Laut Informationen des Spiegel soll das Bundeskabinett am morgigen Mittwoch, den 30.11. über den Rüstungsexportbericht für das Jahr 2010 beraten. Sollte der Bericht im Anschluss daran tatsächlich veröffentlicht werden – mit ’nur‘ einjähriger Verspätung – dann wäre das für bundesrepublikanische Verhältnisse sehr schnell. Nun kursiert mittlerweile schon wieder die Nachricht, dass die entsprechende Beratung auf den 7.12. verschoben wurde. Es scheint also als gäbe es für die Veröffentlichung noch einigen zeitlichen Spielraum. So bleibt also weiterhin abzuwarten, wann der Rüstungsexportbericht der Bundesregierung veröffentlicht werden wird, bis dahin berichtet der neue Newsletter über das Bemühen der Bundesregierung auf Europäischer Ebene den Interessen einer Exportorientierten Rüstungsindustrie zu dienen.
Die ein oder andere positive Nachricht gibt es jedoch auch noch zu berichten. So hat sich Margot Käßmann bereit erklärt die Schirmherrschaft für die „Aktion Aufschrei!“ mit zu übernehmen, denn „Die Lieferung von Waffen und Ausrüstung zur Kriegsführung sowie zur innerstaatlichen Unterdrückung an diktatorische Regime ist nach meiner Überzeugung ein permanenter Skandal deutscher Außenpolitik und Außenwirtschaftspolitik …“ – so die ehemalige Ratsvorsitzende der EKD.
Außerdem: ein Interview mit Ralf Willinger (terre des hommes Deutschland e.V.) zum Thema Kindersoldaten.
Das Heckler & Koch Lizenzlexikon beschäftigt sich in diesem Monat mit dem Maschinengewehr-Modell MG4.
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DAKS-Newsletter 11/2011, Nr. 74
„Aktion Aufschrei“: Margot Käßmann wird neue Schirmherrin
Auf ihrer Internetseite präsentiert die Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ Professorin Dr. Margot Käßmann als neue Schirmherrin. In einem Interview bezeichnete sie Rüstungsexporte als kontraproduktiv für das Bemühen, Konflikte zu deeskalieren. Ein solches Handeln sei absurd und es widerspreche dem Eintreten für die Menschenrechte. Ein breites Medienecho folgte der Bekanntgabe der Schirmherrschaft.
Pressemitteilung der bundesweiten Kampagne
„Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ am 28.11.2011
„Vorsätzlich Öl ins Feuer bestehender Konflikte“
Rüstungsexportkampagne kritisiert drastische Steigerung der Kriegswaffenausfuhr und fordert grundsätzliches Verbot
„Während nach einer aktuellen Emnid-Umfrage über 70 Prozent der Bevölkerung für ein Verbot von Rüstungsexporten sind, gibt es für die Bundesregierung beim Waffenhandel so gut wie keine Grenzen mehr. Wer immer mehr U-Boote, Kriegsschiffe, Panzer und Maschinengewehre in Kriegs- und Krisenregionen liefert, gießt vorsätzlich Öl ins Feuer bestehender Konfliktherde“, kritisiert Paul Russmann, einer der Sprecher der bundesweiten Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ und Geschäftsführer der ökumenischen Aktion „Ohne Rüstung Leben“ die bereits bekannt gewordenen Zahlen aus dem aktuellen Rüstungsexportbericht 2010 der Bundesregierung, der am Mittwoch im Kabinett verabschiedet werden soll.
„Diese neuerlichen Rekordzahlen sind der Ausverkauf jeglicher Rüstungsexportkontrolle und stellen Art. 26 des Grundgesetzes auf den Kopf“, lautet das Fazit von Rechtsanwalt Dr. Holger Rothbauer. „Wir fordern mit der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ ein grundsätzliches Verbot der Ausfuhr von Kriegswaffen und Rüstungsgütern.“
„Zwei Aspekte des neuen Rüstungsexportberichts der Bundesregierung geben mir besonders zu denken: Das ist zum einen ein Rekordwert bei den gelieferten Kriegswaffen. Da wird es mit rund zwei Milliarden Euro wohl den höchsten Wert geben, den es je gab. Der zweite Skandal ist politisch-strategischer Natur: Die Bundesregierung verantwortet einen politischen Kurs, der die Ausstattung anderer Länder mit deutscher Waffenhochtechnologie beinhaltet. Das ermöglicht eine Zukunft, in der Deutschland nicht mehr wie in Afghanistan selbst Krieg führt, sondern am Krieg zwar verdient, sich selbst aber als Friedensmacht darstellen kann. Solche Politik ist doppelzüngig“, kommentiert pax christi-Generalsekretärin Christine Hoffmann, Sprecherin der Kampagne.
