Der Arms Trade Treaty ist das Thema dieses Newsletters. Nachdem der Vertrag, nach knapp einem Jahrzehnt der Verhandlungen und Diskussionen, nun endlich verabschiedet wurde, wartet die Welt auf Ratifizierung und in Kraft treten. Diese Zwischen- und Wartezeit möchten wir dadurch gestalten, dass wir verschiedene Gast-Autoren eingeladen haben, ihre Eindrücke und Erwartungen zum ATT zu formulieren. Zustande gekommen sind Artikel und Texte von Robert Lindner (Oxfam Deutschland e.V.), Matthias John (Amnesty International Deutschland) und Christine Hoffmann (Pax Christi Deutsche Sektion). Zustande gekommen ist damit auch ein empfehlenswerter und lesenswerter Newsletter.
Auch das sei noch gesagt: der Newsletter schließt mit einem Ausblick in Gestalt eines Hinweises auf das „Schwarzbuch Waffenhandel“ von Jürgen Grässlin, das ebenfalls vor Kurzem im Buchhandel erschienen ist. Im nächsten Monat – und quasi in Fortsetzung des im aktuellen Newsletters entworfenen Panoramas werden wir ausführlich auf die Recherche-Ergebnisse dieses Werkes und dieses Autors eingehen.
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Arms Trade Treaty: Die Entscheidung
von Robert Lindner (Oxfam Deutschland e.V.)
Mit großer Mehrheit hat die UN-Generalversammlung am 2. April 2013 eine Resolution für ein Abkommen zur Kontrolle des weltweiten Waffenhandels (Arms Trade Treaty, kurz: ATT) beschlossen. 154 Staaten stimmten für den ATT, 23 enthielten sich (darunter China, Russland, Indien, Indonesien, Ägypten und Saudi Arabien). Nur der Iran, Syrien und Nordkorea stimmten dagegen. Die Abstimmung wurde notwendig, nachdem die vorausgegangene UN-Verhandlungskonferenz erneut gescheitert war.
Diese Konferenz, die vom 18. bis 28. März in New York stattfand, war an das Konsensprinzip gebunden. Deshalb konnten dort die drei Neinsager den ATT noch blockieren. Verhindern konnten sie ihn jedoch nicht. Eine Gruppe von rund 100 Staaten legte den Text zum nächstmöglichen Zeitpunkt, am Dienstag nach Ostern, der UN-Generalversammlung zur Abstimmung vor. Die dort erforderliche Zweidrittelmehrheit wurde leicht erreicht.
Am 3. Juni wird der Vertrag feierlich zur Unterzeichnung bei den Vereinten Nationen ausgelegt. Damit das Abkommen in Kraft treten kann, müssen es anschließend 50 Staaten ratifizieren, also in nationales Recht überführen.
Diplomatische Achterbahn
Viele Beobachter in New York hatten noch das Scheitern der ersten UN-Verhandlungskonferenz im Juli 2012 deutlich vor Augen. Nur wenige glaubten, dass im zweiten Anlauf der nötige Konsens für einen soliden Vertragstext gefunden werden könnte. Nur eines war sicher: Es würde die letzte Konferenz unter der Konsensregel sein, dies hatte die Resolution vom Dezember 2012 festgelegt.
Nach dem Rückzug des bisherigen Verhandlungsleiters, Roberto Garcia Moritán aus Argentinien, wurde Botschafter Peter Woolcott aus Australien einstimmig zum Sitzungspräsidenten bestimmt. Erster Höhepunkt im Plenum war ein Statement von Mexiko im Namen von 108 Staaten mit der Forderung nach einer deutlichen Stärkung des Vertragsentwurfs vom letzten Jahr („Julitext“). Beiträge anderer Staaten nährten ebenfalls die Hoffnung auf einen diesmal erfolgreicheren Verlauf (hier der deutsche).
Am 20. März verteilte Botschafter Woolcott eine unter rechtlichen Aspekten geringfügig überarbeitete Fassung („legal scrub“) des Julitextes, der die Grundlage für die weiteren Gesprächen bildete. Vertreter zahlreicher Staaten, aber auch UN-Nothilfekoordinatorin Valerie Amos (stellvertretend für sechs humanitäre UN-Organisationen) waren damit jedoch nicht zufrieden und forderten substanzielle Verbesserungen, insbesondere die Stärkung des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte sowie die Kontrolle aller Rüstungsgüter einschließlich Munition. Vertreter/innen von Control Arms äußerten bei ihrer formellen Ansprache an das Plenum noch weiter gehenden Änderungsbedarf. Die entscheidenden Diskussionen fanden jedoch wie schon im Vorjahr in geschlossenen Beratungen statt, also ohne offiziellen Zugang für Beobachter von Nichtregierungsorganisationen (NRO).
