Der Syrien-Krieg hat durch die Intervention der Türkei eine neue Eskalationsstufe erreicht. – Und Deutschland liefert seit Mitte August wieder Waffen an die Kurdische Kriegspartei. Diese Konstellation illustriert wie verfahren die Situation im Nahen und Mittleren Osten mittlerweile ist. Sie ist aber auch ein Beleg dafür, dass die deutsche Nahostpolitik und das deutsche Rüstungsexportkontrollregime vor einem Scherbenhaufen steht. Mehr dazu im neuen Newsletter.
Weitere Themen des DAKS-Newsletters: Portugal erwägt neue Kleinwaffen für seine Armee zu beschaffen – bei Heckler & Koch? Das BITS hat eine neue Studie über deutsche Rüstungsexporte erstellt und der Small Arms Survey hat eine Datenbank über Lagerbestände von Kleinen und Leichten Waffen angelegt.
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DAKS-Newsletter August 2016
Die deutsche Nahost-Politik und die Türkei
Die Bundeswehr liefert wieder Waffen in den Nordirak. Ende August wurden nach einer mehrmonatigen Unterbrechung erstmals wieder Waffen in den Nordirak geliefert und der kurdischen Regierung übergeben. Neben vier Dingo-Spähpanzern gehörten zu den rund 70 Tonnen Material auch 1500 Schnellfeuergewehre G36 und 100 Milan-Panzerabwehrraketen. Die Lieferung traf pünktlich ein, um an die 1200 Peschmerga-Kämpfer übergeben zu werden, die von der Bundeswehr im Rahmen eines 10-wöchigen Kurses ausgebildet wurden. – Pünktlich zum Beginn der türkischen Operation „Schutzschild Euphrat“ wurde damit den kurdischen Kräften noch rasch Waffenhilfe in der Größe eines Bataillons zur Verfügung gestellt.
Die türkische Armee bekämpft die erneut in Nordsyrien vorgedrungenen Kräfte der kurdischen YPG. Die YPG, die in den vergangenen Monaten als Partner des Westens im Kampf gegen den IS betrachtet wurde, stellt sich der türkischen Armee derzeit noch entgegen und droht an, künftig nicht nur gegen den IS und Assad, sondern auch gegen die Türkei kämpfen zu wollen.
In diesem Zusammenhang kam es auf Seiten der türkischen Armee zu ersten Verlusten. Am 27. August starb bei einem Raketen-Angriff auf zwei türkische Panzer ein Soldat, ein weiterer wurde verletzt. Ob bei diesem Angriff Milan-Panzerabwehrraketen eingesetzt wurden, ist nicht bekannt.
Die türkische Intervention in Syrien wirft erneut ein Schlaglicht auf die große Kluft, die mittlerweile zwischen NATO-/EU-Staaten und der Türkei besteht. Durch die Intervention beweist die Türkei nicht nur die bleibende Einsatzfähigkeit ihrer Armee – obwohl diese durch die Verhaftungswelle im Nachgang des versuchten Militärputsches vom 15. Juli als geschwächt gilt –, sondern demonstriert auch ihren Willen, ohne Unterstützung durch die westlichen Verbündeten weltpolitisch aktiv zu werden. Und das auch mit militärischen Mitteln und auf die Gefahr hin, dadurch erklärte Verbündete der NATO im Kampf gegen den IS zu schwächen.
Von Seiten der deutschen Politik sind bisher kaum Reaktionen auf diese Entwicklung bekannt geworden. Zwar gibt sich Sigmar Gabriel nachdenklich, ob die unmittelbaren Reaktionen der Bundesregierung nicht zu zurückhaltend ausgefallen seien. In der Sache scheint für ihn aber klar zu sein, dass die Türkei mittelfristig keinen Platz in der EU hat und sich insofern keine Hoffnungen auf eine Anbindung an die westliche Staatengemeinschaft machen muss. Der Verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold, fordert gleichzeitig einen Abzug der über Syrien eingesetzten Aufklärungs-Tornados der Bundeswehr aus der Türkei.
