In wenigen Monaten wird Europa dem Ende des 1.Weltkriegs gedenken. Vor 100 Jahren ging ein Krieg zu Ende – ohne, dass deshalb in Europa Frieden einkehrte. Wir möchten diesen Jahrestag zum Anlass nehmen, um Rückschau zu halten. Entstanden ist ein zugegebenermaßen ungewöhnlicher Newsletter: im Blick auf Ernst Jünger und sein Schicksal versuchen wir die Veränderungen nach zu vollziehen, die der Kriegseinsatz bei den Menschen an der Front hervorgerufen hat. Und wir blicken auf die waffentechnischen Entwicklungen, die diese Veränderungen geprägt haben.
Auf die Berichterstattung im nächsten Monat verschoben haben wir damit die Hauptversammlung der Heckler & Koch AG, die voraussichtlich am 21. September 2018 stattfinden wird. – Sollte sie nicht doch noch kurzfristig verschoben werden.
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DAKS-Newsletter September 2018
Ernst Jünger und die Erinnerung an den Krieg
Von Fabian Sieber
Vor 100 Jahren, im August 1918, war Europa ein Schlachtfeld. Seit 4 Jahren kämpften die Menschen gegeneinander, die Spanische Grippe breitete sich aus und die Versorgungslage in Deutschland wurde immer schlechter. Bereits am 25. August 1918 endet der Erste Weltkrieg. Zumindest für Ernst Jünger, der am Abend dieses Tages an der Westfront bei Bapaume in Frankreich schwer verletzt wird. Anfang September 1918 wird er in ein Krankenhaus nach Hannover verlegt, wo er noch am 22. September 1918 den Orden Pour le Mérite erhält und schließlich das Kriegsende erlebt. Das Schicksal des zu diesem Zeitpunkt gerade 23-Jährigen wäre weiter wohl keiner Erwähnung wert, wenn der junge Offizier während des Krieges nicht ein Tagebuch geführt hätte (Kiesel: Ernst Jünger, Kriegstagebuch 1914-1918, Klett-Cotta 2010), dessen Veröffentlichung er bereits zum Zeitpunkt der Niederschrift plante und die bereits im Jahr 1920 erfolgte. In Stahlgewittern ist das erste Buch, das Ernst Jünger veröffentlichte, und es ist ein Buch, das er sein ganzes Leben hindurch umkreisen sollte. Im Abstand von 100 Jahren ist Jüngers Kriegserfahrung und ihre literarische Verarbeitung geeignet, die Urkatastrophe Europas im 20. Jahrhundert nachzuvollziehen.
Warum bietet sich Ernst Jünger und sein Werk hierfür besonders an? Zum einen wegen des großen Einflusses, den Jünger insbesondere in den 1920er und 1930er Jahren auf den Kriegsdiskurs in Deutschland und Europa ausüben sollte, zum anderen, weil Jünger im Verlauf seines Lebens selbst immer wieder Rückschau hielt und seine Erinnerungen an den Krieg aktualisierte.
Zwischen 1920, dem Jahr der Erstveröffentlichung von In Stahlgewittern und 1978 erarbeitete Jünger nicht weniger als 7 Fassungen des Buches. Dabei bearbeitete Jünger den Text und passte ihn seinem veränderten Geschmacks- und Zeitempfinden an. Auf diese Weise ist das Buch nicht allein eine Schrift über den Ersten Weltkrieg, sondern mehr noch ein persönliches Dokument, das Zeugnis über das sich wandelnde Selbstbild eines Autors ablegt, für den der Krieg ein prägendes Erlebnis dargestellt hat und der durch In Stahlgewittern hindurch sein Selbstbild als Kriegerpersönlichkeit entwirft und reflektiert.
Eine Art (Literatur-)Theorie, mit der Jünger dieses Vorgehen zu erklären versucht, findet sich in der 1938 erschienenen, gleichfalls entsprechend bearbeiteten Neuauflage von Das abenteuerliche Herz. Dort schreibt er: „Die eigenen Bücher nimmt man deshalb so ungern zur Hand, weil man sich ihnen gegenüber als Falschmünzer erscheint. […] Auch hat man das Gefühl, zu Zuständen zurückzukehren, die man abstreifte wie eine vergilbte Schlangenhaut. […] Dennoch ist für den Autor gerade die Wiederaufnahme des bereits Abgeschlossenen von besonderem Wert – als seltene Gelegenheit, die Sprache im Stück, gewissermaßen mit dem Auge des Bildhauers zu erfassen und an ihr als an einem Körper zu arbeiten. Auf diese Weise hoffe ich noch ein wenig schärfer zu treffen, was den Leser vielleicht fesselte. […] Auch sind einige verbotene Stücke nachzutragen, die ich damals zurücklegte – denn was die Gewürze betrifft, so gewinnt man erst im Laufe der Zeit die sichere Hand.“ (Jünger: Das abenteuerliche Herz, zweite Fassung, 1938. S. 7-9.)