„Besonders erschreckend ist die Entwicklung im Bereich so genannter ‚Kleinwaffen’“, so Jürgen Grässlin, ebenfalls Sprecher der Kampagne und Bundessprecher der DFG-VK. „Denn zwei Drittel aller Kriegsopfer werden durch Gewehrkugeln getötet. Nach der bereits 2008 erfolgten Lizenzvergabe für das Sturmgewehr G36 von Heckler & Koch konnte das menschenrechtsverletzende Saudi-Arabien 2010 eine eigene Gewehrfabrik in deutscher Lizenz erstellen. Zudem gelangten offenbar illegal G36-Sturmgewehre in verbotene Provinzen Mexikos und nach Libyen. Unsere Strafanzeigen und die laufenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen H&K sind auch Folge einer Regierungspolitik, die beim G36-Weiterexport auf Kontrollen vor Ort verzichtet. Damit öffnet die Bundesregierung selbst dem illegalen Waffenhandel Tür und Tor.“
Laut ersten Informationen erhöhte die Bundesregierung innerhalb eines Jahres die Ausfuhr von Kriegswaffen auf zwei Milliarden Euro. Zudem wurden neue Verträge über zukünftige Rüstungslieferungen im Wert von über fünf Milliarden Euro geschlossen. Ein Drittel der neuen Genehmigungen betreffen Länder außerhalb der EU und NATO – darunter Afrika und die Golfstaaten.
Ansprechpartner für die Medien:
Christine Hoffmann: Tel. 030/200 76 78 0, E-Mail: sekretariat@paxchristi.de
Paul Russmann: Mobil 0176/28 04 45 23, E-Mail: orl-russmann@gaia.de
Jürgen Grässlin: Mobil 0170/61 13 759
Weitere Infos gibt es unter: http://www.aufschrei-waffenhandel.de/
Broschüre zur Veranstaltungsreihe „Waffenexporte ins südliche Afrika: Ein Geschäft mit dem Tod“
Zur Veranstaltungsreihe, bei der Emanuel Matondo im November in verschiedenen Städten über Waffenexporte ins südliche Afrika berichtete, ist eine Broschüre erschienen. Sie enthält u. a. Beiträge von Emanuel Matondo, Rudi Friedrich, Hein Möllers und Holger Rothbauer und befasst sich mit Exporten und Exportfolgen in Angola, Botswana, der DR Kongo, Namibia, Simbabwe und Südafrika. Auch die Kleinwaffenproblematik wird in den Texten angesprochen. Viele weitere Informationen zu der Broschüre, die den gleichen Titel wie die Vortragsreihe trägt, finden sich auf der Internetseite von Connection e. V. Hier gibt es auch Berichte von den einzelnen Veranstaltungen und einen Kurzfilm mit Hintergrundinformationen zu diesem Thema.
Libyen: Neue Resolution fordert die bessere Kontrolle von Waffen
Am 31. Oktober verabschiedete der UN-Sicherheitsrat eine neue Resolution zu Libyen (S/RES/2017 – 2011). Eingebracht von Russland drückt der Text vor allem die Sorge der westlichen und östlichen Industriestaaten aus, dass die von ihnen an das Gaddafi-Regime gelieferten Waffen in die falschen Hände geraten und gegen sie selbst eingesetzt werden könnten. Fünfmal verweist die zweiseitige Resolution ausdrücklich auf die Waffenkategorie der so genannten MANPADs („man-portable surface-to-air missiles“ / tragbare Boden-Luft-Raketen). Die Gefahr durch chemische Waffen wird ebenfalls beschworen und selbst das Thema Kleinwaffen und die mögliche destabilisierende Wirkung, die ihre unkontrollierte Verbreitung in der Sahel-Region verursachen könnte, wird nicht vergessen.