Am Flüchtlingsabkommen zwischen der Türkei und der EU möchte Deutschland gleichwohl dennoch festhalten. – Wie auch an den Waffenlieferungen für die Kurden. Welche Ratio hinter dieser Politik steht, ist nicht ersichtlich und nicht nachvollziehbar. Offensichtlich scheint nur, dass die Waffenlieferungen an die Kurden zur Eskalation in Syrien beigetragen haben und immer noch beitragen.
Kauft Portugals Armee neue Schusswaffen bei Heckler & Koch?
Die portugiesischen Streitkräfte planen, ihre Kleinwaffenbestände zu modernisieren. Dies berichtet Victor Barreira (Istanbul) für das britische Nachrichtenportal Jane´s. Standardgewehr beim Heer ist bis jetzt das G3-Gewehr von H&K, neben vielen anderen Waffen dieser deutschen Firma werden auch das HK416, HK417 und G36 eingesetzt, wie die Wikipedia dokumentiert. Produziert wurden das G3 und ebenso das HK21 im Lande selbst (Fábrica de Braço de Prata), ohne dass allerdings transparent ist, inwieweit die Oberndorfer Firma oder die US-Firma des H&K-Konzerns beteiligt sind. Auch für die Maschinenpistole MP5 hatte Portugal, noch zu Zeiten von Salazars Diktatur, eine Baulizenz erhalten.
Laut Jane´s handelt es sich um Ersetzungspläne für insgesamt mehr als 10.200 Waffen, geplant ist der Neuerwerb von Schnellfeuergewehren, leichten Maschinengewehren, Maschinenpistolen und Pistolen. Das gesamte Geschäft könnte sich auf über 80 Millionen Euro belaufen und die nächsten zehn Jahre abdecken. Nun stellt sich natürlich die Frage, welche der für eine solche Waffenproduktion geeigneten Waffenfirmen von den zuständigen Politikern und Militärs ausgewählt wird und auf welche Weise der Auswahlprozess verläuft. H&K hat mit dem G36 bereits ein Gewehr „im Rennen“, diese Waffe ist Teilen der portugiesischen Streitkräfte schon vertraut. Das damit verwandte HK416 mit dem „alten“, durchschlagskräftigeren Kaliber 7,62 x 51 mm NATO haben Portugals Militärs ebenfalls bereits in Verwendung. Allerdings kommen für die verschiedenen zu ersetzenden Waffentypen auch andere Schusswaffenhersteller in Frage, beispielsweise die belgische Firma FN Herstal (FN SCAR) und die US-amerikanische Firma Colt (M4-Karabiner). Zudem besteht – besonders was H&K betrifft – die Gefahr, dass wie im Falle von Saudi-Arabien und Mexiko zukünftig in Portugal eine Waffenproduktion von H&K-Waffen wie etwa dem G36 aufgebaut wird. Dies würde die Kontrolle des späteren Re-Exports noch einmal erschweren. Und natürlich ist immer zu fragen, wie mit den sogenannten Altwaffen umgegangen wird, d .h. ob sie verschrottet werden, ob sie im Lagerbestand des portugiesischen Militärs bleiben oder ob sie nicht eher ins Ausland verkauft oder an befreundete Nationen und Alliierte verschenkt werden.
Antworten auf diese Fragen könnten die Oppositionsparteien im Bundestag einfordern, aber auch jede Bürgerin und jeder Bürger kann sich mit entsprechenden Fragen an ihre oder seine Abgeordneten wenden. Sicher scheint soweit das: Für die H&K-Führung muss der portugiesische Modernisierungsplan verlockend sein, auch weil das nach dem medialen Aufsehen um das G36 angeschlagene Image mit einem aktuellen Verkauf eben dieses Gewehrs, des G36, oder auch der möglichen Nachfolgewaffe verbessert werden könnte. Immerhin handelt es sich bei Portugal um eine werbeträchtige NATO-Armee, nicht um einen der vielen scheindemokratischen oder didaktorischen Kunden von H&K… Mit den jahrelangen Geschäftsbeziehungen hat Heckler & Koch durchaus Chancen, diesen Waffendeal mit Portugal für sich zu gewinnen. Das würde H&K-Waffen in portugiesischen Händen in die kommenden Konflikte und die „Terrorbekämpfung“ tragen – aber zum Beispiel das G36-Gewehr würde damit eben auch in den Händen all derer landen, denen Portugal Waffen verkaufen würde. Wer immer das sein mag.