Jünger gesteht damit ein, dass er bei seinen Überarbeitungen von einer doppelten Intention bewegt wird. Zum einen geht es ihm darum, „zu Zuständen zurückzukehren“, die ihn einst ausgemacht haben, und diese neu zu betrachten und wie ein „Bildhauer“ zu bearbeiten. In gleicher Weise hofft er aber auch durch diese Aktualisierung das Leser-Interesse erneut zu treffen und zu fesseln. Beides gelingt ihm durch verändernde Erweiterungen des ursprünglichen Textes, also durch den Nachtrag zurückgelegter, „verbotener“ Stücke, die in die erste Fassung des Buches keinen Eingang gefunden haben, weil ihre Veröffentlichung als inopportun erschien. Er erweitert also den Textbestand, erzählt den ursprünglichen Plot weiter und verändert ihn.
Eine ähnliche doppelte Intention treibt Jünger auch schon bei In Stahlgewittern an. Auf den letzten Seiten seines Tagebuchs, auf denen er bereits die Veröffentlichung seiner Kriegserlebnisse ins Auge fasst, reflektiert er über den Zweck eines solchen Buches und umschreibt ihn als: „Die Taten der Infantristen zu schildern, leider muß ich dabei von mir selbst ausgehen.“ (Kiesel, Kriegstagebuch, 2010, S. 432.) Neben der Darstellung des Gewesenen, das nicht vergessen werden soll, dient ein solcher Schreibprozess also auch der Selbstvergewisserung und der Klärung der eigenen Rolle innerhalb der Ereignisse. Indem er dies tut und von sich ausgeht, entwirft Jünger im Prozess des Schreibens ein literarisch verfremdetes Selbstbild.
Selbstverständlich ist der Augenzeuge – insbesondere mit wachsendem zeitlichen Abstand – kein unbestechlicher Chronist, sondern spricht als Beteiligter auch in eigener Sache und mit eigenem Interesse. Im Hinblick auf seine Kriegserlebnisse erkennt er dabei schon im Jahr 1919: „Es ist merkwürdig, wie rasch sich die Eindrücke verwischen, wie leicht sie schon nach einigen Tagen eine andere Färbung annehmen. Angst, Schwäche und Kleinmut hat man schon am ersten Ruheabend vergessen, wenn man den Kameraden beim Becher seine Erlebnisse berichtet. Unmerklich stempelt man sich zum Helden.“ (Kiesel, Kriegstagebuch, 2010, S. 432.) Trotz dieser mit dem Rückerinnern verbundenen Gefahren sucht Jünger durch die Jahrzehnte immer wieder den Austausch mit der Vergangenheit und bemüht sich, im Prozess der Überarbeitung von In Stahlgewittern zu den vergessenen Zuständen zurückzukehren.
Jünger leistet diese Arbeit jedoch nicht einfach aus einem Interesse an einer qualifizierten Biographiearbeit heraus, sondern auch, weil er sein persönliches (Kriegs-)Erleben als exemplarisch genug verstand, um durch ein Erzählen derselben einen Beitrag zur kollektiven Identitätsstiftung zu leisten. Unter anderem als ein solcher Beitrag wurde das Werk von Anfang an konzipiert, wie eine Notiz Jüngers in den Kriegstagebüchern erläutert. Darin entwirft er ein potentielles Vorwort, mit dem er sein Buch den Lesern empfiehlt. Er schreibt:
„Wir haben viel, vielleicht Alles, auch die Ehre verloren. Eins bleibt uns: die ehrenvolle Erinnerung an die herrlichste Armee, die je existiert und an den gewaltigsten Kampf, der je gefochten wurde. Sie hochzuhalten […] inmitten dieses Zeitalters des Renegatentums und der moralischen Verkümmerung ist stolzeste Pflicht eines jeden, der nicht nur mit Gewehr und Handgranate sondern auch mit lebendigem Herzen für Deutschlands Sache focht.“ (Kiesel, Kriegstagebuch, 2010, S. 434.) Jünger, der zu diesem Zeitpunkt im Dienst der neugegründeten Reichswehr stand, positioniert sich damit deutlich im gesellschaftlichen Diskurs der deutschen Nachkriegszeit.
