Frieden und Solidarität für die Menschen in der Ukraine!
Abrüsten statt aufrüsten!
Rede von Jürgen Grässlin, Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros
bei der Kundgebung gegen den Russland-Ukraine-Krieg
am 13. März 2022 in Stuttgart Liebe Friedensfreund*innen, sehr geehrte Damen und Herren, dass schier Unvorstellbare ist eingetreten: Nach dem Krieg auf dem Balkan mit dem völkerrechtswidrigen Kampfeinsatz der NATO 1999 herrscht erneut Krieg in Europa. Während wir hier in Stuttgart und bundesweit für Frieden, Abrüstung und für eine nachhaltige Umweltpolitik demonstrieren, werden in der Ukraine Abertausende Menschen verstümmelt, verkrüppelt, traumatisiert oder getötet. Völkerrechtwidrig interveniert Russland in der Ukraine. Gezielt zerstört das russische Militär auch zivile Einrichtungen, bombardiert Krankenhäuser und setzt offenbar Streumunition ein. Verantwortlich für dieses barbarische Vorgehen ist das russische Regime unter Führung von Staatspräsident Putin. Rücksichtlos werden sowohl die UN-Charta als auch das humanitäre Völkerrecht gebrochen. Die Ziele der demokratischen Wertegemeinschaft in aller Welt müssen die Wahrung der Menschenrechte und die Wiederherstellung des internationalen Rechts sein.
>> Wir fordern: Nicht nur Wladimir Putin, sondern auch mitverantwortliche Regierungsvertreter und Militärs müssen vor ein Kriegsverbrechertribunal gestellt werden! Ihre Verurteilung wäre ein positives Signal für eine auf internationalem Recht basierende Weltfriedensordnung!
Zurzeit wird der Krieg in der Ukraine mit konventionellen Waffen ausgetragen. Städte werden durch die russische Armee zusammengeschossen, ganzen Landstrichen droht die völlige Verwüstung. Krieg ist die schlimmste Form der Umweltzerstörung. Kaum zu glauben, aber es kann noch schlimmer kommen: Wladimir Putin drohte jüngst mit dem Einsatz von Atomwaffen, falls sich die NATO in den Krieg einmischen sollte. So kann aus dem Krieg gegen die Ukraine unversehens eine Katastrophe für die gesamte Menschheit werden. Vor acht Jahren hat die IPPNW die Studie „Nuclear Famine“ veröffentlicht, wissenschaftlich belegt durch Klimatologen und Ernährungsexperten. Wie die Studie dokumentiert, würde bereits der begrenzte Einsatz einer geringen Zahl von Atomwaffen zu deutlichen Klimaveränderungen führen. Auf dem ganzen Globus wären Not und Elend die Folge. Dann werden bis zu zwei Milliarden Menschen hungern. Was aber droht bei einem totalen Atomkrieg? Dann gibt es nur Verlierer und die wenigen Überlebenden werden die Toten beneiden. Laut dem Internationalen Gerichtshof (IGH) ist bereits die Drohung mit Atomwaffen völkerrechtswidrig.
>> Unsere Botschaft an alle Atommächte lautet: Verschrotten Sie Ihre Atomwaffen, beenden Sie das zynische Szenario um unser aller Leben!
Friedensverhandlungen sind wichtiger denn je. Dabei scheinen Verhandlungen beim NATO-Partner Türkei oder beim Russland-Partner Belarus eher aussichtslos. Um dem Krieg in der Ukraine schnellstmöglich zu stoppen, müssen die Vereinten Nationen eine stärkere Vermittlerrolle einnehmen. Wichtig wäre, dass sich die Kriegsparteien an einem neutralen Ort – z.B. in Genf als dem europäischen Sitz der UN – zusammenfinden, wohlgemerkt unter der Führung eines neutralen Verhandlungsleiters, wie dem UN-Generalsekretär António Guterres.
>> Wir fordern: Die Waffen müssen schweigen, stoppt den Krieg! Alle Gespräche, alle Verhandlungen, alle diplomatischen Bemühungen sind tausendmal besser als das Morden in der Ukraine!
