hatten.
Dort steht noch mehr: Der Nachfolger für die »Breguet Atlantic« wird ab 1989 zur Beschaffung anstehen, der Tiger ab 1990. Der Eurofighter wird 1995 eingeführt, die Kampfdrohne 1997, der Leopard 3 möglicherweise schon ab 2000. Die 52.000 Panzerabwehrraketen vom Typ PARS-3 sollen ab 1991 zulaufen. Rund 240 Milliarden DM sollten laut der damaligen Planung binnen 15 Jahren in neue Ausstattung für die Bundeswehr fließen.
Zahlen aus dem Kalten Krieg. Ihr Kontext ist jene Phase, in der die Nato mit dem sogenannten Rogers-Plan und dem Konzept der »Follow on Forces Attacks« (FOFA) die Kriegführung in Mitteleuropa technisch revolutionieren und die Truppen des Warschauer Paktes sowie dessen nach Zehntausenden zählendes Großgerät mit modernsten Lenk- und Präzisionswaffen schon weit jenseits der Front zerschlagen wollte.
Doch trotz des zeitlichen Abstands von 30 Jahren geht es hier keineswegs um »olle Kamellen«, die längst keine Rolle mehr spielen. Das schwant dem Leser spätestens, wenn er auch einen Blick in die aktuelle Bundeswehrplanung wagt. Die Beschaffung des Eurofighters und des Tigers sind weiter im Gange. Sie verlaufen alles andere als problemlos. Mit der Einführung der luftgestützten Signalaufklärung als »Breguet Atlantic«-Nachfolge konnte bislang nicht begonnen werden. Sowohl das hierfür vorgesehene Bundeswehr-Vorhaben »Lapas« als auch die Großdrohne »Eurohawk« scheiterten. Auch die Kampfdrohne ist weiterhin Zukunftsmusik. Sie soll jetzt nach 2020 eingeführt werden. Für das Entwicklungsvorhaben Panzerabwehrrakete PARS empfahlen die Berater der KPMG Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im vergangenen Jahr erfolglos den Abbruch statt einer Beschaffung. Es blieb weiter bei der alten Planung, um zu verhindern, dass der Tiger noch auf Jahre zahnlos bleibt, also auf Eck- und Schneidezähne, die Hauptbewaffnung verzichten muss. Auch die Entwicklung eines neuen Kampfpanzers, des Leopard 3, wurde durch die Ukrainekrise und als potentielle Morgengabe für das geplante Zusammengehen der Panzerhersteller KMW und Nexter vor kurzem wieder auf die Tagesordnung gespült.
Die ollen Kamellen erzählen uns also weit mehr über das Phänomen Beschaffungsplanung als den Zuständigen in Bundeswehr, Verteidigungsministerium, Planungs- und Beschaffungsamt lieb sein kann. Sie kennzeichnen deren Planung als von mangelndem Realismus und nur scheinbarer Rationalität geprägt. Sie war oft und in weiten Bereichen Traumtänzerei, vielfach gekennzeichnet von einer »Wünsch-Dir-was-Mentalität«, der weder ein sich stetig wandelndes sicherheitspolitisches Umfeld etwas anhaben konnte, noch die Haushaltsrealitäten.
Diese »Wünsch-Dir was-Mentalität« prägte nicht nur die Forderungen des Militärs, sondern auch die politische Einflussnahme, die immer wieder auf diesen Planungsbereich einwirkt. Die Hubschrauber Tiger und NH90 sind beispielsweise Konsequenzen aus Helmut Kohls Wunsch nach einer verstärkten deutsch-französischen Rüstungskooperation in den 1980er Jahren. Industriepolitische Einflussnahme wie im Fall des Transportflugzeugs A400M, insbesondere bei dessen Triebwerk, kommt ergänzend hinzu. Ebenso lokal- und regionalpolitische Einflussnahmen, ausgeübt zum Beispiel durch Parlamentarier, die eine rationale Bundeswehrplanung mit sektoraler oder regionaler Wirtschaftsförderung verwechseln.
Mitunter dauert es nicht nur 20 oder 30 Jahre, bis ein neues, größeres Waffensystem entwickelt ist und zur Einführung kommt. Selbst nach einem solchen Zeitraum kann es noch immer nicht realisierte Zukunftsplanung oder gar reines Wunschdenken sein. Das zeigen die Beispiele PARS, »Breguet Atlantic«-Nachfolge und Kampfdrohne. Die Objekte der Beschaffungsbegierde wechseln offenbar nur selten, wohl aber die zu ihrer Legitimation notwendigen Begründungen. Kontinuität zeigt sich dagegen im Blick auf die industrie- und arbeitsmarktpolitischen Funktionen, die der Beschaffungspolitik immer wieder zugesprochen werden.