Ein Moment, an dem seine Arbeitsweise nachvollzogen werden kann, ist die Beschreibung der Verwundung, die er im August 1918 erhielt. Ähnlich wie die sechs vorangegangenen Verwundungen beschreibt Jünger auch diese Situation in seinem Kriegstagebuch. Dies beginnt mit einer Rahmenerzählung, in der er das Geschehen schildert, das seiner Verwundung unmittelbar vorausging:
Kriegstagebuch (Kiesel, S. 426) |
Inzwischen war es 700 geworden. Durch die Kulisse von Häuserresten und Baumstämmen hindurch sah ich bei schwachem Gewehrfeuer eine Schützenlinie über freies Feld losgehen. Es war die 5. Komp. |
Ich stellte im Hohlweg die Komp. rasch in 2 Gliedern auf und gab Befehl, in 2 Wellen loszugehen ‚Ich selbst befinde mich zwischen erster und zweiter Welle‘. |
Dann ging die Geschichte los. Ganz programmäßig, nur daß ‚ich selbst‘ wie die schöne Befehlsformel lautet, mich plötzlich, zusammen mit dem Ltn. Schrader, vor der ersten Welle befand. |
Er beschreibt die Situation, in der er sich wiederfindet, erläutert, die Entscheidungen, die er trifft, um darauf zu reagieren, und wie diese Maßnahmen umgesetzt werden. Anfangshaft finden sich schon in dieser Darstellung Formulierungen, die den Willen zu einer literarischen Form erkennen lassen. So etwa, wenn er von einer „Kulisse von Häuserresten und Baumstämmen“ spricht, wenn er seinen Befehl „Ich selbst befinde mich zwischen erster und zweiter Welle“ als wörtliche Rede einfügt und diesen Einschub im weiteren Verlauf als eine „Befehlsformel“ reflektiert.
Bemerkenswert ist nun, wie sehr er, durch die Jahrzehnte hindurch, an Formulierungen festhält, die er in seinem Kriegstagebuch gefunden hat. In der Ur-Fassung von In Stahlgewittern und durch alle Überarbeitungen hindurch bis zur Fassung letzter Hand aus dem Jahr 1978 bleibt er dieser Darstellung und den damals gefundenen Formulierungen über weite Strecken treu.
Ur-Fassung (1920) (Kiesel, S. 622-624) | Fassung letzter Hand (1978) (Kiesel, S. 623-625) |
Es war 7 Uhr geworden. Durch die Kulisse von Häuserresten und Baumstümpfen sah ich bei schwachem Gewehrfeuer eine Schützenlinie auf das freie Feld heraustreten. Es mußte die fünfte Kompanie sein. | Es war sieben Uhr geworden. Durch die Kulisse von Häuserresten und Baumstümpfen sah ich bei schwachem Gewehrfeuer eine Schützenlinie auf das freie Feld hinaustreten. Es mußte die Fünfte sein. |
Ich stellte meine Leute im Hohlweg auf und gab Befehl, in zwei Wellen anzutreten. ‚Abstand 100 Meter. Ich selbst befinde mich zwischen erster und zweiter Welle!‘ | Ich stellte die Mannschaft im Schutz des Hohlwegs zum Angriff bereit und gab Befehl, in zwei Wellen anzutreten. ‚Abstand hundert Meter. Ich selbst befinde mich zwischen erster und zweiter Welle!‘ |
Es ging zum letzten Sturm. Wie oft waren wir in den verflossenen Jahren in ähnlicher Stimmung in die westliche Sonne geschritten! Les Eparges, Guillemont, St. Pierre Vaast, Langemarck, Passchendaele, Mœuvres, Vraucourt, Mory! Wieder winkte ein blutiges Fest. Wir verließen den Hohlweg ganz programmäßig, nur befand ‚ich selbst‘, wie die schöne Befehlsformel lautet, mich plötzlich neben dem Leutnant Schrader weit vor der ersten Welle. | Es ging zum letzten Sturm. Wie oft waren wir in den verflossenen Jahren in ähnlicher Stimmung in die westliche Sonne geschritten! Les Eparges, Guillemont, St. Pierre Vaast, Langemarck, Passchendaele, Mœuvres, Vraucourt, Mory! Wieder winkte ein blutiges Fest. Wir verließen den Hohlweg wie auf dem Übungsplatz, abgesehen davon, daß ‚ich selbst‘, wie die schöne Befehlsformel lautet, mich plötzlich neben dem Leutnant Schrader vor der ersten Welle auf freiem Felde befand. |
Die Situationsbeschreibung gleicht sich in allen drei Fassungen bis in den Wortlaut hinein, die wörtliche Rede, durch die er seine Entscheidungen kommuniziert, bleibt erhalten, wird aber reformuliert, damit die darin gemachten Anweisungen für den Leser leichter verständlich werden. Neu an der Darstellung ist die überpersönliche Bedeutung, die Jünger dem Geschehen in den veröffentlichten Texten beimisst. Was mit diesen Vorbereitungen beginnt, ist nicht einfach „die ganze Geschichte“, wie es in den Kriegstagebüchern heißt, sondern der „letzte Sturm“. Dieser wird in den großen Zusammenhang des gesamten Kriegsverlaufes gestellt, wie ihn Jünger