BITS: neue Artikel zu Rüstungsexporten aus Deutschland
Vom Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS) gibt es drei neue Artikel zum Thema Rüstungsexporte.
In einem Interview, das Dirk Müller für den Deutschlandfunk mit Otfried Nassauer geführt hat, kritisiert der Direktor des BITS, wie das Bundeswirtschaftsministerium unter Sigmar Gabriels Leitung mit Rüstungsexporten umgegangen sei. Nassauer bemängelt, dass der Bundeswirtschaftsminister in den beiden Jahren, in denen er für die Rüstungsexporte verantwortlich gewesen sei, eine Milliarde mehr als die schwarz-gelbe Vorgängerregierung in ihren letzten Jahren genehmigt habe. Das Interview mit der Überschrift „Gabriel hätte versuchen können, Waffenlieferungen zu stoppen“ behandelt unter anderem Panzerlieferungen an Katar sowie die Entscheidungsmechanismen zwischen den beteiligten Ministerien.
In dem Artikel „Dual-Use-Güter-Export: Die EU zieht die Zügel an“ informiert Nassauer über eine Initiative der Europäischen Kommission, mit der die Ausfuhr zivil und militärisch verwendbarer Güter stringenter und europaweit einheitlicher geregelt werden soll. Es geht bei dem Entwurf, dem noch vom Europaparlament und Europarat zugestimmt werden muss, vor allem um Überwachungstechnologien für elektronische Kommunikation. Zudem wird der Personenkreis definiert, der im Exportfall gesetzlich verantwortlich ist, etwa Exporteure, Makler und technische Dienstleister. Nassauer sieht „das Bemühen, erkannte Schlupflöcher im Exportrecht zu schließen und zudem durch einen jährlichen Bericht der Kommission an das Europaparlament Transparenz zu schaffen“.
Ein weiter Text befasst sich unter der Überschrift „Singapur: Rüstungsexport verpflichtet“ mit Truppenübungen, die Singapurs Militär mit Leopard-2-Panzern im niedersächsischen Bergen (bei Munster) seit acht Jahren durchführt. Bei der „Panzer Strike“ betitelten Übung können die „Gäste“ aus dem Stadtstaat auf längere Distanzen schießen als in ihrem Heimatland. Nassauer weist darauf hin, dass diese Ausbildungskooperation aufgrund von vorangegangenen Exporten von Kampfpanzern und dazugehörigem Großgerät (etwa von Brückenlegefahrzeugen) möglich wurde.
Small Arms Survey: Transparenz-Studie und Lagerbestände-Website
Der in Genf ansässige Small Arms Survey hat eine Studie zum aktuellen Stand von Kleinwaffenexporten veröffentlicht. Die ca. 44 Seiten starke Studie „Trade Update 2016: Transfers and Transparency“ (plus ca. 40 Seiten Anhang und Eigenwerbung) von der Kriminologin Dr. Irene Pavesi (Milan) befasst sich mit den wichtigsten Exporteuren im Untersuchungsjahr 2013 und bespricht neueste Entwicklungen im Bereich Kleinwaffenexport. Betrachtet werden neben militärischen Schusswaffen u. a. auch Sportwaffen, Munition und Teile für Waffen. Außerdem enthält diese Publikation das „Small Arms Trade Transparency Barometer 2016“, mit dem bewertet wird, wie viel Transparenz die jeweiligen Staaten bei Kleinwaffenausfuhren zulassen. Die Studie kann beim SAS heruntergeladen werden, bei den Vereinten Nationen gibt es die Pressekonferenz zur Publikation zu sehen.