Deutschland hat umgehend seine Bereitschaft signalisiert, die Staatengemeinschaft und Libyen bei der Umsetzung der Resolution nach Kräften zu unterstützen. Experten für chemische Kampfstoffe sollen, als Teile eines Teams der „Organisation für das Verbot chemischer Waffen“ (OPCW), vor Ort aktiv werden. Gleichzeitig stellt Deutschland 1,6 Millionen Euro bereit, um bei der Suche nach MANPADs zu helfen bzw. bei der Beseitigung von Landminen und der Sicherung von Kleinwaffen-Lagern.
All das ist wunderbar. – Würden nicht all diese Bemühungen einen faden Nachgeschmack hinterlassen. Es bleibt der Eindruck bestehen, dass die Industriestaaten bei ihren Hilfsbemühungen wieder einmal vor allem auch ihre eigenen Interessen im Auge haben. Chemische Waffen und MANPADs stellen insbesondere in den Händen von Terroristen eine Gefahr dar. Geschossen würde mit diesen Waffen dann aber wahrscheinlich nicht auf inner-libysche Ziele, sondern weit eher auf internationale, also etwa Flugzeuge westlicher Fluglinien. – Zu denken ist bei solchen Szenarien etwa an den Anschlag auf ein in Kenia startendes, israelisches Flugzeug im Jahr 2002. Zum Einsatz gelangten zwei russische Boden-Luft-Raketen, wie sie eben auch in Libyen tausendfach vorhanden sein sollen.
Das Problem ist: Hätten die Industriestaaten Gaddafi nicht mit entsprechenden Waffen beliefert, dann müssten sie heute nicht ihre unkontrollierte Verbreitung fürchten. Und: Der libyschen Bevölkerung ist mit den Maßnahmen der Staatengemeinschaft nur bedingt geholfen. Ihr droht nämlich eine weit konkretere Gefahr durch die massenhaft in Libyen verbreiteten Kleinwaffen. Es wäre zu wünschen, dass die Bemühungen zur Bekämpfung dieses Problems genauso ernsthaft begonnen würden wie jene Bemühungen zur Bekämpfung der Weiterverbreitung von Terror-Waffen. Doch danach sieht es derzeit leider noch nicht aus.
Hemmschuh Deutschland: Die Bundesregierung agiert als Vertreter einer exportorientierten Rüstungsindustrie
„Deutschland will Rüstungsexporte erleichtern.“ Diese Schlagzeile sorgte Anfang November für einige Aufregung in der bundesdeutschen Presse. Hintergrund war ein Bericht des Spiegel über eine nicht-öffentliche Stellungnahme der Bundesregierung an die EU-Kommission, in der sich jene gegen eine EU-weite Harmonisierung der Ausfuhrkontrolle für so genannte Dual-Use-Güter aussprach. Da auch der geplante Verkauf von Leopard 2-Panzern an Saudi-Arabien durch den Spiegel öffentlich gemacht wurde, stellt dies bereits die zweite Enthüllung zum Thema Rüstungsexport dar, den das Magazin binnen weniger Monate für sich verbuchen kann.
So löblich dies ist, bleiben im vorliegenden Fall jedoch noch einige Fragezeichen, die nicht zuletzt darauf zurückzuführen sind, dass nicht nachvollzogen werden kann, welchen Stand die Verhandlungen auf EU-Ebene mittlerweile erreicht haben. Grundsätzlich stünde eine Vereinheitlichung der EU-Exportkontrolle für Dual-Use-Güter im Einklang mit der Praxis des Europäischen Binnenmarktes für Rüstungsgüter. 2009 wurde dieser Binnenmarkt durch die Richtlinien 2009/43/EG und 2009/81/EG faktisch geschaffen. Durch diese Verordnungen wurden die EU-Mitgliedstaaten verpflichtet, den Verkauf und Transport von Rüstungsgütern an andere EU-Mitgliedstaaten zu erleichtern. Ziel war und ist es, multinationale Rüstungskooperationsprojekte zu erleichtern, bei denen – wie etwa im Fall des Eurofighters – Waffenteile aus vielen verschiedenen Ländern zusammenkommen müssen, um am Ende ein Waffensystem zu ergeben. Durch die sogenannte Verbringungs-Richtlinie (2009/43/EG) soll sichergestellt werden, dass die kooperierenden Firmen eine Liefersicherheit haben und nicht fürchten müssen, dass einer der Kooperationspartner sein Engagement unerwartet beendet – und dadurch Produktion und Export gefährdet werden. Von dieser Liefersicherheit sollen aber nicht nur Firmen profitieren, sondern auch die Beschaffungsbehörden der EU-Armeen und –Polizeibehörden. Seit 2009 gilt für jegliche Waffen, die in nationaler Verantwortung produziert werden, dass sie ohne Vorbehalt an andere EU-Länder verkauft werden dürfen. Im Gegenzug haben sich die EU-Staaten in der “Beschaffungs-Richtlinie” (2009/81/EG) verpflichtet, geplante Rüstungsankäufe künftig EU–weit auszuschreiben.