„Überwiegende“ Mängel oder Nutzen?
Am Freitagabend (22. März) stellte Peter Woolcott seinen zweiten, nun vorentscheidenden Vertragsentwurf vor. Entgegen der Hoffnung auf ein wesentlich ambitionierteres Dokument wies auch der neue Text zahlreiche Mängel auf. Nichtregierungsorganisationen kritisierten vor allem die nach wie vor ungenügende Kontrolle von Munition und von Rüstungskomponenten, Schwächen bei der Verankerung des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte, mangelnde Transparenz bei der Berichterstattung, ein zu hohes Limit von Ratifizierungen für das Inkrafttreten des Vertrages, das Erfordernis von Einstimmigkeit für spätere Veränderungen sowie eine Ausnahmeregel für Verteidigungskooperationen (sog. „Indien-Klausel“), für die sich besonders Indien stark gemacht hatte. Die Mehrheit der NRO und Regierungen kritisierten den viel zu großen Interpretationsspielraum bei den Genehmigungskriterien: Exporte sind laut ATT-Text nur dann abzulehnen, wenn etwa das Risiko von Menschenrechtsverletzungen den vermeintlichen Nutzen für Frieden und Sicherheit überwiegen würde („overriding risk“). Diese Formulierung war eine Kernposition der USA.
Das Kampagnenbündnis Control Arms appellierte nachdrücklich an progressive Regierungen, in der verbleibenden kurzen Zeit zumindest die größten Mängel zu beheben – mit gewissem Erfolg: Der am 27. März vorgelegte letzte Entwurfstext wies einige wichtige Verbesserungen auf: Unter anderem wurde die „Indien-Klausel“ entschärft, ein Verbot bei Gefahr von Kriegshandlungen gegen Zivilisten eingefügt, das Kriterium der Gefahr von geschlechterbasierter Gewalt gestärkt, die Anzahl der nötigen Ratifizierungen gesenkt sowie eine spätere Veränderung des Vertrages durch Entscheid mit Zweidrittelmehrheit möglich gemacht. Andere teils gravierende Defizite blieben jedoch leider bestehen.
Control Arms sprach sich für die Annahme des Schlusstextes aus, da der praktische Nutzen für die von Waffengewalt betroffenen Menschen schwerer wiege als die Mängel. Die NRO-Koalition fordert jetzt alle Regierungen auf, den Vertrag zu unterzeichnen, so schnell wie möglich zu ratifizieren und vollständig umzusetzen.
Weitere Informationen (Links):
Control Arms: Aktuelle Informationen zur Kampagne
Reaching Critical Will: Dokumente, Berichte und Kommentare zur ATT-Schlusskonferenz
Blogartikel von Anna Macdonald (Oxfam) (in Englisch): Über die Bedeutung der ATT-Entscheidung für die Weiterentwicklung des UN-Systems.
Der Weg zum Arms Trade Treaty (ATT) und die „Control Arms“-Kampagne
Oktober 1995: Oscar Arias startet mit einer Gruppe von sieben weiteren Friedensnobelpreisträgern eine Initiative für einen internationalen Verhaltenskodex für Waffenexporte, der 1997 in New York öffentlich vorgestellt wird. Zu den Kernprinzipien zählen u.a. Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht.
2000: Die Arias-Stiftung entwickelt gemeinsam mit Oxfam, Amnesty International und anderen Nichtregierungsorganisation einen Textvorschlag für eine „Rahmenkonvention für internationale Rüstungstransfers“.
9. Oktober 2003: Start der Kampagne „Control Arms“ von Amnesty International, Oxfam und IANSA für ein weltweites Abkommen zur Kontrolle des Handels mit konventionellen Waffen (Arms Trade Treaty, kurz: ATT). In Deutschland wird die Kampagne von Amnesty und Oxfam unter dem Namen „Waffen unter Kontrolle!“ getragen.
2005/2006: Im Rahmen der Aktion „Eine Million Gesichter“ für den ATT treten Axel Prahl, Ulrike Folkerts Senta Berger und andere prominente deutsche Krimi-Schauspieler/innen öffentlich für die Ziele der Kampagne ein.
3. Juni 2006: Öffentliche Präsentation von rund 30.000 Portraitbildern am Berliner Alexanderplatz als deutscher Beitrag zur Online-Petition „Eine Million Gesichter“.
26. Juni 2006: Übergabe der insgesamt über eine Million weltweit gesammelten Portraitbilder an UN-Generalsekretär Kofi Annan in New York, verbunden mit der Forderung, bei den Vereinten Nationen Verhandlungen zu beginnen.