Teil der Absicherung der unterschiedlichen Interessenslagen und der Möglichkeit ihrer kontinuierlichen Verfolgung ist eine systematische Überplanung. In der Beschaffungsplanung steht daher regelmäßig weit mehr, als die vorhersehbar verfügbaren Haushaltsmittel hergeben. Die Beschaffungsplanung der Bundeswehr war von den 1980er bis zu den 2000er Jahren zumeist von systematischer Überplanung geprägt. Projekte im Multimilliardenumfang standen zwar auf dem Papier, ihre finanzielle und damit praktische Umsetzung dagegen in den Sternen. Verzögerungen und Verteuerungen bei laufenden Vorhaben und das berühmte »Schieben, Strecken, Streichen« führten dazu, dass die Bugwelle jener Projekte, die zwar geplant wurden, aber nicht finanzierbar waren, immer weiter anschwoll.
Selbst ein Einschnitt wie das Ende des Kalten Krieges, die Vereinigung der beiden deutschen Staaten und die daraus folgende Veränderung der sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen und finanziellen Prioritäten führten nicht dazu, dass es zu einem grundsätzlichen Neuansatz in der Beschaffungsplanung kam. Analog zur schritt- und scheibchenweisen Verkleinerung der Streitkräfte wurde auch in der Rüstungsplanung primär geschoben und gestreckt, aber nur notfalls gestrichen. Es sollte rund zehn weitere Jahre dauern, bis die zahlreicher und größer werdenden Auslandseinsätze der Bundeswehr die Notwendigkeit erzwangen, systematischer für diese Einsätze geplantes Material in jene finanziellen Freiräume zu quetschen, die zwischen den vertraglich gebundenen Alt- und Großprojekten mit langen Laufzeiten noch blieben.
Erst unter Verteidigungsminister Peter Struck und Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan kam es erstmals zu einem Versuch, diesem jedwedem Realismus spottenden Spuk ein Ende zu setzen. Den Planern wurde aufgegeben, die realitätsfernen Formen der Überplanung aufzugeben. In der Haushaltsplanung für das jeweils kommende Jahr sollte nur noch kleine Auswahl wünschenswerter Vorhaben aufscheinen, die man umsetzen könnte, wenn fest eingeplante Mittel nicht verauslagt und daher umgewidmet werden mussten: Die sogenannten »Römisch-II-Projekte«.
Doch auch dieser Vorsatz wurde nicht lange durchgehalten. Als nach 2010 immer gravierendere Probleme mit dem Mittelabfluss bei Großprojekten wie dem Eurofighter oder dem A400M entstanden, weil technische oder Projektmanagementprobleme zu spät erkannt oder von der Industrie verspätet gemeldet wurden, konnten auch die Römisch-II-Projekte nicht mehr verhindern, dass verteidigungsinvestive Mittel in Milliardenhöhe an den Bundeshaushalt zurückflossen.
In den Haushaltsjahren 2015 und 2016 deutet sich deshalb erneut eine Trendwende an. Die Römisch-II-Projekte werden wieder zahlreicher, und sie werden umfangreicher. Vermehrt werden wieder Vorhaben eingestellt, die man gerne hätte, für die aber im Haushalt entweder noch kein Platz war oder bei denen noch unklar ist, ob sie rechtzeitig vertragsreif gemacht werden können. Die Römisch-II-Projekte bekommen die Funktion von Platzhaltern für das militärisch oder politisch Wünschbare. Zu diesen Vorhaben gehören jetzt auch wieder Schwergewichte wie die Modernisierung von 84 Leopard-2-Panzern oder die nächste Entwicklungsphase für ein Taktisches Luftverteidigungssystem. Mit anderen Worten: Es geht um mehr als reine Reserve- und Ersatzprojekte. Manche dieser Vorhaben würden Haushaltsbindungen für die Folgejahre auslösen. Das klassische, so lange desaströs wirkende Phänomen der Überplanung droht zurückzukehren.
Schon möglich: Die große Koalition mag den Beschaffungsplanern als ein geeigneter Zeitraum erscheinen, sowohl eigene als auch seitens der Politik geäußerte Wünsche nach deutlich höheren Verteidigungsausgaben umzusetzen. Genug Geld, um die Summe dieser Wünsche realisieren zu können, wird es jedoch keineswegs geben. Und somit droht zugleich der Rückfall in jene Beschaffungsträume, die in der Vergangenheit oft genug zu einem Scheitern in der Wirklichkeit beigetragen haben. Mehr Geld ist deshalb kaum die richtige Lösung.
Otfried Nassauer ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit – BITS.