Natürlich wirft diese neue Praxis insbesondere im Hinblick auf den Rüstungsexport erhebliche Probleme auf. Die nationalen Regeln für den (Weiter-)Verkauf von Waffen, insbesondere aber die politische Kultur hinsichtlich der Genehmigung solcher Exporte sind teils sehr unterschiedlich. Möglich, im Sinne von politisch durchsetzbar, wurden die beiden genannten Verordnungen deshalb erst, nachdem beschlossen worden war, den seit 1998 existierenden europäischen Verhaltenskodex für Rüstungsexporte zu einer rechtlich mehr oder weniger verbindlichen Gemeinsamen Position (2008/944/GASP) „aufzuwerten“.
Wenn nun darüber verhandelt wird, auch die Exportkritierien sogenannter Dual–Use-Güter zu vereinheitlichen, dann ist diese Politik nur konsequent. Friedensethisch ist sie in soweit zu begrüßen, als sie nicht an dem Punkt stehen bleibt, an dem der Rüstungsindustrie durch die Schaffung eines Europäischen Binnenmarktes für Rüstungsgüter der größtmögliche Nutzen entsteht, sondern in einem zweiten Schritt versucht, den Primat der Politik zurückzugewinnen, indem der Rüstungsindustrie zumindest im Fall von Exportgeschäften Grenzen gesetzt werden. Eine entsprechende Verordnung würde so eine notwendige Ergänzung zum bereits jetzt praktizierten Stand der wirtschaftlichen Kooperation darstellen.
Das einzige, was man einer entsprechenden Regelung vorwerfen könnte, wäre, dass sie der realen Entwicklung um einige Jahre hinterher hinkt und in der derzeit praktizierten Form (insbesondere im Hinblick auf die Gemeinsame Position zum Export von Rüstungsgütern) noch keine wirksamen Schranken setzt. Wenn die Bundesregierung jedoch wirklich die Absicht hegt, entsprechende Regulierungsbemühungen auf EU-Ebene zu blockieren, dann macht sie sich damit offen zum Anwalt einer exportorientierten Rüstungsindustrie. Eine solche Politik ist kurzsichtig und einer nachhaltigen Entwicklung abträglich.
So betrachtet, dokumentieren die Enthüllungen des Spiegel eine moralische Bankrotterklärung der Bundesregierung und es bleibt nur zu hoffen, dass sich die anderen EU-Mitgliedsstaaten durch die unterstellte Haltung der Bundesregierung nicht beirren lassen und die vom Spiegel veröffentlichte Stellungnahme in dieser Hinsicht keinen Schaden anrichten kann. Denn es ist höchste Zeit für eine EU-Verordnung über den Export von Dual–Use-Gütern!
„Kindersoldaten können Quellen des Friedens werden“
Interview mit Ralf Willinger, Kinderrechtsexperte von terre des hommes Deutschland e. V.
Die Fragen stellte André Maertens.
1. Sie bezeichnen Kleinwaffen als „Waffen für kleine Hände“. Wie ist die Kleinwaffen-Problematik mit dem Thema Kindersoldaten verknüpft?