Juli 2006: Erste weltweite Erklärung von Parlamentarier/innen für einen starken ATT (initiiert von Parliamentarians for Global Action / PGA und Control Arms, unterzeichnet von über 2.000 Abgeordneten aus 124 Ländern).
Juli 2006: Der Versuch, die Kontrolle von Waffentransfers im UN-Kleinwaffen-Aktionsprogramm (UN PoA) zu verankern, scheitert in der Überprüfungskonferenz zum UN PoA in New York.
Dezember 2006: Großbritannien, Finnland, Argentinien, Costa Rica, Kenia, Australien und Japan (sog. Co-Autoren) legen der UN-Generalversammlung eine Resolution zur Einleitung von ATT-Verhandlungen vor. Sie wird mit 153 Ja-Stimmen bei nur einer Gegenstimme (USA) angenommen. Gleichzeitig wird die Einsetzung einer vorbereitenden Gruppe von Regierungsexperten (GGE) beschlossen, die im Jahr 2008 tagen soll. Regierungen sind aufgefordert, bis
Ende April 2007 ihre Ansichten zu Machbarkeit, Umfang und Genehmigungsvorgaben eines ATT schriftlich an den UN-Generalsekretär zu richten. Die Zivilgesellschaft wird an diesem Prozess nicht beteiligt.
2007: Control Arms führt eine „People’s Consultation“ durch, in der Bürger/innen weltweit ihre Meinung zum Thema ATT äußern können. Veröffentlichung der „Weltweiten Prinzipien für Rüstungsexporte“, in deren Mittelpunkt die „goldene Regel“ steht: Rüstungstransfers dürfen nicht genehmigt werden, wenn damit Menschenrechtsverletzungen begangen, das humanitäre Völkerrecht gebrochen oder die Armut verschärft werden.
2008: Die Regierungs-Expertengruppe (GGE) tagt dreimal.
September 2008: Zweite weltweite Erklärung von Parlamentarier/innen für einen starken ATT (initiiert von Parliamentarians for Global Action / PGA und Control Arms, unterzeichnet von rund 2.000 Abgeordneten, darunter 147 aus Deutschland).
Dezember 2008: Die UN-Generalversammlung stimmt mit 133 Ja-Stimmen (einzige Nein-Stimme: USA) für eine Resolution, mit der eine unbefristete Expertengruppe (OEWG) zur weiteren Vorbereitung eines ATT eingesetzt wird. In dieser Gruppe können im Gegensatz zur vorausgegangenen GGE alle interessierten Staaten mitarbeiten (vier Sitzungen 2009, 2010 und 2011).
Oktober 2009: Nach dem Wahlsieg von Barack Obama in der US-Präsidentschaftswahl sprechen sich die USA erstmalig für den ATT aus, verknüpfen ihre Unterstützung aber mit dem Konsenserfordernis bei der Beschlussfassung bei der Verhandlungskonferenz.
Dezember 2009: Die UN-Generalversammlung nimmt mit 151 Ja-Stimmen (einzige Nein-Stimme: Simbabwe) eine neue Resolution an, mit der ATT-Schlussverhandlungen im Rahmen der UN für das Jahr 2012 beschlossen werden. Die verbleibenden zwei Sitzungen der OEWG werden in einen (mit insg. nur vier Wochen sehr knapp bemessenen) Vorbereitungsausschuss (PrepCom) für die Verhandlungskonferenz umgewandelt. Die Resolution schreibt für die Verfahrensregeln auf Druck der USA (trotz Widerstandes vieler Staaten, darunter Deutschland) das Konsensprinzip fest.
Juli 2010: Erste Sitzung des UN-PrepComs, teilweise unter Ausschluss von Vertreter/innen der Zivilgesellschaft. Sitzungspräsident ist der argentinische Diplomat Roberto García Moritán. Erarbeitung von Arbeitspapieren zu vier Kernthemen: 1) Elemente, Prinzipien und Ziele; 2) Regelungsumfang (Scope);
3) Genehmigungsvorgaben (Parameters); 4) Umsetzung und Anwendung.
Februar/März 2011: Zweite PrepCom-Sitzung, in der ein erster, jedoch informeller Entwurf (Non-Paper) für einen möglichen Kontrollvertrag erarbeitet wird – darin ist u.a. die „goldene Regel“ (s.o.) enthalten, und es sollen neben den im UN-Großwaffenregister beschriebenen Gütern auch Kleinwaffen und leichte Waffen und (trotz Widerstands der USA) auch Munition kontrolliert werden.
Juli 2011: Dritte Sitzung des UN-PrepComs. Präsident Moritán legt ein weiteres Non-Paper als Entwurf für einen ATT vor.
Februar 2012: Vierte und letzte PrepCom-Sitzung. Kontroverse Debatte über die genaue Auslegung des Konsenserfordernisses für die spätere ATT-Beschlussfassung.