Bundeswehr im Einsatz: Mali
Der Bundestag hat am 12. Mai 2016 die Verlängerung des Bundeswehr-Einsatzes in Mali beschlossen. Für ein weiteres Jahr sollen bis zu 300 Soldaten im Rahmen der von der EU getragenen Mission EUTM (European Union Training Mission Mali) tätig sein und Soldaten aus Mauretanien, Mali, Niger, Burkina Faso und dem Tschad ausbilden. Beschlossen wurde damit die geographische Ausweitung der Ausbildungsmission, die künftig auch im Norden Malis stattfinden soll, und die weiterführende Kooperation und Vernetzung mit der parallel in Mali laufenden UN-Mission MINUSMA (Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali), an der sich die Bundeswehr ebenfalls beteiligt. Nach der bereits am 28. Januar 2016 beschlossenen Verlängerung und Ausweitung des Bundeswehreinsatzes unter MINUSMA-Mandat können damit nun bis zu 950 Bundeswehr-Soldaten in Mali eingesetzt werden. Nach den Bundeswehr-Missionen im Kosovo (bis zu 1850 Soldaten) und in Afghanistan, wo im Rahmen der NATO-Mission Resolute Support bis zu 980 Soldaten eingesetzt werden dürfen, ist der Bundeswehr-Einsatz in Mali damit nun eines der größten „Projekte“ der Bundeswehr.
Im Rahmen beider Missionen wird Deutschland vor allem auch für den (Selbst-)Schutz der beteiligten Kontingente verantwortlich sein. Es ist den Bundeswehr-Soldaten zu wünschen, dass sie in diesem Zusammenhang nicht zu häufig auf Waffen westlicher Provenienz reagieren müssen, die ihren Weg aus Lybien nach Mali gefunden haben.
Bundeswehreinsätze künftig auch im Inland?
Im Rahmen der Diskussion über ein neues Weißbuch zur Sicherheitspolitik gibt es, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, Tendenzen, die einen Einsatz der Bundeswehr im Inland per Grundgesetzänderung ermöglichen zu wollen. Entsprechende Forderungen sind in den letzten Jahren immer wieder erhoben worden, etwa als Reaktion auf eine mögliche Terrorgefahr in Deutschland. Zuletzt hatte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble gefordert, rechtliche Grundlagen für den Einsatz der Bundeswehr im Inland zu schaffen. – Auslöser für seine Forderungen waren die sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht 2015/2016 in Köln. Wie das Handelsblatt berichtet, wurden aus der Innenministerkonferenz bereits Stimmen laut, die eine entsprechende Neuregelung der Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr begrüßen.
Die nun öffentliche gewordene Diskussion über das neue Weißbuch, dessen Veröffentlichung noch für dieses Jahr geplant ist, zeigt, dass die verschiedenen Wortmeldungen zum Thema Bundeswehr im Innern aus einem größeren Zusammenhang heraus betrachtet werden müssen: Wie es scheint, geht es nicht um eine reale Notsituation, aus der heraus ein Einsatz der Bundeswehr eventuell nötig zu sein scheint, sondern es geht um abstrakte Gedankenspiele, in deren Rahmen nach Möglichkeiten gesucht wird, Kompetenzen zu schaffen, die derzeit noch nicht bestehen. In diesem Zusammenhang geht es dann nicht darum, die reale politische Situation zu analysieren, sondern darum, Plausibilitäten zu schaffen. Die Gründe, die in diesem Zusammenhang genannt werden, sind letzlich beliebig, denn es geht nicht um die Sache, sondern um den Appell ans Bauchgefühl. Wenn Wolfgang Schäuble etwa im Nachgang der Ereignisse der Silvesternacht von Köln erklärt, jeder andere Staat würde, wenn die Polizeikräfte überlastet seien, erwägen, Soldaten einzusetzen, um die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten, so argumentiert er letztlich vor dem Hintergrund der staatlichen Schutzverantwortung: Der Staat habe die Pflicht, alles zu tun, um Leben, Gesundheit und Menschenwürde seiner Bürger zu schützen und das notfalls auch mit militärischen Mitteln oder militärischem Personal. Schäuble kehrt damit die Logik um, aus der heraus der Einsatz der Bundeswehr zur Terrorabwehr gefordert wird. Wenn etwa bei der Diskussion des Luftsicherheitsgesetzes der Abschuss von entführten Passagierflugzeugen erworgen wurde, so beinhaltete dies, dass den entführten Passagieren des Flugzeugs das Recht auf Leben, das aus ihrer Menschenwürde resultiert, abgesprochen werden konnte. Dies zeigt, dass Menschenwürde keinen unveränderlichen Maßstab darstellt, an dem sich alle Politik messen muss. Es scheint vielmehr, als sei sie eine Variable, die bemüht werden kann, wenn immer es opportun erscheint. – Hauptsache, die Bundeswehr kann künftig auch im Inland eingesetzt werden.