erlebt und im Rahmen von In Stahlgewittern geschildert hat, denn Jünger nennt die Orte, an denen er eingesetzt wurde und gekämpft hat. Die Ortsnennung wird von Jünger durch eine deutliche (Farb-)Metaphorik (westliche Sonne: roter (Sonnen-)Untergang; blutiges Fest: rot als dominierende Farbe) ergänzt und dadurch literarisch überhöht. Jünger ordnet sein eigenes Wirken damit in einen größeren Zusammenhang ein und seine eigene Verwundung wird zu einem Sinnbild für den kollektiven Untergang, denn kurz nach seinem Ausscheiden aus dem Krieg war dann auch der Krieg selbst vorüber. Diese Akzentverschiebung, bei der nicht mehr sein individuelles Schicksal, sondern die allgemeine Deutung im Vordergrund steht, ist nicht einfach durch den zeitlichen Abstand zu erklären, aus dem heraus Jünger In Stahlgewittern schreibt, denn auch der entsprechende Eintrag in den Kriegstagebüchern ist ja aus einem zeitlichen Abstand zum Geschehen entstanden, aus dem heraus bereits deutlich wurde, dass die Verwundung lebensbedrohend ernst war und mit einem Ausscheiden Jüngers aus dem aktiven Dienst zu rechnen war. So überrascht es nicht, dass sich solche Ansätze zu einer Überhöhung der eigenen Bedeutung schon in seinen Tagebüchern finden, etwa wenn er nach der erfolgten Verwundung kampfunfähig im Graben liegt und im Nachhinein die Vermutung äußert: „Ich glaube, wenn ich gesund gewesen wäre, hätte die ganze Lage überhaupt anders ausgesehen.“ (Kiesel: Kriegstagebuch, 2010. S. 428.) Neu ist an der Darstellung deshalb vor allem die so ausgedrückte Allmachtsphantasie. Die Relevanz Jüngers für das Gesamtgeschehen beschränkt sich hier, anders als noch in den Tagebüchern, nicht mehr auf den konkreten Kampfschauplatz, sondern umfasst das gesamte Kriegsgeschehen an der Westfront, für das Jünger in gewisser Weise Verantwortung zu tragen empfindet.
Dem entspricht es, wenn Jünger den Moment seiner Verwundung, der in den Kriegstagebüchern knapp und fast distanziert beschrieben wird, durch die verschiedenen Bearbeitungen hindurch immer weiter ausschmückt und literarisch überhöht.
Kriegstagebuch (Kiesel, S. 426-427) | Ur-Fassung (1920) (Kiesel, S. 622-624) | Fassung letzter Hand (1978) (Kiesel, S. 625-627 ) |
In einem Grabenstück sah ich Schrader mit einigen Leuten und ging nach links, um zu verlängern. Ich stand gerade vor einem 50 m langem Graben, als ich einen gewaltigen Schlag vor die Brust bekam und mit der Empfindung, durch und durch geschossen zu sein, hinstürzte. Ich raffte mich gleich wieder auf und sprang in das Grabenstück, in dem ich seiner Schmalheit wegen nur auf der Seite liegen konnte. | Das Gelände senkte sich. Verschwommene Gestalten bewegten sich vor einem Hintergrund aus braunem Lehm. Ein Maschinengewehr hackte uns seine Geschoßgarben entgegen. Mich packte ein fatales Gefühl der Aussichtslosigkeit. Trotzdem begannen wir zu laufen. Mitten im Sprunge über ein Grabenstück riß mich ein durchdringender Stoß vor die Brust aus der Luft. Mit lautem Schrei wirbelte ich um die Vertikalachse und klirrte betäubt zu Boden. Ich erwachte im Gefühl eines großen Unglücks, eingeklemmt zwischen enge Lehmwände, […]. | Das Gelände senkte sich. Verschwommene Gestalten bewegten sich vor einem Hintergrund aus rotbraunem Lehm. Ein Maschinengewehr hackte uns seine Geschoßgarben entgegen. Das Gefühl der Aussichtslosigkeit verstärkte sich. Trotzdem begannen wir zu laufen, während das Feuer sich auf uns einspielte. Wir übersprangen einige Schützenlöcher und flüchtig ausgehobene Grabenstücke. Gerade als ich mich mitten im Sprung über einem etwas sorgfältiger ausgestochenen Graben befand, riß mich ein durchdringender Stoß vor die Brust wie ein Flugwild aus der Luft. Mit einem lauten Schrei, mit dessen Gellen die Lebensluft auszuströmen schien, wirbelte ich um die Achse und klirrte zu Boden. Nun hatte es mich endlich erwischt. Gleichzeitig mit der Wahrnehmung des Treffers fühlte ich, wie das Geschoß ins Leben schnitt. Schon an der Straße vor Mory hatte ich die Hand des Todes gespürt – diesmal griff er fester und deutlicher zu. Als ich schwer auf die Sohle des Grabens schlug, hatte ich die Überzeugung, daß es unwiderruflich zu Ende war. Und seltsamerweise gehört dieser Augenblick zu den ganz wenigen, von denen ich sagen kann, daß sie wirklich glücklich gewesen sind. In ihm begriff ich, wie durch einen Blitz erleuchtet, mein Leben in seiner innersten Gestalt. Ich spürte ein ungläubiges Erstaunen darüber, daß es gerade hier zu Ende sein sollte, aber dieses Erstaunen war von einer sehr heiteren Art. Dann hörte ich das Feuer immer schwächer werden, als sänke ich wie ein Stein tief unter die Oberfläche eines brausenden Wassers hinab. Dort war weder Krieg noch Feindschaft mehr. |