Juli 2012: Dritte weltweite Erklärung von Parlamentarier/innen für einen wirksamen ATT (initiiert von Parliamentarians for Global Action / PGA und Control Arms, unterzeichnet von etwa 2.100 Abgeordneten).
2. – 27. Juli 2012: Erste ATT-Verhandlungskonferenz in New York. Die USA und andere Staaten verhindern einen Konsensbeschluss über den vorliegenden Vertragsentwurf.
Januar 2013: Die UN-Generalversammlung nimmt mit 157 Ja-Stimmen (keine Gegenstimme!) eine Resolution zu Durchführung einer zweiten ATT-Verhandlungskonferenz an. Darin wird bestimmt, dass es die letzte derartige Konferenz sein wird, für die das Konsenserfordernis gilt.
18. – 28. März 2013: Die zweite ATT-Verhandlungskonferenz in New York scheitert am Veto von Iran, Nordkorea und Syrien gegen den am 27. März vorgelegten letzten Vertragsentwurf. Kenia kündigt daraufhin eine UN-Resolution an, mit der der vorliegende Vertragstext beschlossen werden soll. Weitere 89 Staaten erklären in den folgenden Tagen ihre Unterstützung als Co-Sponsoren.
2. April 2013: Die UN-Generalversammlung beschließt mit 154 Ja-Stimmen, 3 Nein-Stimmen (Iran, Nordkorea und Syrien) und 23 Enthaltungen (darunter u.a. Ägypten, China, Russland, Indien, Indonesien und Saudi Arabien) die Resolution für einen Arms Trade Treaty auf der Basis des Entwurfs vom 27. März 2013.
(Geplant für den 3. Juni 2013: Beginn der Unterzeichnung des ATT beim UN-Generalsekretär in New York.)
Was ist der Arms Trade Treaty wert?
von Robert Lindner (Oxfam Deutschland e.V.)
Als vor fast 10 Jahren, im Oktober 2003, die Kampagne „Control Arms“ (zu Deutsch: „Waffen unter Kontrolle!“) ins Leben gerufen wurde, lautete das Ziel: Arms Trade Treaty (ATT) bis 2006! Ein neuartiges Kontrollabkommen in nicht einmal drei Jahren? Was aus heutiger Sicht naiv klingen mag, erschien damals gar nicht so abwegig: Im Juni 2006 stand die Überprüfungskonferenz des UN-Kleinwaffenaktionsprogramms an. Oxfam, Amnesty und andere internationale Nichtregierungsorganisationen wollten dieses bereits bestehende, aber unverbindliche Instrument gegen den Schwarzhandel mit Kleinwaffen und leichten Waffen umwandeln in ein völkerrechtlich verbindliches Kontrollabkommen für den staatlich sanktionierten Handel dieser Waffen samt Munition – eine direkte Vorstufe also für den angestrebten Vertrag für alle konventionellen Rüstungsgüter.
Von null auf 153 in drei Jahren
Der Plan ging nicht auf, der Kleinwaffenprozess erwies sich als resistent gegen Weiterentwicklung. Doch aus dem Scheitern folgte die Geburt eines Prozesses für den ATT. Immer mehr Regierungen identifizierten sich mit dem ursprünglich von Nichtregierungsorganisationen und Nobelpreisträgern entwickelten Konzept. 153 Staaten stimmten im Herbst 2006 für eine UN-Resolution zur Vorbereitung von ATT-Verhandlungen. Doch welcher ATT war da eigentlich gemeint: ein möglichst restriktives Instrument zum Schutz von Menschenrechten und Entwicklung oder ein politisches Machtinstrument – oder gar ein Mittel zur Wirtschaftsförderung? In der Tat hofften etwa europäische Rüstungsfirmen, der ATT würde ihre Wettbewerbsnachteile gegenüber Konkurrenten in Ländern beseitigen, in denen es geringere oder gar keine Kontrollstandards gab – vorausgesetzt, ein ATT wäre nicht zu streng.
Ein bisschen Kontrolle?
Für viele ATT-freundliche Regierungen waren sicherheitspolitische Erwägungen mindestens so wichtig wie humanitäre. Deutschland unterlag ohnehin schon vergleichsweise strengen EU-Bestimmungen. Sehr viel strengere Kontrollstandards waren international kaum zu befürchten, da fiel die Unterstützung für den ATT nicht schwer. Waffenlieferungen an Regimes in Spannungsregionen, die es mit den Menschenrechten nicht so genau nehmen, aber strategisch nützlich sind, standen kaum zur Disposition. Vorteilhaft war zudem, dass bei künftigen Bundeswehreinsätzen den Kriegsgegnern der Waffennachschub erschwert würde.