Ohne die massenweise Verbreitung von Kleinwaffen gäbe es wesentlich weniger Kindersoldaten auf der Welt – und dies gilt auch für die Verbreitung deutscher Kleinwaffen. Kleinwaffen, d. h. Pistolen, Gewehre und Maschinenpistolen, sind weltweit die Waffen, die mit Abstand die meisten Opfer unter der Zivilbevölkerung fordern, darunter sehr viele Kinder. Außerdem sind sie billig und im wahrsten Sinne des Wortes kinderleicht zu bedienen – und ermöglichen damit erst den Einsatz von schätzungsweise 250.000 Kindersoldaten weltweit. Das deutsche Unternehmen Heckler und Koch aus Baden-Württemberg ist beispielsweise europäischer Marktführer für Kleinwaffen. Gegen diese Waffenschmiede laufen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen des Vorwurfs der Bestechung und illegaler Waffenlieferung an Konfliktländer wie Mexiko und Libyen. Wie in den meisten Konflikten wurden auch in Libyen Kindersoldaten eingesetzt [1], sowohl bei den Anhängern von Gaddafi als auch bei seinen Gegnern. Bei Waffenexporten ist Deutschland Europameister. Und im weltweiten Vergleich bekommt es immer noch die Bronzemedaille, nach den USA und Russland. Deutschland ist damit leider mitverantwortlich für das Leid vieler Kinder, die durch diese Waffen zu schaden kommen oder als Kindersoldaten gezwungen werden, damit zu morden.
2. Was ist der von terre des hommes mit herausgegebene „Schattenbericht Kindersoldaten 2011“ und welche Informationen über die Situation von Kindersoldaten enthält er?
Es handelt sich dabei um einen Schattenbericht im Rahmen des deutschen Berichtsverfahrens zur UN-Kinderrechtskonvention und zum Zusatzprotokoll betreffend Kinder in bewaffneten Konflikten. Staaten wie Deutschland, die diese Verträge unterzeichnet haben, müssen regelmäßig über den Stand der Umsetzung in ihrem Land berichten. Nichtstaatliche Organisationen wie terre des hommes können eigene, alternative Berichte dazu an die Vereinten Nationen schicken. terre des hommes, die Kindernothilfe, missio und Unicef Deutschland haben deswegen den Rechtswissenschafler Dr. Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte mit der Erstellung des Schattenberichts Kindersoldaten 2011 beauftragt. Der Bericht enthält Informationen darüber, wie Kindersoldaten in Deutschland behandelt werden und welche Rolle Deutschland auf internationaler Ebene zum Thema spielt. Es gibt in Deutschland leider massive Probleme im staatlichen Umgang mit geflüchteten Kindersoldaten. Viele von ihnen werden nicht anerkannt, ihnen droht die Abschiebung. Sie verzweifeln an langjährigen, intransparenten Asylverfahren und willkürlichen Entscheidungen deutscher Behörden, beispielsweise bei der Altersfestsetzung. Außerdem kritisiert der Schattenbericht die Rekrutierung von Minderjährigen in die Bundeswehr und die Werbemaßnahmen der Bundeswehr an Schulen und gegenüber Kindern. Der dritte große Kritikpunkt im Schattenbericht sind die weiter steigenden deutschen Waffenexporte. Es muss dringend etwas dagegen getan werden, dass Kinder mit deutschen Waffen getötet werden oder mit ihnen als Soldaten kämpfen müssen – das hat auch der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes in seinen letzten Empfehlungen an Deutschland aus dem Jahr 2008 verlangt.
3. In der Arbeitsgruppe „Kinder in bewaffneten Konflikten“ des UN-Sicherheitsrats hat Deutschland seit Anfang dieses Jahres den Vorsitz inne. Welche Rolle spielt Deutschland beim Thema Kindersoldaten?
Wir begrüßen diese diplomatischen Bemühungen Deutschlands bei den Vereinten Nationen sehr. Ein wesentlicher Erfolg des deutschen Vorsitzes ist eine neue Resolution im UN-Sicherheitsrat, die die militärische Nutzung und Schädigung von Schulen und Krankenhäusern noch stärker ächtet. Aber auch das Thema Waffenexporte in Konfliktgebiete sollte auf die Agenda des UN-Sicherheitsrates, schließlich sitzen die größten Waffenexporteure alle in diesem Gremium. Dafür sollte sich Deutschland stark machen, auch innerhalb der Arbeitsgruppe. Und vor allem sollte man endlich vor der eigenen Haustür kehren: Von heute auf morgen könnte jede deutsche Regierung dafür sorgen, dass deutsche Kleinwaffen nicht mehr in Konfliktgebiete exportiert werden, dass Kindersoldaten aus Afghanistan und anderen Ländern bei uns als Flüchtlinge anerkannt werden und dass die Bundeswehr keine Kinder unter 18 Jahren, nach UN-Definition [2] Kindersoldaten, mehr aufnimmt. Aber sie tut es bisher nicht. Hier muss die Bevölkerung und die Zivilgesellschaft noch mehr Druck ausüben, denn nur der wird langfristig zu Veränderungen führen.