Die Beschreibung in den Kriegstagebüchern ist die kürzeste und neutralste. Sie beschränkt sich auf eine Beschreibung des Ortes, an dem die Verwundung geschieht. Jünger beschreibt, dass er sich der Schwere seiner Verwundung bewusst gewesen sei und erklärt, dass er sich sofort und aus eigener Kraft in Deckung begeben habe. Schon die Ur-Fassung setzt völlig andere Akzente und bemüht sich, Jünger „zum Helden zu stempeln“ – ganz so, wie er es auf den letzten Seiten seines Kriegstagebuchs reflektiert hat (vgl. Kiesel, Kriegstagebuch, 2010, S. 432.) In der Ur-Fassung von In Stahlgewittern wird Jünger nicht einfach in die Brust getroffen, vielmehr kämpft er in einer unwirtlichen Landschaft, wird von Maschinenwaffen attackiert, kämpft ein Gefühl der Aussichtslosigkeit nieder und befindet sich „im Sturm nach vorn“, als er im Sprung über einen Schützengraben getroffen wird. Er schreit, wird von unsichtbaren Mächten herumgewirbelt, fällt in den Dreck, verliert die Besinnung und ist sich, als er das Bewusstsein wiedererlangt, gewiss, ein großes Unglück erfahren zu haben. Bis 1978 und mit wachsendem zeitlichen Abstand wird sich Jünger der Dramatik und umfassenden Relevanz des Geschehen immer bewusster. Das „Gefühl der Aussichtslosigkeit“, gegen das der vorstürmende Jünger ankämpfen muss, befiel ihn in dieser Fassung schon früher, so dass es sich unmittelbar vor seiner Verwundung noch einmal verstärken kann. Als er dann jedoch über den Graben springt, wird er von einem unsichtbaren Jäger, wie ein Stück Flugwild aus der Luft gepflückt. Mit seinem Schrei verlässt ihn die „Lebensluft“ und er spürt, dass das Geschoss „ins Leben schnitt“. Die Empfindung „durch und durch geschossen zu sein“, die in den Kriegstagebüchern auch als ein Schreckensausruf gedeutet werden kann, wird in dieser Fassung jedoch zu einer Glückserfahrung umgedeutet. Als er im Graben aufschlägt, hat er nicht nur das Empfinden, dass „es unwiderruflich zu Ende war“, sondern auch, dass es ihn „endlich [!] erwischt“ hat. Dies ist für Jünger wohl auch deshalb eine Glückserfahrung, weil er durch diesen (Helden-)Tod seinen soldatischen Dienst vollendet. Das Horaz zugeschriebene „süß und ehrenhaft ist es für das Vaterland zu sterben / dulce et decorum est pro patria mori“ (Horaz, Carmina 3,2,13) wird von Jünger erlebt und in diesem Erleben erkennt er sein „ Leben in seiner innersten Gestalt“. So macht seine Darstellung deutlich: Der Tod als Soldat ist die von Jünger präferierte Form des Todes. Wenn es eine ars moriendi gibt, so ist es der Tod als ein angreifender Soldat gegen einen übermächtigen Feind, der von Jünger erstrebt und ersehnt wird.
Diese Darstellung des Kriegsgeschehens, das schon in der Ur-Fassung von 1920 heldisch überhöht wird, ist also Teil des politischen Diskurses jener Jahre, die von November-Revolution und Abdankung des Kaisers, von den Versailler Friedensverhandlungen und der Ausrufung der Republik und vor allem von bürgerkriegsähnlichen Zuständen in Deutschland geprägt sind.
Weitere gleichfalls autobiographisch geprägte Kriegsbücher folgen: 1922 erscheint der Essay Der Kampf als inneres Erlebnis, 1925 Feuer und Blut und ebenfalls 1925 Das Wäldchen 125. 1930 gibt Jünger einen Essay-Band mit dem Titel Krieg und Krieger heraus.
Dass seine Intention auf fruchtbaren Boden fällt, zeigt eine Empfehlung, die das Reichswehrministerium bereits im Oktober 1921 veröffentlicht, in der die Anschaffung von In Stahlgewittern als Truppenlektüre empfohlen wird (vgl. Kiesel: Ernst Jünger, In Stahlgewittern, Materialien, 2013. S. 455-456). Diese Empfehlung ist um so erstaunlicher, als das Buch zu diesem Zeitpunkt nur in einer von Jünger im Selbstverlag besorgten Auflage von 2000 Exemplaren vorliegt. Eine Neuauflage ist zwar geplant und für das Jahr 1922 angekündigt, diese liegt aber zum Zeitpunkt der Empfehlung noch nicht vor.