Weniger Waffen, mehr Entwicklung
Oxfam engagiert sich als weltweit agierende Hilfsorganisation für den ATT, um einer der wichtigsten Ursachen für Armut den Nährboden zu entziehen. Millionen Menschen, die kaum genug zum Leben besitzen, müssen zusätzlich mit Waffengewalt leben. Wo weniger Waffen im Umlauf sind, kann Entwicklung besser gedeihen. Obwohl der neue Kontrollvertrag einige Schwächen aufweist und zum Beispiel kein Genehmigungskriterium zu den Auswirkungen von Rüstungstransfers auf die wirtschaftliche und soziale Entwicklung enthält, birgt der ATT das Potenzial, weltweit Menschen die Chancen auf ein besseres Leben zu erhöhen. Denn viele Staaten werden künftig wesentlich genauer prüfen müssen, wohin und an wen sie Militärgerät, Schusswaffen oder die dazugehörige Munition schicken, damit sie am Ende nicht in die Hände von Unterdrückern, Kriegsherren oder Kriminellen gelangen.
Dass es den ATT jetzt gibt, ist ein bedeutender Erfolg der globalen Zivilgesellschaft. Keine Organisation hätte dies alleine geschafft. „Control Arms“ war eine wahrhaft globale Bewegung, bei der Aktivisten aus dem „Süden“ und Campaigner aus dem „Norden“ mit viel Energie, Kreativität und Durchhaltevermögen ein gemeinsames Anliegen verfolgt und am Ende politisch durchgesetzt haben. Doch auch wenn der Vertrag einmal in Kraft tritt, bleibt noch viel zu tun: Engagierte Bürger/innen in Friedensgruppen sowie in Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen werden weiterhin einen sehr langen Atem brauchen, um ihre Regierungen zur konsequenten Umsetzung der beschlossenen Regeln anzuhalten.
Kernelemente des Arms Trade Treaty
- Ziel: Schaffung höchstmöglicher internationaler Kontrollstandards zur Verminderung menschlichen Leids (Art. 1)
- Kontrollierte Aktivitäten: Transfers (Export, Import, Transit, Trans-Shipment, Brokering); einige wichtige Vorschriften beziehen sich jedoch nur auf Exporte (Art. 2).
- Kontrollierte Güter: alle sieben Kategorien des UN-Großwaffenregisters plus Kleinwaffen und leichte Waffen (Art. 2); mit Einschränkungen auch Munition (Art. 3) und Teile/Komponenten (Art. 4)
- Verbote: Transfers sind verboten, wenn ein Staat u.a. davon Kenntnis hat, dass die fraglichen Güter zu Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und anderen Verstößen gegen die Genfer Konventionen bzw. zu Kriegsverbrechen führen würden (Art. 6).
- Genehmigungskriterien: In allen übrigen Fällen soll eine Genehmigung für Rüstungsexporte nur dann versagt werden, wenn deren wahrscheinliche negativen Folgen die eventuellen positiven Auswirkungen auf Frieden und Sicherheit überwiegen; folgende Prüfkriterien sind dabei verpflichtend: Verstöße gegen humanitäres Völkerrecht, internationale Menschenrechte, Abkommen zur Bekämpfung organisierter Kriminalität sowie Abkommen gegen Terrorismus (Art. 7).
- „Diversion“: Die Exportstaaten sollen geeignete Maßnahmen gegen Umleitung und unerlaubte Weiterverbreitung ergreifen, z.B. Endverwender-/Endverwendungsnachweise (Art. 11).
- Transparenz: Die Staaten müssen über genehmigte oder durchgeführte Exporte und Importe an das Vertragssekretariat berichten; die Berichte sind nicht öffentlich; kommerzielle oder aus Gründen der nationalen Sicherheit sensible Daten können aus den Berichten ausgenommen werden (Art. 12).
- Unterstützung: Einrichtung eines freiwilligen Finanzierungsinstruments für internationale Hilfe beim Aufbau nationaler Kontrollsysteme sowie zur technischen und rechtlichen Umsetzung(Art. 16)
- Weiterentwicklung: Die Konferenz der Vertragsstaaten kann erstmals sechs Jahre nach dem Inkrafttreten mit Zweidrittelmehrheit Veränderungen des Vertrages beschließen (Art. 20).
- Inkrafttreten: Erfolgt nach der fünfzigsten Ratifizierung bzw. deren Hinterlegung beim UN-Generalsekretär (Art. 22).