4. Welche Schwerpunkte setzt terre des hommes in seiner Arbeit für Kindersoldaten?
In unserer Projektarbeit vor Ort geht es um eine Verhinderung der Rekrutierung von Kindern und um ihre Entlassung und Reintegration in ein ziviles Leben, z.B. in Kolumbien, Burma oder den Philippinen. Außerdem sind Lobbyarbeit und Bildungsarbeit zum Thema ein wichtiger Schwerpunkt, damit das Leiden dieser Kinder künftig verhindert wird und die Verantwortlichen bestraft werden. Dazu gab es in den letzten Jahren einige ermutigende Fortschritte.
5. Welche Aktivitäten zum Thema Kindersoldaten stehen bei terre des hommes künftig an?
Wir wollen weiter hartnäckig die Kinderrechte für Kindersoldaten, Vertriebene und andere Kriegskinder einfordern – in Deutschland ebenso wie in anderen Ländern, wo terre des hommes aktiv ist. Ein symbolischer Höhepunkt dabei ist jedes Jahr der Red Hand Day [3]am 12. Februar, an dem weltweit Menschen mit ihrem roten Handabdruck gegen den Missbrauch von Kindersoldaten protestieren. Im Februar 2012 wird es zum 10-jährigen Jubiläum des Red Hand Day und des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls Kinder in bewaffneten Konflikten in Berlin besondere Aktionen geben. Und natürlich wird terre des hommes weiter Kindersoldaten und Flüchtlinge in Projekten vor Ort mit dem unterstützen, was sie am dringendsten brauchen – Bildung, medizinische und psychologische Unterstützung. Denn wenn die körperlichen und seelischen Wunden geheilt sind und sie die Chance auf eine berufliche Ausbildung und eine Zukunftsperspektive bekommen, dann werden gerade diese Kinder ihre Chance ergreifen. So wie Yina, eine junge ehemalige Kindersoldatin aus Kolumbien, die ich vor vier Jahren kennengelernt habe. Inzwischen ist sie Mutter geworden, arbeitet als Leiterin von Jugendgruppen aus Kriegsgebieten und macht eine Ausbildung als Krankenschwester. Junge Menschen wie Yina haben eine starke Ausstrahlung, sie sind wie Quellen des Friedens. Sie haben den Kreislauf der Gewalt durchbrochen und können andere mitreißen auf dem Weg zu Frieden und Gewaltfreiheit.
Vielen Dank für dieses Interview!
Den „Schattenbericht Kindersoldaten 2011“ und weitere Informationen zur Kindersoldaten-Thematik gibt es auf der Internetseite von terre des hommes.
Anmerkungen zum Text:
[1] Nach Informationen der UN-Sonderbeauftragten für Kinder in bewaffneten Konflikten, Radhika Coomaraswamy.
[2] Pariser Prinzipien von 2007, unterschrieben von über 60 Regierungen, darunter Deutschland.
Lizenzlexikon Heckler & Koch: Maschinengewehr MG4
Das Maschinengewehr MG4 ist ein typisches Produkt der neuen Militärstrategien. Für die Bundeswehr drücken sich diese im propagandistisch aufgemotzten Konzept „Infanterist der Zukunft“ (IdZ) aus. Dabei handelt es sich um eine von vielen NATO-Staaten präsentierte Hightech-Ausrüstung für wenige hochtrainierte „Land Warriors“ (statt dem früheren Massenheer). Für den asymmetrischen Kampf gegen Guerillaeinheiten, bei Hinterhalten und im Häuserkampf wird von den Kriegsplanern angestrebt, dass der einzelne Soldat über mehr Feuerkraft verfügt.
Mit dem MG4 ist eine Waffe entwickelt worden, die es erlaubt, dass in einem Soldaten-“Zug” (regulär 41 SoldatInnen) zwei Maschinengewehre mitgeführt werden. Das bisher verwendete MG3 ist zu schwer und bindet in der Bedienung zu viele Kräfte, so dass jeweils nur ein Exemplar pro Zug vorgesehen ist. In diesen „speziellen“ Einsatzszenarien mit kürzerer Kampfdistanz soll zukünftig das MG4 eingesetzt werden.