Von seiner Biographie her war Jünger keineswegs für einen solchen Werdegang prädestiniert und dass er einmal eine solche Relevanz für die „nationale Sache“ erlangen sollte, ist in der Rückschau überraschend, wenn man bedenkt, dass Jünger im November 1913 ohne Schulabschluss von zu Hause fortlief, um sich bei der Fremdenlegion zu verpflichten. – Nur durch Intervention des deutschen Konsuls in Algerien und unter Verweis auf die Unmündigkeit Jüngers konnte er die Fremdenlegion Anfang 1914 wieder verlassen. – Nach dem Krieg, an dem er sich von Beginn an als Kriegsfreiwilliger beteiligt hatte, ist er ein national denkender Deutscher geworden. Auf den letzten Seiten seines Kriegstagebuchs schreibt er dazu Sätze, die wohl sein ganzes Leben lang ihre Relevanz behalten sollten:
„Ich glaubte vorm Kriege über dem Nationalen Standpunkte zu stehen, und stehe heute nicht darunter. Obwohl ich als 17jähriger einstens aus Abenteuerlust zur Fremdenlegion ausriß, hoffe ich doch, mehr Nationalgefühl zu besitzen, als Mancher, der sich an jedem 27. Januar [Geburtstag des Kaisers] volllaufen ließ und am 9. November [Beginn der Revolution in Deutschland], ohne den Degen zu ziehen, auf den ‚Boden der Tatsachen‘ stellte. […] Ich bin im Geiste des Preußischen Offizierskorps erzogen und mit Leib und Seele Soldat. Ich habe 4 Jahre lang als Schütze und Führer gefochten, bin 7 mal verwundet und im Besitze vieler Orden und Ehrenzeichen, die ich an meiner Stelle erringen konnte. Wir Niedersachsen sind nicht leicht zu begeistern aber wenn wir uns eingesetzt haben, dann halten wir fest. Auch mein Herz hängt fest an der Sache, für die ich gekämpft und geblutet habe.“ (Kiesel: Kriegstagebuch, 2010. S. 433.)
So wurde Ernst Jünger durch den Krieg zu einem Menschen, der sich in seiner Erinnerung als Held begreift, der in der Realität aber vor allem ein Nationalist ist. Positiv ist diese Verwandlung sicher nicht.
Im Blickpunkt: (Schuss-)Waffen des Ersten Weltkriegs
Von André Maertens
Mit dem Ersten Weltkrieg verbindet sich zumeist das Bild des Graben- und Stellungskriegs an der sogenannten Westfront, auch wenn dies nicht immer die bestimmende Form der Kriegführung war und in anderen Teilen Europas und der Welt keineswegs die dominierende Kampfweise darstellte. Doch muss das Ausheben von Schützengräben und ganzen Grabensystemen – zum Teil sehr komplex konstruiert und auf Dauer angelegt – als Neuheit dieser historischen Phase gelten. Sicher waren bereits im Russisch-Japanischen Krieg und auch zum Teil in den Burenkriegen im südlichen Afrika solche Erscheinungsformen des modernen Kriegs zu beobachten gewesen, doch in einer so großen Dimension und mit dieser massenhaften Zerstörung sind der „trench war“ und der „attrition warfare“ erst nach den zu Beginn stattfindenden Bewegungsfeldzügen im Ersten Weltkrieg zu beobachten. Wenn es also in anderen Kriegen vorher schon eine unglaublich hohe Zahl von Toten gegeben hatte (etwa im sogenannten Taiping-Aufstand Mitte des 19. Jahrhunderts in China mit bis zu 30 Millionen Toten), war doch dieser schwerpunktmäßig in Europa beginnende Krieg der erste, bei dem industrielle militärische Vernichtungskraft am Werk war bzw. von Menschen ins Werk gesetzt wurde.
Die Artillerie war dementsprechend eine der bedeutenden Waffenarten in diesem Krieg. Sie war nun ausschlaggebend stärker als noch im Konflikt 1870/71, in immens höherer Stückzahl vorhanden und zwang die Soldaten in die (zum Teil) schützenden Bunkeranlagen und Gräben. Unter allen damals angewandten Waffentypen zeichnen die verschiedenen Artilleriewaffen – vor allem durch Direkttreffer, weite Splitterradien und enorme Druckwellenwirkung – mit Abstand für die höchsten Todeszahlen verantwortlich (bzw. die Artilleristen tun dies). Dass es hier auch um riesige Gewinne für die beteiligten Stahl- und Waffenfirmen sowie für weitere Aufrüstungs- und Kriegsprofiteure ging (eine Konstante in der Geschichte, seit Beginn der Massenheere bis heute), muss kaum erwähnt werden. Wo geschossen wird, wird (gestorben, jaja, aber „wichtiger“ doch, im Sinne der betreffenden Unternehmer) Geld gemacht, mit Geschossen für Kanonen und Granatwerfer. Und daher „muss“ die Kriegsmaschinerie – oder zumindest die Drohung damit – „am Leben“ gehalten werden. Die dafür nötigen Feindbilder gab es damals genug, genauer gesagt, sie wurden den Menschen eingeredet.