- Konferenzen der Vertragsstaaten: Erste Konferenz ein Jahr nach Inkrafttreten, dann in festzulegendem Turnus; Aufgaben: u.a. Entscheidung über Befugnisse und Budget des Sekretariats sowie über mögliche Weiterentwicklung des Vertrages (siehe Art. 20)
- Sekretariat: Aufgaben u.a. Verwaltung der nationalen Berichte, Vermittlung von Unterstützung und Durchführung der Konferenzen der Vertragsstaaten (Art. 18); nimmt nationale Kontrolllisten entgegen und macht sie den anderen Vertragsstaaten zugänglich (Art. 5).
- Streitschlichtung: Erfolgt durch einvernehmliches Zusammenwirken der Vertragsstaaten (kein spezifischer Mechanismus).
- Sonstiges: Vertragsstaaten können andere internationale Übereinkommen schließen, sofern diese nicht im Widerspruch mit den ATT-Bestimmungen stehen (Art. 26).
Der internationale Waffenhandelsvertrag – Bewertung, Perspektiven und weiterer Handlungsbedarf
von Dr. Matthias John (Amnesty International Deutschland)
Einleitung
Seit dem Beschluss der UN-Generalversammlung am 2. April 2013 geht es nun endlich nicht mehr um das „ob“ eines internationalen Waffenhandelsvertrages (Arms Trade Treaty – ATT). Es geht darum, wann dieses Abkommen in Kraft tritt und vor allem, wie es wirksam umgesetzt wird – gemessen an den Ansprüchen des Vertragstextes und an der Notwendigkeit, endlich unverantwortliche Rüstungstransfers zu stoppen. Die internationale Staatengemeinschaft hat endlich realisiert, was im ersten Anlauf in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts scheiterte – verbindliche globale Regeln zu verabreden, um den weltweiten Handel mit Waffen und Munition zumindest einzuschränken.
Wie schon bei der Antipersonenminen-Konvention und dem Übereinkommen gegen Streumunition ist es maßgeblich auch dem Einsatz der Zivilgesellschaft zu verdanken, dass der ATT 2006 auf die Agenda der UN kam und jetzt verabschiedet wurde. Anders aber als die beiden genannten Instrumente ist der ATT umfassender – der Vertrag betrifft nicht nur einzelne Kategorien wie Antipersonenminen und Streumunition, sondern soll auf eine große Breite konventioneller Rüstungsgüter angewendet werden. Und der ATT ist direkt im UN-System verhandelt und dann mit Mehrheit verabschiedet worden, nicht in einem parallelen Prozess von vorwiegend wohlwollenden Staaten. Somit ist die Entscheidung zunächst durchaus ein historischer Erfolg, auch wenn jetzt die nächsten Jahre zeigen müssen, ob der ATT tatsächlich auch ein historischer Vertrag wird oder sich am Ende als zahnlos und unwirksam erweist.
Stärken und Schwächen des Vertragstextes
Nach angestrengtem Ringen um den Vertragstext während der beiden ergebnislos beendeten ATT-Konferenzen 2012 und 2013 liegt nach dem Beschluss der UN-Generalversammlung ein Vertragstext vor, der in vielen Punkten besser ist als die ersten befürchteten Kompromisslinien – der ATT ist mehr als der kleinste gemeinsame Nenner, auch wenn Nachbesserungen notwendig bleiben.
Die gerade für Amnesty International wichtige „Goldene Regel“ – Keine Rüstungsgüter für Gräueltaten und Menschenrechtsverletzungen – ist in den Artikeln 6 und 7 weitgehend realisiert. So sollen nach Artikel 6.3 Rüstungstransfers verboten werden, wenn dem Lieferstaat bekannt ist, dass diese für Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verwendet werden können.
Artikel 7 gibt vor, Rüstungsexporte zu verbieten, wenn ein überwiegendes Risiko besteht, dass diese zur schweren Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts benutzt werden können, aber auch, wenn diese zu geschlechtsspezifischer Gewalt beitragen. Wichtig ist auch, dass der Anwendungsbereich des ATT in seinen Kernpunkten nicht nur konventionelle Großwaffen, Kleinwaffen, leichte Waffen umfasst, sondern auch Munition sowie Teile und Komponenten von Rüstungsgütern.
Insgesamt soll der ATT nicht allein auf Exporte angewendet werden, sondern auch auf andere Aspekte der Rüstungstransfers wie Importe, Durchfuhren oder Waffenvermittlungsgeschäfte („Brokering“). Auch gegen Weiterverbreitung von Waffen sollen Maßnahmen implementiert werden.
Problematisch ist allerdings, dass diese erweiterten Vorgaben nicht explizit für Munition und Komponenten gelten. Auch Aufzeichnungs- und Berichterstattungspflichten sind nur für den engeren Anwendungsbereich vorgesehen, zudem ist nicht vorgesehen, dass die Berichte der Staaten auch veröffentlicht werden. Und gänzlich fehlen verbindliche Vorgaben für Sanktionen bei Verstößen gegen den ATT, dies bleibt den Vertragsstaaten überlassen. Allerdings eröffnet der Vertrag in Artikel 20 eine Perspektive für zukünftige Anpassungen, die dann sicher auch genutzt werden muss.