Zu den Haupterkenntnissen der Studie:
Lieferungen im Wert von 5,8 Milliarden US-Dollar haben die „top and major actors“, also die wichtigsten Exportstaaten, im Jahr 2013 getätigt – wobei gleich dazu gesagt werden muss, dass man sich die Datenerhebung für diese Studie genau anschauen muss. Es ist beinah schon eine Binsenweisheit und muss doch immer wieder angemerkt werden, dass Staaten die von „ihren“ Firmen oder gar von ihnen selbst exportierten Waffen nicht dokumentieren (können bzw. wollen), schon gar nicht für Außenstehende. Dies wird in der Studie auch in einer Vorbemerkung deutlich gemacht – als Grundlage der Untersuchung wird die für die Staaten freiwillige Übermittlung an die Datensammlung des UN Comtrade angegeben. Dann kommt jedoch die Frage auf, welchen Erkenntniswert die vorgelegten Zahlen haben oder ob sie die LeserInnen nicht eher in die Irre führen.
Was die Rangfolge der bedeutendsten Kleinwaffenexportstaaten angeht, ist nicht überraschend, dass Deutschland auf Platz 3 steht, nach den USA und Italien, vor Brasilien, Österreich, Südkorea, der Türkei, Russland, Tschechien, Israel, Belgien, Kroatien, China, der Schweiz, Japan und Spanien. Besonders im Fall von China (und evtl. auch Russland) sind Zweifel angebracht, wie die Daten erhoben wurden bzw. wie gültig sie sind. Insgesamt aber könnte sich diese Rangfolge bis heute so gehalten haben, Frankreich könnte man „vermissen“, Japan ist angesichts seiner angeblich pazifistischen Verfassung hier eigentlich nicht zu erwarten (aber der Politikwechsel von Premierminister Abe wirkt).
Beim Ranking der wichtigsten Importeure steht Deutschland ebenfalls auf Platz 3, nach den USA und Kanada, vor den Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien, Frankreich und Norwegen. Anmerken sollte man, dass es durchaus einen Unterschied macht, ob ein nicht von inneren Unruhen oder kriegsähnlichen Zuständen betroffenes Land wie Norwegen Kriegsgüter importiert oder ob ein Land wie etwa der Südsudan, Mexiko oder die Philippinen dies tun, denn in einer entsprechenden Krisensituation können sich Lieferungen bereits geringer Mengen Waffen katastrophal auswirken, während es in anderen Ländern, beispielsweise Kanada, keinen Unterschied macht, wenn große Mengen eingeführt werden. Die Kategorie „Top Importer“ muss in der Analyse daher mit Vorsicht benutzt werden.
Deutschland steht (was die Top Exporter angeht) auf dem „Transparency Barometer“ an erster Stelle, vor Großbritannien und den Niederlanden. Das mag der Merkel-Regierung eine Freude sein, aber es ist eben kein Beweis einer tatsächlich transparenten Politik. Die Mängel sind eklatant: Der geheim tagende Bundessicherheitsrat ist weiterhin ein undemokratisches und damit auch intransparentes Gremium, mit dem das Bundeskabinett Exportpolitik betreibt. Die weiterhin zu spät und gelinde gesagt „lückenhaft“ erscheinenden Rüstungsexportberichte der Bundesregierung, die noch dazu mit dem Hinweis auf den Vorrang des Geschäftsgeheimnisses alle genaueren Anfragen abweisen und ohnehin nur die Genehmigungen und nicht die tatsächlich durchgeführten Exporte dokumentieren, können nicht das Soll einer die Öffentlichkeit sinnvoll und für die politische Diskussion effektiv beteiligenden Informationspolitik sein. Zudem hat die Bundesregierung mit den aktuell beim größten deutschen und europäischen Schusswaffenhersteller Heckler & Koch im Raum stehenden juristischen Ermittlungen wegen illegaler Lieferungen nach Mexiko (und von SIG Sauer nach Kolumbien), bei denen die Staatsanwaltschaft sich nach einfach zu vielen Jahren anschickt, endlich Anklage zu erheben, wirklich kein Glanzstück an Transparenz vorgelegt. Wie Dr. Pavesi zu dieser Einschätzung kommt, fragt man sich zu recht.