Die bittere Erfahrung der vergangenen Jahre und Jahrzehnte belegt: Mehr Militär und mehr Waffen lösen keine Konflikte. Vielmehr verschärfen sie die Lage in den Kriegsgebieten. Das haben der Afghanistan-Krieg, die Irak-Kriege, der Syrien-Krieg, der Libyen-Krieg und der Jemen-Krieg drastisch gezeigt. Am Ende verbleiben Failed States, zahllose Menschen wurden zu Opfern, Billionen von Dollars, Euros und Rubel wurden sinnlos verschleudert.
>> Deshalb sagen wir: Militär und Rüstung sind nicht die Lösung, Militär und Rüstung sind das Problem!
Die Menschheitsgeschichte beweist: Vielfach war gewaltfreier Widerstand nachhaltiger und wirkungsvoller als die gewaltsame Konfliktaustragung. Wie wäre es zum Beispiel, wenn Zehntausende weiß gekleideter Frauen und Männer in der Ukraine mit weißen Friedensfahnen die Zufahrtswege in die Städte durch Sitzblockaden versperren würden? Ich bin mir sicher: Russische Panzerfahrer würden diesen gewaltfreien Widerstand nicht niederwalzen oder zusammenschießen! Die Werkstatt für Gewaltfreie Aktion Baden (WGFA) sieht auch dann, wenn die Ukraine besiegt sein sollte, erfolgversprechende Handlungsoptionen: „Wenn sich 44 Millionen Menschen der Zusammenarbeit verweigern, gelingt keine dauerhafte Besatzung, auch nicht unter Einsetzung einer Marionettenregierung.“
>> Wir bitten alle Bürger*innen der Ukraine: Bringt den zivilen Mut auf, protestiert, blockiert, leistet gewaltfreien Wiederstand! Und was können wir im restlichen Europa und vor allem in Deutschland tun? Wir erklären uns solidarisch mit den notleidenden Menschen in der Ukraine. Und wir wollen alles Menschenmögliche tun, um ihr Leid zu lindern. Humanitäre Hilfe tut not, jeder Hilfskonvoi ist eine gute Tat. Sanktionen im Wirtschafts- und Finanzbereich sind dann förderlich, wenn sie den Druck auf die Machthaber in Russland massiv erhöhen. Nicht aber, wenn sie die ohnehin sozial Schwachen und Benachteiligten treffen. In diesem Sinn begrüße ich die Beschlagnahme der Besitztümer und die Sperrung der Bankkonten der reichen Oberschicht, der Oligarchen. Waffenlieferungen an Verteidigungskräfte im Abwehrkampf gegen einen Angreifer mögen gut gemeint sein – de facto sind sie aber kontraproduktiv. Denn wer den Export von Kriegswaffen in einen Krieg hinein genehmigt, der wird selbst zur Kriegspartei. Der kann – wie Deutschland und fast alle NATO-Partner – nicht länger glaubwürdiger Organisator oder Gastgeber bei Friedensverhandlungen sein. Vierertreffen im Normandie-Format sind seither unmöglich geworden. Wer Waffen in ein Kriegsgebiet liefert, der verliert die Kontrolle über ihren Einsatz. Defensivwaffen gibt es nicht – jede Waffe kann auch offensiv eingesetzt werden. Auch mit vermeintlichen Defensivwaffen können schwere Menschenrechtsverletzungen verübt werden. Waffenexporte in einen Krieg tragen zur Eskalation bei. Die gelieferten Kriegswaffen befördern eine unwägbare Konflikteskalation. Waffenexporte sind wie Öl ins Feuer. Die russische Seite hat erklärt, dass Waffenlieferungen eine Kriegsbeteiligung des jeweiligen Landes darstellen. Die Folgen sind unabsehbar.
>> Europa muss seine Grenzen schließen für Waffen – Europa muss seine Grenzen öffnen für Menschen! Für uns bedeutet Zusammenhalt in Europa die Aufnahme aller Kriegsflüchtlinge!