Auswirkungen auf deutsche Regelungen für Rüstungsexporte
Gerade Deutschland, das sich für einen wirksamen ATT stark gemacht hat, sollte im Geiste der ATT alle Rüstungstransfers verbieten, die zu Menschenrechtsverletzungen beitragen können und dafür endlich eine rechtlich verbindliche Menschenrechtsklausel in die deutsche Rüstungsexportgesetzgebung integrieren. Zudem muss die Bundesregierung Rechenschaft darüber ablegen, wie sie bei ihren Exportentscheidungen die Menschenrechte tatsächlich berücksichtigt. Um dies auch nachprüfbar zu machen, ist eine umfassende zeitnahe Transparenz über deutsche Genehmigungen und tatsächliche Lieferungen notwendig. Der ATT sieht umfassende Aufzeichnungen vor, diese sollten Grundlage auch für die Rüstungsexportberichte der Bundesregierung werden. Und da die Vertragsstaaten dem ATT-Sekretariat bei den UN bis zum 31. Mai des Folgejahres berichten sollen, sollte dies Ansporn für die Bundesregierung sein, auch zu diesem Zeitpunkt den Rüstungsexportbericht zu veröffentlichen. Im Sinne des ATT sollte Deutschland endlich auch die Regeln zum Brokering verschärfen und die unsägliche Praxis beenden, bei der detaillierten Berichterstattung über Kleinwaffenexporte Pistolen und Revolver einfach zu ignorieren.
Wie weiter?
Die tatsächliche Wirkung des ATT kann sich schon bald nach dem Beginn der Unterzeichnungsfrist, die für den 3. Juni 2013 ansteht, entscheiden: Allen Signatarstaaten steht es offen, bereits vor dem Inkrafttreten, das erst nach der fünfzigsten Ratifizierung erfolgt, Vorgaben des ATT zu implementieren. Für die Umsetzung der „Goldenen Regel“ in Artikel 6 und Artikel 7 wird dies sogar explizit empfohlen.
Es braucht also umgehend wirksame konkrete Maßnahmen zur Implementierung des ATT, sonst wächst die Gefahr, dass der Erfolg der Verabschiedung des Vertrags ins Leere läuft. Da ist gerade auch Deutschland in der Pflicht, andere Staaten umfassend zu unterstützen und selber mit gutem Beispiel voranzugehen. Ein wichtiger Schritt dabei könnte sein, alle Regelungen des ATT auch auf Munition und Komponenten auszuweiten und die Berichte öffentlich zu machen. Allerdings bleibt es sicher notwendig, den öffentlichen Druck zu verstärken, um den ATT international umzusetzen und hier im Lande die Politik auf wirksame Maßnahmen zur Rüstungsexportkontrolle zu verpflichten.
Arms Trade Treaty – nehmen wir es als positiven Impuls
von Christine Hoffmann (Generalsekretärin der deutschen Sektion von Pax Christi)
Der Arms Trade Treaty ist ein erster, ein allererster Schritt. Ihm müssen weitere Schritte folgen, so dass aus dem Abkommen ein Abrüstungsvertrag wird. Dennoch: Der Arms Trade Treaty ist ein Erfolg – weil es ihn gibt. Es ist das erste Mal seit Jahrzehnten, dass im Rahmen des UN-Systems ein solcher Vertrag verabschiedet wird. Noch die Ottawa-Konvention zur weltweiten Ächtung von Anti-Personenminen musste außerhalb des UN-Systems entwickelt werden, weil die UN-internen Mechanismen eine konstruktive Diskussion unmöglich gemacht haben. Der Weg zu diesem Erfolg war alles andere als leicht und der Erfolg wurde teuer erkauft. Es hat ein Jahrzehnt gedauert, bis der jetzige Text verabschiedet wurde. Es war ein Weg voller Stolpersteine und Fallgruben – dazu gehört das von den USA durchgesetzte Konsensprinzip, das eine effektive Arbeit des UN-Sicherheitsrates bis heute verunmöglicht. Die Verabschiedung des ATT zeigt deshalb auch, dass noch ein weiter Weg vor uns liegt. Eine Reform des UN-Systems tut dabei genauso Not, wie entschiedene Schritte zur Abrüstung. Der ATT ist kein Abrüstungsvertrag. Dieser Vertrag regelt nicht die Reduzierung des Waffenhandels, sondern seine Dokumentierung. Nicht mehr und nicht weniger.