Nicht erstaunlich ist dagegen, dass Saudi-Arabien, also eines der Hauptempfängerländer deutscher Kleinwaffenlieferungen, in der Rangfolge der am wenigsten transparenten Importstaaten steht, nach dem Iran und Nordkorea, vor den Vereinigten Arabischen Emiraten. Auch hier wäre zu fragen, warum es im Jahr 2011 erst journalistischer Aufdeckungsarbeit bedurfte (siehe u. a. Thomas Wiegolds Arbeit zu Kampfpanzerexporten nach Saudi-Arabien), um die Debatte über einen solch sensiblen Rüstungsdeal wirklich offen und demokratisch zu führen. Sieht Transparenz anders aus?
Einen neuen Service für Staaten und ähnliche Akteure, die Lagerbestände an Waffen zu verwalten haben, bietet der Small Arms Survey auf einer eigens gestalteten Internetseite mit dem Titel „New Global Partnership on Small Arms“ an. In Verbindung mit dem „UN Programme of Action on small arms and light weapons“ sollen durch Informations- und Erfahrungsaustausch die „gemeinsamen Ziele“, u. a. die Verhinderung illegalen Waffenhandels, leichter erreicht werden. (Es wollen allerdings nicht alle Staaten illegalen Waffenhandel unterbinden, auch nicht alle europäischen.) Gefördert wird dieses Projekt mit Mitteln des deutschen Außenministeriums. Fallstudien zu bestimmten Ländern (bis jetzt zu Honduras, Niger, Somalia und der Ukraine) sollen durchgeführt werden. Man darf gespannt sein, welche Regierungen hier welche Informationen zu ihren Kleinwaffenproblemen transparent austauschen wollen. Und welche nicht.
„Angstkunden“ in Deutschland: Waffen in BürgerInnen-Hand?
Von „Angstkunden“ berichtet der Besitzer eines Waffengeschäfts in einem Bericht, der bereits im vergangenen Dezember von der ZEIT veröffentlicht wurde (Autor: Anant Agarwala). In dem Artikel werden KundInnen beschrieben, die aus Angst vor angeblicher Gewalt durch Menschen, die hier ganz pauschal als Flüchtlinge und Asylanten beschrieben werden, in einen Waffenladen gehen und nach Schusswaffen fragen. Der Text ist zum Teil tatsächlich unterhaltsam, wenn es darum geht, dass den „besorgten“ BürgerInnen gar nicht klar ist, dass sie sich keine vollautomatischen Waffen kaufen dürfen. Doch im Grunde macht Agarwala noch einmal deutlich, wie nah die Menschen hierzulande an der Selbstjustiz wandeln, wenn auch oft nur gedanklich. Dass es nicht dieselben Menschen sind, die regelmäßig und in terroristischer Weise Häuser für Flüchtlinge und ImmigrantInnen anzünden oder Menschen attackieren, ist zwar wahrscheinlich, aber ebenso sehr gut möglich ist, dass eben diese KundInnen im Stillen applaudieren, wenn solche rassistischen Verbrechen begangen werden.