Mit dem MG4 stellte Heckler & Koch erstmals seit langer Zeit wieder ein eigenes Maschinengewehr vor. Das zeitgleich mit dem G3 entwickelte leichte Maschinengewehr HK21 (Serienproduktion ab 1961) war die letzte Entwicklung von Heckler & Koch in diesem Bereich – und ein finanzieller Flop. Die Bundeswehr entschied sich seinerzeit für das Konkurrenzprodukt von Rheinmetall, das als MG1 eingeführte Vorgängermodell des heutigen MG3. Die einzigen Großaufträge im Inland erfolgten deshalb durch den Bundesgrenzschutz, der das HK21 als G8 einführte. Da der für den möglichen Export so wichtige Referenzkunde damit nicht zur Verfügung stand, verlief der Verkauf dieser Waffe im Ausland nur schleppend. Sowohl Griechenland als auch Portugal erhielten jedoch, als einzige Großkunden, Produktionslizenzen für das HK21.
Es folgte ein kurzes Intermezzo in den 1980er Jahren, in denen Heckler & Koch das MG3 in Kleinserien für die Bundeswehr herstellte, nachdem Rheinmetall dessen Produktion 1979 endgültig eingestellt hatte. Damit ist das MG4 seit vier Jahrzehnten der erste Versuch von Heckler & Koch, sich als Hersteller von Leichten Waffen zu etablieren.
Im Jahr 2001 wurde ein erster Prototyp der Waffe vorgestellt. Seit 2005 läuft die Serienproduktion, nachdem die Bundeswehr beschlossen hat, diese Waffe als Leichtes Maschinengewehr (lMG) anzuschaffen. Eine vollständige Ersetzung des MG3 durch diese Waffe ist nicht vorgesehen, wenngleich das MG4 die technische Grundlage für das derzeit in Entwicklung befindliche Nachfolgemodell des MG3 zu sein scheint. Im Bundeswehrplan 2009 scheinen Entwicklungskosten in Höhe von 109 Millionen Euro vorgesehen gewesen zu sein, um diese Nachfolgewaffe zu entwickeln. Im Jahr 2010 stellte Heckler & Koch daher seine Neuentwicklung, das HK121, der Öffentlichkeit vor: ein auf das Kaliber 7,65 NATO angepasstes MG4. Eine endgültige Entscheidung über die Beschaffung des HK121 scheint in der Bundeswehr noch nicht gefallen zu sein. Dies überrascht, da die Truppeneinführung eigentlich für das Jahr 2011 geplant war. Es mag sein, dass bei anzunehmenden Erprobungen der Waffe im (Afghanistan-)Einsatz noch Änderungswünsche aufgetaucht sind, die nun erst eingearbeitet werden müssen.
Ausweislich der uneindeutigen Dokumentation der Rüstungsexportberichte der vergangenen Jahre lassen sich Exporte des MG4 nach Bhutan, Brasilien, Brunei, Frankreich, Großbritannien, Jordanien, Kuwait, Libanon, Malaysia, Niederlande, Norwegen, Oman, Philippinen, Schweiz, Spanien, Saudi-Arabien, Uruguay und in die USA vermuten. Bei diesen Exporten dürfte es sich hauptsächlich um die Lieferung von Testwaffen für Erprobungszwecke gehandelt haben, weshalb wahrscheinlich jeweils nur eine begrenzte Anzahl entsprechender Waffen geliefert wurde. Eine Ausnahme hierbei bilden jedoch die Verkäufe nach Saudi-Arabien (898 Stück) und Spanien (1800 Stück). Inwiefern im Rahmen dieser Groß-Exporte auch Lizenzvergaben stattgefunden haben, ist nicht bekannt. Ebenfalls besonders hervorzuheben sind die Exporte in den Libanon (40 Stück), nach Oman (81 Stück) und Uruguay (150 Stück). Auch wenn die Gesamtstückzahl in diesen Fällen jeweils geringer ausfällt, darf nicht übersehen werden, dass damit wohl der Bedarf der gesamten Armee des jeweiligen Landes abgedeckt wurde. Wenn die Vergabe von Lizenzen in diesen Fällen auch eher unwahrscheinlich ist, so sind entsprechende Exporte dennoch besorgniserregend – insbesondere im Fall der Lieferung in Krisenregionen wie dem Nahen und Mittleren Osten. Denn in diesen Fällen hat die deutsche Exportkontrollgesetzgebung die Aufrüstung ganzer Armeen ermöglicht und erlaubt.