Auch andere Waffen wie Gas, Panzer, Kampfflugzeuge, U-Boote, von wenigen Soldaten transportierbare Mörser, Flammenwerfer und viele mehr hatten ihre Premiere eigentlich erst in jenen Jahren. Doch die tragbare Maschinengewehrwaffe war es wohl, welche die Erinnerung an diesen Krieg entscheidend prägte. Denn vor den Artilleriewaffen konnten sich die Soldaten, so sie denn nicht ins Feuer geschickt oder davon überrascht wurden, verstecken – wenn die Erfahrung der Bombardierung auch ihre Psyche angriff. Sobald jedoch der Befehl zum Angriff kam, mussten sie ganz in napoleonischer Tradition zum Sturmangriff raus und übers offene Feld auf den Feind zugehen. Und dort, im „Niemandsland“, erwartete sie eine beinahe aus dem Verborgenen attackierende und fast ohne Unterbrechung tötende Waffe: das Maschinengewehr. Nur äußerst wenige Soldaten des Ersten Weltkriegs kannten diese Situation, etwa aus den MG-Einsätzen in den Kolonialkriegen (wo die „Wilden“ zu Tausenden ohne jeden Skrupel hingemetzelt worden waren) oder in anderen asymmetrischen Einsätzen in Europa, sodass die überlieferte Taktik des Frontalangriffs, besser gesagt, deren beinahe stetes Scheitern für sie nicht verständlich war. „Mann“ stürmte „ehrenvoll“ voran, immer mit dem Gedanken, „es“ zu schaffen, den feindlichen Graben zu erreichen und zu erobern.
Und wenn man sich nun klarmacht, dass die damaligen Maschinengewehre im Vergleich zu den Fortentwicklungen im Zweiten Weltkrieg (Stichwort MG42 der NS-Wehrmacht und dessen fortgesetzte Nutzung bei der Bundeswehr) beinahe langsam schossen, dann wird einem bewusst, wie tödlich diese späteren Waffen und erst recht die heutigen Maschinenwaffen sind (beispielsweise die Gatling-Maschinenkanonen oder Kettenmaschinenkanonen / Chain Guns, die u. a. von US-amerikanischen „Artillerie-Flugzeugen / Gunships“ wie der Lockheed AC-130 abgefeuert werden). Doch die Feuerraten, etwa des deutschen MG 08/15 (500 Schuss pro Minute) oder des französischen Chauchat („nur“ 240 Schuss pro Minute), reichten im Zeitalter des Ersten Weltkriegs durchaus aus, um unter anstürmenden Truppen ein Massaker anzurichten (auf deutscher Seite ging es anschließend über das MG34 zum MG42 mit schreckenerregenden 1200 Schuss pro Minute). Und das „Beste“ an den neuen maschinellen Waffen ab 1914 war, dass man sie bewegen konnte. Zwar noch im Team und nicht – wie bei ihren Weiterentwicklungen im Zweiten Weltkrieg und heute – im Bedarfsfall von einem Mann, doch es ergab sich dadurch eine Flexibität in der Verteidigungstaktik, die stationär verwendete MG-Waffen nicht hatten bieten können. Sogenannte leichte Waffen töteten damals (wie heutzutage) Menschen in großer Zahl, ohne dass der Einsatz den Schießenden relativ gesehen viel Arbeit abverlangte. Otto Dix wollte genau diese Erfahrung machen und es ist davon auszugehen, dass er in seinem Maschinengewehrtrupp unzählbares Leid gesehen und auch mitverursacht hat.
Eine andere Waffe, eine „kleine Waffe“, bestimmte ebenfalls unser Bild vom Ersten Weltkrieg mit: die Handgranate. Ob als Angriffs- oder als Verteidigungswaffe angewandt, ob weit geworfen oder als „Hindernis“ für nachfolgende feindliche Soldaten liegengelassen, immer war der Gedanke der, dass man mit diesen Sprengwaffen im Grabenkampf einen wichtigen Vorteil erringen konnte. Der Gegner wurde dort überraschend und massiv getroffen, wo man selbst nicht war. Ein Bild von Ernst Jünger, wie er mit Umhängetaschen voller Stielhandgranaten ausgerüstet vor dem Einsatz bereitsteht, findet sich zum Beispiel in Kiesels Ausgabe seines „Kriegstagebuchs“ (S. 560).
Das Bild dieser Soldaten, die als „Stoßtruppen“ bzw. „Sturmbataillone“ bezeichnet wurden, ist auch im Hinblick auf die Fortentwicklung der damaligen Faustfeuerwaffen und Langwaffen interessant: Das damals (auf deutscher Seite) übliche Gewehr war von der schwäbischen Waffenfirma Mauser, das Modell 98. Doch es gab auch schon Karabiner-Varianten, kürzer und im Grabenkampf etwas leichter und schneller zu verwenden. Hier entschieden im Handgemenge oft Sekunden bzw. Zentimeter darüber, wer auf dem engen Raum zuerst den Tod bringenden Schuss, Stich oder Schlag anbringen konnte. Und so wurde der Ruf laut nach Schusswaffen, die den wieder aufkommenden Beilen, Keulen und Äxten sowie Feldspaten, Grabendolchen und ähnlich antiquiert anmutenden Waffen eine effiziente Feuer- und Tötungskraft entgegensetzen konnten und auch unter diesen krassen Bedingungen einfach zu handhaben waren und zuverlässig funktionierten. Revolver und andere Pistolenarten schienen hierfür zwar geeignet, besaßen jedoch nicht in genügendem Maße das, was in heutiger Zeit als „Mannstoppwirkung“ bezeichnet wird. „Maschinen-Pistolen“ sollten diese Lücke füllen, sie sollten klein sein und eine hohe Feuerkadenz haben – doch waren die zeitgenössischen Modelle technisch meist noch nicht voll ausgereift. Hätte der Erste Weltkrieg noch länger gedauert, wäre (bei aller Skepsis gegenüber solcher „Konjunktivgeschichte“) die vollautomatische Kleinwaffe, etwa die deutsche „Bergmann MP18“, sicherlich eine taktisch oder vielleicht sogar strategisch einflussreiche Waffe geworden.