Schon in der Präambel des ATT wird Klartext gesprochen. Die Präambel macht die Philosophie dieses Vertragswerkes klar, indem sie den Handel mit Waffen zunächst mal als ein legitimes (sicherheits-)politisches und wirtschaftliches Interesse adelt. Entscheidend wiederum ist Art. 5 des Vertrags: Für den Welt-Waffenmarkt sollen grundsätzlich die gleichen Kriterien gelten, wie für den Weltmarkt auch. Die „Warenströme“ sollen möglichst ungehindert fließen und deshalb soll der Handel mit Waffen grundsätzlich erlaubt, grundsätzlich frei und grundsätzlich „nicht-diskriminierend“ sein. Niemand soll, so die Vision des Vertrags, vom Handel mit Waffen ausgeschlossen werden. Ob er nun Waffen verkaufen möchte oder auf der Suche nach Waffen ist. Das hat alles nur sehr wenig mit Abrüstung zu tun. Es ist auch nicht Ausdruck einer mutigen Friedensvision, sondern Ausdruck einer Marktlogik, die sich nicht am Gemeinwohl, sondern an individuellem Profit und Machterhalt orientiert.
Erzbischof Silvano Tomasi, der als permanenter Beobachter des Vatikans bei der UN an den ATT-Verhandlungen teilnahm, kommentierte den Vertrag sehr nachdenklich und wollte das Dokument keinesfalls als „historisch“ würdigen. Er gab zu bedenken, das Abkommen sei zwar
„ein sehr positiver Schritt, denn das Ziel ist es, das menschliche Leben zu schützen und den Respekt der Menschenrechte zu fördern. Wenn wir den Vertrag wirklich als ersten Schritt sehen, schön und gut, doch das Wort „historisch“ wird vielleicht manchmal etwas leichtfertig verwendet, denn das Abkommen hat auch starke Grenzen. Neben der Tatsache, dass keine Strafmaßnahmen bei Zuwiderhandlungen vorgesehen sind, bestehen Möglichkeiten, auf Umwegen, wie beispielsweise mit bilateralen Abkommen, den Vertrag auszuhebeln.“
Aus deutscher und europäischer Perspektive stellt sich die Frage, was sich durch den ATT an der Rüstungsexportpraxis ändern wird. Meine Antwort: Nichts. Und das ist das Problem.
„Aktion Aufschrei“ gibt umfassende Argumentationsbroschüre heraus
„Gute Gründe gegen den Waffenhandel“ ist der Titel der Broschüre, die von der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ erstellt wurde. Die Autoren Andreas Zumach und Thomas Meinhardt bieten detaillierte Informationen zu den zentralen Themen des Rüstungsexports: So werden etwa der internationale Rüstungsmarkt, die Gesetzeslage, die bedeutenden Firmen der deutschen Rüstungswirtschaft und die Auswirkungen in den Empfängerländern betrachtet. Es geht in den Artikeln aber auch um die Positionen von Gewerkschaften und Kirchen, um wichtige Fragen und Antworten zum Rüstungsexport und um Wahlprüfsteine zur Bundestagswahl 2013.
Die 32-seitige Broschüre im DIN-A-4-Format mit zahlreichen Info-Grafiken und Bildern kann auch in größerer Stückzahl unter orl-info@gaia.de kostenlos bestellt werden (oder bei: Ökumenische Aktion Ohne Rüstung Leben, Arndtstraße 31, 70197 Stuttgart, Tel. 0711-608396). Sie ist u. a. dafür gedacht, an Multiplikatoren, Entscheider und interessierte Besucher von politischen Veranstaltungen zum Thema Rüstungsexport verteilt zu werden. Eine Ansicht-Version der Broschüre gibt es bei der „Aktion Aufschrei“ zu sehen.
„Schwarzbuch Waffenhandel“ erschienen: Buchlesungen gestartet
Jürgen Grässlins neues Buch „Schwarzbuch Waffenhandel. Wie Deutschland am Krieg verdient“ kann seit kurzem im Buchhandel erworben werden. Das 624 Seiten starke Buch (Preis in Deutschland 14,99 Euro) enthält Täterprofile (Verantwortliche in Wirtschaft, Politik und Banken), aber es gibt auch den Opfern deutscher Waffenexporte eine Stimme. Schon jetzt sind 26 Buchlesungen vereinbart, einige haben bereits stattgefunden. Alle Informationen zum Buch und zur Lesereise finden sich unter www.juergengraesslin.com
Anfragen zu Buchlesungen können an j.graesslin@gmx.de gesendet werden. Ein Interview mit Jürgen Grässlin finden Sie im nächsten DAKS-Newsletter.
Derweil gibt es aktuelle Nachrichten zu den Ermittlungen gegen Heckler & Koch. Spiegel und NRWZ berichteten.