Und auch alle kritischen Journalist*innen, Friedensdemonstrant*innen, Kriegsdienstverweigerer*innen und Deserteur*innen in Russland und in der Ukraine müssen unsere Unterstützung erhalten und Schutz finden. Heute vor zwei Wochen, am 27. Februar 2022, habe ich 200 Meter vor dem Reichstagsgebäude in Berlin eine Rede gehalten für die ‚Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!‘. Unsere zentrale Forderung war: Stoppt die Waffenlieferungen in Krisen- und Kriegsgebiete. Zur gleichen Zeit verkündete der Hochrüstungskanzler Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung im Bundestag eine in der deutschen Nachkriegsgeschichte einmalige militärische Aufrüstung. Durch ein sogenanntes „Sondervermögen Bundeswehr“ in Höhe von 100 Milliarden Euro rüstet die Ampelkoalition von SPD, GRÜNEN und FDP das deutsche Militär massiv auf. Entgegen aller vorherigen Ankündigungen, erhält die Ukraine doch Kriegswaffen aus Deutschland. Im Rahmen dieses gigantischen Aufrüstungsprogramms werden neue atomwaffenfähige Kampfbomber und Kampfdrohnen beschafft. Bis zu drei Prozent des Bruttoinlandprodukts sollen in jedem Jahr für Rüstung und Militär ausgegeben werden. Ein paar Brosamen bleiben für Ziviles und Entwicklungshilfe. Kein Wunder, dass die Aktienkurse der Rüstungskonzerne derzeit durch die Decke gehen. Bei Rheinmetall, bei Krauss-Maffei Wegmann und bei Heckler & Koch knallen die Champagnerkorken.
>> Lasst uns in einer einmalig breiten sozialen Bewegung, mit den Gewerkschaften und Kirchen und mit vielen Gruppen der Zivilgesellschaft und der Friedensbewegung fordern: Wir wollen abrüsten statt aufrüsten! Wir wollen Sicherheit neu denken!
Herr Scholz, Frau Baerbock, Herr Lindner – was wir brauchen ist eine ganz andere Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents und auch Deutschlands:
>> Wir fordern von der Bundesregierung statt eines 100 Milliarden Euro Aufrüstungsprogramms einen 100 Milliarden Euro Friedens- und Sozialfonds!
Für Bildung und Erziehung, für Kunst und Kultur, für Gesundheit und Pflege, für den Ausbau der regenerativen Energiequellen, für die sozial-ökologische Transformation und damit für ein zukunftsfähiges Deutschland! Liebe Friedensfreund*innen, liebe Gegner*innen des Krieges, nehmt die vielen guten Impulse unserer Friedenskundgebung mit nach Hause.
>> Lasst uns die Unkultur des Krieges überwinden durch eine allumfassende Kultur des Friedens! Wenn wir uns international verbünden, wird das Pendel wieder zugunsten des friedlicheren Zusammenlebens aller Völker ausschlagen. Dafür wünsche ich euch und Ihnen Kraft, Mut und Durchhaltevermögen. Vielen Dank << Es gilt das gesprochene Wort. >>
Jürgen Grässlin ist Sprecher der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Mitbegründer der Kritischen Aktionär*innen Heckler & Koch und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.) mit dem GLOBAL NET – STOP THE ARMS TRADE. Er ist Autor zahlreicher kritischer Sachbücher über Rüstungsexporte sowie Militär- und Wirtschaftspolitik, darunter internationale Bestseller. Grässlin wurde mit zehn Preisen für Frieden, Zivilcourage, Medienarbeit und Menschenrechte ausgezeichnet.
Kontakt: Tel.: 0049-761-7678208, Mob.: 0049-170-6113759 E-Mail: jg@rib-ev.de, graesslin@dfg-vk.de
Wichtige Informationen zum Russland-Ukraine-Krieg siehe u.a. www.dfg-vk.de, www.friedenskooperative.de, https://www.kulturdesfriedens.de, https://wfga.de // zu Rüstungsexporten siehe www.gn-stat.org, www.rib-ev.de, www.aufschrei-waffenhandel.de // zur IPPNW-Studie siehe http://www.psr.org/assets/pdfs/two-billion-at-risk.pdf