Dass es noch bis zum Zweiten Weltkrieg dauern sollte, bis diese Art von Waffen in großer Stückzahl gebaut wurde und auch störungsfrei eingesetzt werden konnte, lag dann zumeist am Festhalten der Armeeführungen an militärischen Konzepten, die eine solche Kampfweise nicht vorsahen. Neben den Weiterentwicklungen der ersten Maschinenpistolen (z. B. der robusten sowjetischen PPSch-41 mit ihrem markanten Trommelmagazin oder der in ihrer Einfachheit kaum zu übertreffenden britischen Sten-„Waffen-Familie“) war es eigentlich erst der Standardeinsatz von vollautomatisch schießenden „Sturmgewehren“ und „battle rifles“, der einen bedeutenden (und blutigen!) Wandel brachte (beginnend mit Entwicklungen wie dem „Sturmgewehr 44“ und bald darauf mit den viel handlicheren Kalaschnikow-Modellen bzw. den AR-Gewehren, die meist als M16 bekannt wurden). Als die Techniker solche Waffen bauen konnten, „durfte“ sich keine Armee, die es sich finanziell leisten konnte, mehr erlauben, bei halbautomatischen Waffen stehen zu bleiben. Das Mauser-Gewehr beispielsweise, das wie das britische Lee-Enfield-Gewehr noch eine Repetier-Waffe war, wurde damit endgültig zu den Paradewaffen (oder aber zu den Spezialwaffen für Scharfschützen) verabschiedet, denn hier musste vor dem Schuss auf zeitraubende Weise die nächste Patrone noch mit einem zweimaligen Bewegen des Verschlusses in den Lauf geschoben werden. Zudem waren die Ladestreifen dieser Gewehre zu kurz bzw. die Magazine zu klein, um andauernden Beschuss zu ermöglichen (Mauser-Karabiner 98k mit 5 Patronen, das später entstandene AK47 bereits ab 30 Patronen und noch dazu vollautomatisch). Das neue Credo musste sein: ein Mann = enorme Feuerkraft. Und so ist es seit jener Zeit geblieben.
Dass sich der Mauser-Karabiner trotzdem so lange halten konnte und in (West-)Deutschland erst von den CETME-Entwicklungen der späteren Heckler & Koch-Waffeningenieure, sprich dem G3, abgelöst wurde (bzw. kurzfristig von US-Waffen und von Gewehren der belgischen Waffenschmiede FN Herstal), ist erstaunlich – ein Grund dafür könnte die große institutionelle Macht der Waffenhersteller sowie deren Verknüpfungen mit Militärkreisen sein (d. h. Seilschaften und Korruption). Eines bleibt wichtig: Wir sollten unbedingt in Erinnerung behalten, dass sowohl die kolonialen Aggressionen, die Mordverbrechen des Ersten Weltkriegs und auch die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die von Deutschen ab 1933 bzw. dann ab 1939 begangen wurden (der Holocaust / die Shoah, der Vernichtungskrieg ebenso wie das millionenfache Verhungernlassen sowjetischer Kriegsgefangener, die Liste ließe sich fortsetzen), mit den von einer einzigen Waffenfirma entwickelten Schusswaffen bzw. Kleinwaffen begangen wurden: Mauser, mit Sitz in Oberndorf. Dass die heutige HK-Firmenleitung auf eine solche Vergangenheit zurückschauen kann (und muss!) und trotzdem weiter in Waffenforschung und -handel aktiv ist, wirft ein Licht auf die dort herrschende Vorstellung von ethisch korrektem wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Handeln. Spätestens nach der Befreiung vom Nationalsozialismus und dem französischen Waffenproduktionsverbot ab den späten 1940er Jahren hätte Schluss sein müssen. Der neuerdings in der Geschichtswissenschaft wieder vermehrt besprochene „Zweite Dreißigjährige Krieg“ von 1914 bis 1945 hat in Deutschland also, was die Waffenproduktion (und die skrupellose Verbreitung durch Exporte in alle Welt) betrifft, skandalöserweise nicht geendet. Im Gegenteil. Im Grunde eine Parallele zu Jüngers Schreiben: Einsicht angesichts des eigenen (Mit-)Mordens fehlt.