Nun ist es nicht gerade sinnvoll, mit einem Waffenverkäufer mitzufühlen, auch wenn der hier dargestellte Christoph Küttner sich als Jagd-Experte sieht und nicht als Waffen-Narr, dennoch ist der Bericht informativ, weil man einen Einblick in die momentane Situation in Deutschland erhält. Essen liegt nicht im so oft als rechts beschimpften„Osten“, doch auch hier scheint es genug Menschen zu geben, die sich am Gewaltmonopol des Staates vorbei „schützen“ wollen – vor was, das können sie wohl selbst nicht genau sagen, aber wie in dem Artikel ein Kunde wohl unfreiwillig erklärt: „Die Gerüchteküche in der Nachbarschaft brodelt.“ Klingt nach Verfolgungswahn, wenn nicht nach Vorsatz oder sogar Korpsgeist.
Mit dem Bundesvorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt kann man nicht jederzeit einer Meinung sein, doch seiner Reaktion auf die wiederholt von CDU-Seite gestellte Forderung nach Militäreinsätzen im Inneren (als ob außerhalb keine Menschen mit Menschenrechten leben), ist durchaus zuzustimmen: „Das Signal ist verheerend: Schon beim ersten gelungenen Anschlag setzen wir das Wertvollste außer Kraft, was unsere Gesellschaftsordnung zu bieten hat, unser Grundgesetz. Die Frauen und Männer, die unsere Verfassung gemacht haben, wussten genau, warum sie enge Grenzen für den Streitkräfteeinsatz im Landesinnern setzen. Diese Grenzen durch ein ‚Weißbuch der Bundeswehr‘ außer Kraft setzen zu wollen, ist nichts anderes als vorsätzlicher Bruch der Verfassung.“ So weit richtig beobachtet, nun müsste noch der Hinweis folgen, dass Waffenexporte und Kriegseinsätze ebenso nicht im Sinne des Grundgesetzes sein können, aber (im Falle der Rüstungsexporte) von allen Regierungen betrieben wurden (im Falle der Kriegseinsätze ab der Regierung Kohl scheibchenweise vorbereitet, von Rot-Grün dann gestartet und von Angela Merkel und ihren SPD-KollegInnen skrupellos fortgeführt). Und: Ein Verbot des Angriffskriegs gibt es im Grundgesetz schon, ein Verbot von Rüstungsexporten muss folgen!
Und auch mit den Aussagen dieses Mannes, Ingo Meinhard, zurzeit Geschäftsführer des Verbands Deutscher Büchsenmacher und Waffenfachhändler e.V. (VDB) mit Sitz in Marburg (bereits 1949 gegründet!), muss man sonst vorsichtig sein: Er wird in dem ZEIT-Artikel mit der sachlich klingenden, aber in Wirklichkeit alarmierenden Aussage zitiert, dass die Absätze bei den [von Meinhard fachsprachlich korrekt, aber dennoch verharmlosend als legal beschriebenen] Abwehrmitteln mehr als doppelt so hoch wie im letzten Winter liegen. Für die Produzenten von Schreckschusswaffen (die, wie gesagt, ihren Namen aufgrund der doch bestehenden Verletzungsgefahr zu Unrecht tragen und zu Unrechtstaten eingesetzt werden können) und für die Hersteller von Pfeffersprays und CS-Gas mag das ein Grund zur Freude sein, doch für wen sonst?
Bleibt nur anzumerken, dass das derzeit so viel diskutierte Darknet denjenigen, die sich dort auskennen, Möglichkeiten bietet, sich Schusswaffen zu beschaffen. Doch die meisten Taten werden eben mit Waffen begangen, die man sich ziemlich einfach legal beschaffen kann, etwa von „Sportschützen“. Vielleicht nicht bei Christoph Küttner, aber eventuell bei einem seiner Kollegen oder KollegInnen. Und eine einzige Kleinwaffe reicht für ein Massaker (das Wort hat durch die mediale Über-Information fast schon seinen Schrecken verloren, aber es geht um Massentötungen), wenn man denn genug Munition hat, das haben die Schulmassaker und andere Amokläufe und Terroranschläge gezeigt. Fazit: Keine Waffen herstellen! Keine bereits vorhandenen Waffen exportieren! Frieden entsteht nicht durch noch mehr Gewaltmittel und Gewaltbereite, im Gegenteil.